Bitte folgt mir jetzt mal auf einen kleinen Trip in meine eigene und vielleicht auch Eure Vergangenheit. Siebte Klasse Gymnasium, die enge Welt. Der Schulbus auf dem Weg ins heimatliche Dorf ist voll, es müffelt. Polyesterpullover, alle tragen sie, und das ist nicht gut fürs Ambiente. Draußen nieselt es. Als ich zu Hause klingele, ist mir fast so, als hätte ich durch das geöffnete Küchenfenster schon wieder einen süßlich-strengen Duft wahrgenommen. Und tatsächlich. Die Tür öffnet sich, die Gewissheit ist da. Es gibt Kohlgemüse. Praktisch aufzuwärmen für alle einzeln eintreffenden Familienmitglieder. Als ob das Leben nicht schon hart genug wäre.
Lustigerweise scheinen manche ja in späteren Jahren diese Pein komplett vergessen zu haben. Ich nicht, aber ich habe mich ihr gestellt. Kohl mit Hackklößen und Salzkartoffeln, die Geißel meiner Teenagerjahre, heute esse ich sie mit vollem Bewusstsein und ohne Leiden. Die portugiesische Küche hat mit der deutschen Hausmannskost ohnehin einige Elemente gemeinsam: Das Schwein in allen seinen Einzelteilen wird hoch geschätzt. Gedämpftes und Gekochtes in einem einzigen großen Topf lassen auch die größte Familie satt werden. Dass die Portugiesen seit drei Jahrzehnten eine ähnlich niedrige Geburtenrate wie die Deutschen besitzen, tangiert diese Tradition nur marginal. Dann lädt man sich halt die ganze übrig gebliebene Verwandtschaft ein.
In der kleinen Bar vulgo Wirtschaft bei mir über die Straße hing gestern ein selbst geschriebenes Blatt Papier an der Tür: „Amanhã há Cozido“ = morgen gibt es Cozido. Das Rezept für „Cozido à Portuguesa“ kennt unzählige Varianten, wie ich bei einem kurzen Blick ins Internet feststellen konnte. Heute gab es in der namenlosen Bar zum Festpreis von 4,90 € die folgenden Elemente: Gekochtes Allerlei vom Schwein (auch ein Streifen Ohr), Schweinebrühe, gekochte Salzkartoffeln, Chorizo, zwei Blutwurstsorten, eine Teewurst, ein halber Kohlkopf, Mohrrüben, ein Stück Kohlrabi, zwei Sorten rote Bohnen und Reis. Das Ganze mild gewürzt, ein bisschen Kümmel wahrscheinlich auch dabei. Den roten Hauswein aus dem Fass hatten leider schon ein paar fiese Essigbakterien erobert, aber irgendwie kann ja auch nicht alles perfekt sein.
Im Umkreis von 100 Metern gibt es hier insgesamt drei dieser Esskneipen, alle günstig, alle rustikal, alle mit ausgesprochen sympathischen Bedienungen. Der Grund für diese Häufung dürfte darin liegen, dass sich hier auch das Straßenbahn- und Busdepot befindet, und das seit ewigen Zeiten. Diese Arbeiterkultur à Portuguesa hat fast etwas von einer Ruhrgebietsatmosphäre aus den 60er Jahren – so wie ich sie mir vorstelle. Wenn ich jetzt behaupte, ich würde die nächsten Wochen nie mehr luxuriöse Speisen zu mir nehmen, wäre das vermutlich übertrieben. Ganz sicher sogar. Gestern habe ich im Corte Inglés nämlich Percebes gesehen, Entenmuscheln. Die muss ich haben. Aber nach ein paar Kohltagen sind das auch sehr vernünftige Gedanken, wie ich finde.
Hallo Matze!
Das sieht wirklich lecker aus und rustikale Küche ist sicherlich toll. Essigbakterien im Weinfass allerdings nicht. Das trübt natürlich das Erlebnis. Aber was soll’s. Du wirst in Portugal sicherlich noch genug ohne Essigbakterienbefall probieren- da bin ich mir ganz sicher.
Grüße Jens
Das Problem war nur, dass die Wirtin so nett war. Ich habe ihr sicher nicht geholfen, indem ich vom Essig nichts erwähnt habe… Naja, vielleicht haben sie morgen ja schon das nächste Fass angestochen.
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