Ist das der teuerste und/oder beste Gutsriesling der Welt? Ist Egon Müller für alle Zeiten der größte deutsche Winzer? Diese Fragen werde ich weder heute noch jemals klären können, zum Glück. Weinbau ist halt nichts, wo Winzer um die Wette rennen, und wer als erster ins Ziel kommt, hat gewonnen. Allerdings könnte es sein, dass Egon Müller mit seinem Weingut “Scharzhof” der im Ausland bekannteste deutsche Winzer ist. Wie zum Beweis habe ich heute in der Weinabteilung der luxuriösen “Grande Epicerie de Paris” nur einen einzigen deutschen Wein gefunden, und zwar diesen hier. Zwar aus dem Jahrgang 2008 und zum Preis von 25,50 €, aber immerhin.
Ganz so viel musste ich für den getesteten Wein nicht hinlegen. Dafür dass es sich um den Einstiegswein in die Welt des Egon Müller handelt, sind 16,40 €, die ich dafür bei Wein & Glas bezahlt habe, allerdings trotzdem recht üppig. “Üppig” ist bezüglich der Müller’schen Weine übrigens genau das falsche Stichwort, denn dieser Wein hier besitzt 10vol% Alkohol und ist damit der alkoholstärkste Wein aus dem Portfolio des Weinguts. Preislich darüber gibt es einen “Kabinett” für gut 30 €, eine “Spätlese” für knapp 70 €, und was dann folgt an Auslesen und noch höherwertigeren, goldbekapselten und nur per Versteigerung zu erwerbenden Weinen, das überschreitet die finanzielle Schmerzgrenze dieses Blogs. Nun aber zum Weingut selbst:
Der Scharzhof liegt in der Nähe von Wiltingen an der Saar, gehört also zum neuerdings grobschlächtig so bezeichneten Anbaugebiet “Mosel”. Insgesamt bewirtschaftet der Scharzhof etwa 16 ha Reben, davon nur den kleineren Teil in der weltberühmten Lage Scharzhofberg, der direkt hinter dem Weingut ansteigt. Dieser Wein hier stammt von den anderen Lagen des Weinguts, die selbstverständlich auch nicht übel sind. Soweit ich weiß, sind alle Scharzhof-Weine spontanvergoren und im großen Fuderfass ausgebaut. Diese durch und durch traditionelle Behandlungsweise prägt auch den Charakter der Weine.
Sie erinnern nämlich in ihrer Art ein bisschen an den Hausherrn, jenen vierten Egon in Reihe (auch das nennt man wohl Tradition), der stets distinguiert, leise, höflich und gebildet auftritt. So etwas ist man in der heutigen Zeit von “Prominenten” kaum mehr gewohnt. In diesem Zusammenhang empfehle ich Euch wärmstens das Interview mit Egon Müller auf Hendrik Thomas TVino, das alles das zum Ausdruck bringt, was ich hier zu beschreiben versuche.
Jetzt aber konkret zu diesem Wein: 2009 war in den meisten deutschen Anbaugebieten der “große” Jahrgang mit sonnig-trockenem Wetter vor allem im September, was hohe Mostgewichte zur Folge hatte – und tendenziell eher saftig-leckere Weine nach den spröden 2008ern. Wer auf lange Sicht die Nase vorn hat von diesen so unterschiedlichen Jahrgangstypen, wird sicher immer Geschmackssache bleiben. Während der 2008er für Egon Müller ein “Kabinett-Jahrgang” war, bei dem er die höherwertigen Prädikate gar nicht erzeugt hat (manche sagen, der klassisch stahlige Saar-Jahrgang), ging 2009 alles viel leichter. Entsprechend präsentiert sich auch dieser Wein phänomenal zugänglich.
Die Farbe ist sehr blass, viel mehr weiß als gelb. In der Nase gibt er sich ungemein frisch, Zitrone, grüner Apfel, ein bisschen Lindenblütigkeit und eine deutliche Mineralität, sehr präzise. Am Gaumen folgt die konsequente Weiterführung: enorm aromatisch, fruchtig, frisch und trotz des Jahrgangs getragen von einer deutlichen Säure. Ein leichter Wein, ganz klar, aber überhaupt nicht belanglos, sondern fantastisch ausgewogen zwischen Süße und Säure. Die Süße ist übrigens nicht nur analytisch präsent, sondern auch sensorisch. Für komplett trocken wird diesen Wein niemand halten. Was mich überrascht, ist diese reife, fruchtige Offenheit. Da ist nichts Verschlossenes, Karges, aber auch nichts Hefiges. Nach einer Weile schmecke ich gewisse Kokosnoten im Antrunk, und ich glaube, dass ich mir das nicht einbilde. Selten hat mir ein so junger Wein schon so gut gefallen. Natürlich wird sich der Charakter noch verändern, die Frucht etwas zurückgehen, das Patinierte zunehmen. Trotzdem – und im Gegensatz zum 2008er – würde ich behaupten, dass dieser Wein vielleicht nie mehr Spaß machen wird als heute.
Bei meiner Bewertung schrecke ich dann auch vor wenig zurück: 9 Punkte für Eleganz, 6 Punkte für Charakter, macht insgesamt 17 MP.
Ich weiß, dass das vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen erscheinen mag, und meine Mittester haben den Wein auch wegen seiner recht geringen Nachhaltigkeit etwas weiter unten gesehen. Dennoch: Das ist für mich in seiner Kategorie fast das Optimum, und die Kategorie heißt “leichter, fruchtsüßer Riesling” und weder “Gutsschoppen” noch “Gehaltwein”. Die Bewertungsskala in vielen Weinführern hat mich in diesem Zusammenhang schon immer geärgert. Da wird beim leichteren Wein mit einer mittleren Punktzahl angefangen, und die Punkte steigern sich ganz regelmäßig über Kabinett, Spätlese, Auslese bis hin zu den Edelsüßen. Keiner traut sich mal zu sagen, dass ihm ein kleiner Wein des Hauses besser gefallen hatte, immer muss der gehaltvollere, teurere, “wertigere” auch höher bewertet werden. Mehr Zucker gleich besser hört sich fast so an wie die alte Parker-Mania mit mehr Alkohol gleich besser. Macht so etwas heutzutage noch Sinn? Teilt Ihr auch meine Vorliebe für Anti-Protz im Glas?
Wie auch immer, als Begleiter zum Essen macht so ein leichter, fruchtsüßer Riesling immer ein bisschen mehr Schwierigkeiten als beispielsweise ein fränkischer Silvaner. Ich habe heute eine Käseplatte mit verschiedenen Rohmilchkäsen und ein paar Wurstwaren dazu probiert. Ergebnis: Die meisten würzigeren und frisch-säuerlichen Käse machten sich nicht so gut, härtere Würste nur so lala. Eindeutig am besten gepasst, und zwar richtig gut, haben Saint-Nectaire (mild-süßlich-kellerartig, Kuhmilch) und Leberpastete. Geht also doch.
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