Wenn es um “Vinho Verde” geht, denkt jeder automatisch an Weißwein. Ich muss mich korrigieren: jeder außerhalb Portugals. Gut zehn Prozent dieses frischen Weins aus dem nordportugiesischen Minho werden nämlich aus roten Trauben gewonnen – allerdings so gut wie nie exportiert. Wikipedia weiß zu berichten, dass „der Wein bei mangelnder Hygiene aus Angst vor Fehlgärungen stark geschwefelt wird“. Da die Schwefelung jedoch die Bildung natürlicher Kohlensäure verhindert, wird sie später künstlich hinzugefügt. „Starke Säure“ und „sehr tanninhaltig“ sind weitere Stichworte, die in ihrer Gesamtheit für einen ordentlichen Grusel bei allen wahren Rotweinliebhabern sorgen.
Im Jahr 1990 gab es noch knapp 64.000 Winzer im Vinho Verde-Gebiet, mittlerweile liegt die Zahl bei 27.000. Die durchschnittliche Rebfläche beträgt etwas mehr als ein Hektar, der durchschnittliche Hektarertrag 19 hl. Mit anderen Worten: Viel verdienen kann man mit Weinbau hier nicht. Ein Grund mehr für den engagierten Blogger, sich die Produkte aus dieser vergessenen Ecke Europas einmal näher anzuschauen.
In portugiesischen Supermärkten herrscht im Vinho Verde-Regal jedenfalls kein Mangel. Und da meine erste Aufgabe an einem neuen Ort immer aus so spannenden Dingen besteht wie Klopapier, Geschirrspülmittel und Chips für den ersten Abend zu kaufen (demnächst auch ein Weinglas, das gibt es in der Wohnung nämlich nicht), habe ich hier einfach mal einen Roten aus dem Regal gezogen. Allerdings musste ich mich ziemlich tief bücken, denn die preisgünstigsten Weine sind nun mal knapp über dem Fliesenboden zu finden. 2,39 € habe ich beim Minipreço dafür hingelegt (das ist die hiesige Ausgabe der spanischen Dia-Kette).
Der Wein wird auf dem Etikett nur als „Vinho Verde tinto“ bezeichnet, einen stylischen Namen hat er nicht. Er stammt aus dem Jahrgang 2009 und von der Genossenschaftskellerei aus Ponte da Barca. Mit 10,5 vol% ist er genau richtig für den ersten Abend nach dem heftigen Einstunden-Jetlag. Zu meinem großen Glück finde ich ihn im aktuellen „Guia de Vinhos Proteste“, weshalb ich Euch jetzt mit ein paar Vorab-Informationen beglücken kann: 75 Punkte geben sie diesem Wein aus den Rebsorten Vinhão, Borraçal und Espadeiro, bezeichnen den Geschmack als frisch, ausgestattet mit einer guten Tannin-Präsenz und einem angenehmen und trockenen Finale. 1,8 g Restzucker bei 6,8 g Gesamtsäure lauten die technischen Werte. Erstaunlich finde ich dabei, dass nur 35 mg SO₂ pro Liter enthalten sind. Einer der niedrigsten Werte aller getesteten portugiesischen Weine. Das übermäßige Schwefeln aus Furcht vor dem faulenden Traubengut scheint also nicht überall der Fall zu sein. Alte Vorurteile möglicherweise? Ich weiß es nicht.
Von der Farbe her ist der Wein schwarz wie die Nacht. In der Nase machen sich dunkle Fruchtnoten bemerkbar, Cassis gemischt mit schwarzer Himbeere, wenn es so etwas geben sollte. Sehr frisch erscheint der Wein jedenfalls, keinerlei dumpfe Noten sind zu spüren. Am Gaumen moussiert der Vinho Verde selbstverständlich leicht, ob von der zugesetzten oder der natürlichen Kohlensäure, vermag ich nicht zu sagen. Aber potztausend, was haben denn hier die korkigen Anklänge zu suchen? Der Druck in der Flasche ist spürbar geringer als bei einem Bier, da hätte es ein Kronkorken auch getan. Geschmacklich ist die Sache dann frisch, jung, herb, einfach und ehrlich: resche Säure, ein junges, aber nicht nervendes Tannin, die roten Früchte sind wieder da. Im Zusammenspiel mit der Mousse ist dies das Pendant zu einem trockenen Lambrusco, essanimierend, einladend, ein echter Saufwein. Dank des geringen Alkohol- und Schwefelgehalts wirkt der Wein nicht nur bekömmlich, er ist es in der Tat.
Mein Fazit: Dieser Wein macht Spaß, ist ungemein authentisch, ist natürlich günstig bis hin zu billig, und ich würde ihn wieder kaufen. Oder einen seiner Brüder. Was mich dabei ins Nachdenken bringt, ist die Frage, wie ein „bepunktender“ Tester jetzt vorgehen würde. Gibt er dem Wein die maximal 12 Punkte, die ihm „weinqualitativ“ zustehen würden, mag das meinetwegen analytisch korrekt sein. Aber es geht völlig gegen die Intention des Testers. Der gewöhnliche Leser sieht nämlich diese 12 Punkte und sagt sich, „nee, diesen Wein brauche ich nicht zu kaufen“. Wer sich mit Weinbüchern und Bepunktungen umgibt, greift minimal bei einem 15-Pünkter oder umgerechnet einem 87-Pünkter zu. Alles darunter ist und bleibt Ausschuss. Wäre ich jetzt gezwungen, diesen Wein zu bepunkten, weil eventuell meine Redaktion oder mein Renommee das verlangen würden, säße ich in der Zwickmühle.
Aber Schreckgespenst beiseite, bei einem freien Blogger gibt es sowas ja nicht. Also sage ich: Wenn Ihr nach Portugal kommt und nicht blasiert bis in die Haarspitzen seid, dann kauft Euch so ein traditionelles, urtümliches und lokales Produkt. Einfach um Lebensart und Kontext ein bisschen besser einschätzen zu können. Und wenn es Euch dann zur Kohlsuppe wider Erwarten nicht schmeckt, dann tragt Ihr am nächsten Tag wenigstens keinen Schädel davon.
Das mit den Punkten geht auch einfacher: wenn du willst, dass die Leute einen solchen Exoten mal probieren, dann verpasse ihm ruhig 87 P und schreib den Preis dazu
Stimmt. Die Sache mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis ist natürlich auch ein gewichtiger Faktor. Preisgünstige Weine gibt es in einem (abgelegenen) Weinland wie Portugal in großer Zahl. Ich habe sogar einen getrunken, der war gut und so billig, dass ich mich nicht getraut habe, das als Post zu veröffentlichen. Weil das natürlich jede Menge anderer Fragen aufwirft (siehe mein früherer Beitrag zum Don Mendo: http://chezmatze.wordpress.com/2010/12/09/weintest-10-don-mendo-spanischer-rotwein-fur-118-e/).
P.S. und zu einem anderen Thema: Ich habe auch das mit der alten Weinlagenkarte für den Rheingau gelesen und bin genauso gespannt, was da jetzt in welcher Form diskutiert wird. Einige der alten Top-Lagen waren mir als Einzellagennamen gar nicht geläufig, z.B. die Rauenthaler Lagen oder die Geisenheimer…