Ja, liebe Freunde, die Überschrift ist kein Scherz. Sie ist aber auch kein politischer Aufruf, denn dahinter verbirgt sich diesmal nichts Visionäres, sondern etwas ganz Reales. Vielleicht sollte ich nicht verschweigen, dass ich mir am Weihnachtsfest an irgendeiner Köstlichkeit ein wenig den Magen ausgerenkt hatte. Die neue Bescheidenheit stellte sich dadurch ganz urplötzlich und quasi alternativlos ein. Ich hatte einfach keinen Appetit mehr.
Ein einziges Töpfchen Hühnersuppe langte für die letzten drei Tage. In ihm hatte ich versammelt: einen Hühnerschenkel (biologisch zertifiziert, dennoch mit demselben Ausgang für das Huhn), gewürfelte Kartoffeln und Mohrrüben, Spinatblätter, geriebenen Ingwer und Knoblauch zwecks Genesung sowie einen Brühwürfel und die entsprechende Menge verchlortes Kalkwasser aus der Pariser Leitung (der Tee schmeckt scheußlich hier). Das alles habe ich erst angehitzt und dann eine Stunde lang gemächlich köcheln lassen. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass selbst ein derartig simpel und wenig arbeitsaufwendig hergestelltes Essen jegliche Fertigsuppe vor Scham erröten lässt.
Mittlerweile befinde ich mich auf dem Weg der Besserung. Der Topf ist leer, und bei meinem heutigen kleinen Ausflug zum Publicis Drugstore direkt am Triumphbogen habe ich es mir nicht nehmen lassen, eine Opéra-Schnitte von Dalloyau zu erwerben. Dalloyau ist auch so eine Art Ladurée oder Fauchon geworden, also ein alteingesessenes Haus, das irgendwann mal beschlossen hat, sich weiterhin handwerklich zu geben, aber praktisch industriell zu produzieren. Allein in Paris besitzt das Haus neben der Zentrale im 17. Arrondissement noch sieben andere Filialen; in Luxusboutiquen sind darüber hinaus gelegentlich Dalloyau-Produkte zu finden.
Weshalb ich trotzdem dieses ausgemessen 3,5 x 7 cm kleine Kuchenstück zum Preis von 4,60 € haben musste, hatte aber auch einen anderen Grund als die Firmenphilosophie. Eines meiner ersten Foodbücher, das ich mir selbst gekauft hatte, war “Culinaria Frankreich” von Könemann. Ich weiß nicht, ob es anderen auch noch so ergangen ist, aber die Könemann-Bücher waren für mich – so lange es den Verlag gab – immer eine wunderbare Mischung aus Fotoblätterbuch, Produktkunde, Länderkunde und Rezeptbeschreibungen. In dieser kulinarischen Frankreich-Rundreise war jedenfalls in Paris auch das Haus Dalloyau genannt. Und nicht nur das, es wurde auch ihr bekanntestes Produkt vorgestellt, “der” Opéra (es heißt “un Opéra”, was genauso komisch ist wie “die Oper”, denn “Opéra” hört mit “-a” auf und müsste eigentlich weiblich sein, während “Oper” mit “-er” aufhört und eigentlich männlich sein müsste. Finde ich jedenfalls.).
Ein Opéra ist ein rechteckiges Kuchenstück, das aus drei Lagen Biskuitteig besteht, die in Kaffeesirup getränkt sind. Zwischen diesen Lagen befindet sich jeweils eine Füllung aus Kaffee- und Schokoladen-Buttercreme. Garniert wird das Ganze mit einer zartschmelzenden Platte aus dunkler Schokolade. Was mich damals am meisten fasziniert hat, war die dreifache Kaffeeart. Niemand in meiner Umgebung außer mir mochte gern Kaffeecreme oder gar Kaffee-Joghurt. Ich habe mir die großen Gläser von Ehrmann dagegen eine zeitlang fast täglich gekauft. Der “Opéra” von Dalloyau musste also der Knaller schlechthin sein.
Heute war es also soweit. Soviel also zur Appetitlosigkeit und zur neuen Bescheidenheit. Und? Joah, schon mal schlechtere Kaffeecreme-Törtchen gegessen. Der Kaffeegeschmack ist für Hasser desselben auch stark genug, um mich das Stück allein aufessen zu lassen. Aber die wahre Raffinesse und die geschmacklichen Sensationen, die ein Pierre Hermé bei seinen Pâtissier-Stückchen herbeizaubert (und auch er ist wahrhaftig niemand mehr, der die Creme persönlich rührt), die stecken hier nicht drin. Man merkt halt doch, dass die Erfindung des “Opéra” aus dem Jahr 1955 stammt, wo ein echter Bohnenkaffee auf dem Tisch allein schon Jubelarien ausgelöst hat.