Die großen trockenen Weißweine von der Loire sind hierzulande noch viel zu wenig bekannt. Wie? Ich wiederhole mich? Aber sehr gern doch, schließlich wird eine Wahrheit nicht unwahrer, wenn man sie ein zweites Mal ausspricht. Und wenn es um die Loire geht, dann geht es um einen 1.000 Kilometer langen Fluss, an dessen Ufer fast überall Reben gedeihen. Ähnlich wie beim Rhein mit seinen Weinbergen von der Schweiz über Baden, Rheinhessen und Rheingau bis hinauf nach Bonn kann man die Loire auch nicht wirklich als einheitliche Region betrachten.
Die weiße Hauptrebsorte des Loiretals ist eindeutig der Chenin blanc, obwohl ich zugeben muss, dass der von mir nicht gerade heißgeliebte Sauvignon blanc in Sancerre und Pouilly-Fumé ebenfalls beachtliche Weine hervorbringen kann. Was die lediglich 50 Kilometer zwischen Saumur und Anjou so interessant macht, das ist auch nicht die Vielfalt der Rebsorten, sondern die Geologie. Fast unvermittelt geht der helle Kalk- und Tuffboden des “weißen Anjou” in den grauen Schiefer des “dunklen Anjou” über und liefert praktisch direkt benachbart aus derselben Rebsorte völlig unterschiedliche Weine.
Wir haben es hier mit einem Vertreter des kalkigen Teils zu tun, dem “einfachen” Wein der Domaine Guiberteau. Aber da es sich um einen Spitzenbetrieb handelt, ist “einfach” hier vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Diese Cuvée wird aus sehr unterschiedlich alten und relativ dicht gesetzten Reben (5.500 Stöcke pro Hektar) gewonnen, manuell geerntet, sanft gepresst, mit den eigenen Hefen zur Gärung gebracht und schließlich leicht filtriert. Ausgebaut wird der Wein auf der Feinhefe in Stahl für sechs Monate, eine Chaptalisiserung findet nicht statt. Eine Entsäuerung übrigens auch nicht, und das merkt man gleich beim ersten Schluck.
Zunächst aber zur Farbe, denn die ist gelb, sehr gelb, Quittensaft. In die Nase steigen zuerst leicht dumpf-bittere Spontangärnoten empor, dann folgen eine gewisse (trockene) Botrytis und fruchtige Elemente in Richtung Quitte oder Feige. Keine Frage, dies ist ein reifer Wein. Aber kein breiter, denn im Mund macht sich sofort starke Säure bemerkbar, aber halt keine unreife oder spitze Säure, sondern erwachsene. Die Materie ist sehr dicht, energisch, aromatisch anspruchsvoll mit Birnennoten, wieder Quitte, Orangenschale, alles eingeschlossen von einer feurigen Mineralität. Auch wenn noch nicht alles ganz an seinem Platz ist, wird der Wein dekantiert schon richtig gut. Ich bin ziemlich begeistert und frage mich, was denn die großen Weine von Guiberteau noch so zu bieten haben, wenn das hier nur der “Kleine” ist.
Ein anderes Terroir haben sie zu bieten, die Grand Cru-Lagen Brézé und Clos des Carmes, über 40 Jahre alte Reben – und einen Ausbau in Barriques. Genau das ist immer wieder ein Streitpunkt unter Winzern und Weinfreunden: Tun die Barriques einem Chenin blanc gut oder nicht? Gegner wie Roger Michel vom Lütticher Cave des Oblats sind der Meinung, der intensive Holzton sei ungeeignet bei einer derartig aromatischen Rebsorte und würde nur die schöne Frucht unangemessen dämpfen. Chardonnay und Weißburgunder ja, Riesling und Chenin blanc nein. Befürworter wie Romain Guiberteau halten dagegen, dass die großen Cuvées von einem Terroir wie Brézé ohnehin erst in zehn Jahren genussreif seien, und da hätte sich das Holz längst harmonisch eingefügt. Wie auch immer, den 2007er Brézé habe ich zwar auch erstanden, aber erst einmal weggelegt. Diesen Wein hier hingegen kann man mit Gewinn bereits trinken, obwohl auch er noch Entfaltungsmöglichkeiten besitzt. Er ist mutig, kräftig und konsequent, und das gefällt mir.
Meine Punkte: 5 für Eleganz, 7 für Charakter, macht 16 MP insgesamt.
Bezahlt habe ich für den Wein zu viel, nämlich 19,50 € beim Publicis Drugstore. Am nächsten Tag habe ich ihn für 15 € bei den Galeries Lafayette gesehen, vor Ort in Saumur kostet er gar nur 10,90 €. In Deutschland habe ich die Weine von Romain Guiberteau bislang nicht gefunden. Das ist schade, liebe Weinhändler, your turn.
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