Achtung, liebe Freunde klassischer Rotweine, dies ist kein Exot! Allerdings weiß das nicht jeder. Während manche Weinliebhaber nämlich glauben, dass der Libanon doch “dieses Kriegsland im Nahen Osten” ist und niemals Wein damit in Verbindung bringen würden, verdrehen andere verzückt die Augen bei der Nennung des Namens. “Musar ist größer als Mouton”, sagte sogar einmal ein Enthusiast. Auch wenn wir das hier und heute nicht klären können, ist der Château Musar ein in jeglicher Hinsicht außergewöhnlicher Wein, den jeder in seinem Leben einmal getrunken haben sollte.
Ein außergewöhnlicher Wein hat in aller Regel einen außergewöhnlichen Menschen hinter sich, denn die Natur schafft zwar alle Voraussetzungen, aber sie macht letztlich aus vergorenen Trauben keinen Wein, sondern Pampe. Serge Hochar ist in in der Tat ein außergewöhnlicher Mensch, und seit dem Jahr 1959, als er zum ersten Mal eine Ernte in die Flasche brachte, ist er seinen Weg konsequent weitergegangen. Serge hat schon immer extrem wenig manipuliert, wenn ich das mal derart manipulativ sagen darf.
Das heißt, seine Art der Weinbereitung bewegt sich knapp oberhalb einer Naturkraft-Pampe. Stichworte dafür sind: Weinbergbearbeitung nach zertifizierten Öko-Normen, Vergären mit Spontanhefen, keine Stabilisierung, keine Schönung, keine Filtration, nur 10 mg SO2-Zugabe pro Liter (deshalb fast immer unter der offiziellen Deklarationsgrenze des Schwefelfreien, aber who cares? Serge jedenfalls nicht), getrennter Ausbau der drei Rebsorten für 14 Monate in Barriques, dann Verschneiden und weitere vier Jahre Flaschenlagerung, bevor der Wein in den Verkehr kommt. Alles bei der Weinbereitung ist also bewusst risikoreich, aber die Natur in dieser Region, in der seit 5000 Jahren Weinbau betrieben wird, kommt Serge auch zu Hilfe – Fäulnisprobleme dürften im Libanon weitgehend unbekannt sein. Würde ein Neueinsteiger mit einem derartigen Marketingkonzept bei einem beliebigen Kreditinstitut vorsprechen, er bekäme selbstredend überall einen Vogel gezeigt: Der 2003er Musar ist der jüngste, gerade in diesem Herbst auf den Markt gekommene Jahrgang – das erste Geld aus dem Weinverkauf käme also erst sieben Jahre nach der Ernte in die Kasse unseres Weinbauern.
Nun könnte ich viel über die Geschichte des Weinguts schreiben und über die vielen, fast schon als historisch geltenden Jahrgänge von Château Musar. Allerdings gibt es zwei ausgezeichnete Artikel darüber, und ich bin halt kein Freund des Plagiats. Lest also zu Eurem Vergnügen den WineDoctor zu diesem Thema (und auch sonst; das ist einer meiner Lieblings-Blogs), und lest auch den Decanter, obwohl der Artikel schon so alt ist wie der Wein, den ich heute im Glas hatte.
Jetzt aber zu “meinem” Musar: Die trübe, ziegelrote Farbe schreckt schon mal das Gros derjenigen ab, die saubere Weine schätzen: “Ist der nicht verdorben?” Nein, natürlich nicht, aber die Vinifikation auf des Messers Schneide und vielleicht auch die vielen Transportkilometer, die zwischen Weinbergen und Weinkeller liegen, haben gegebenenfalls ein klitzekleines bisschen Oxidation zugelassen. Früher war die flüchtige Säure, ein Produkt bestimmter Essigsäurebakterien, im Wein von Château Musar übrigens noch deutlich höher. Jetzt bewegt sich dieser Ton weit entfernt von demjenigen der meisten “schwefelfreien” Weine, aber eben auch noch lange nicht im Bereich eines technisch sauberen Industrieprodukts.
Geschmacklich erinnert mein Musar zunächst an reifen Châteauneuf, ölig, rotfruchtig, pfefferig wie ein Grenache. Allerdings befindet sich hier kein Grenache in der Assemblage, sondern Cinsault, Carignan und Cabernet Sauvignon. Letzteren kann ich im momentanen Zustand kaum wahrnehmen, zu sehr beherrscht die helle Erdbeer-Pfeffer-Note den Gaumen und klingt auch noch lange nach.
Diese leichte Fehlerhaftigkeit, die helle Art, die Reife, der getrocknete Thymian, alles das erinnert mich jetzt im nachhinein an zwei besondere Weine, die ich schon einmal im Glas hatte: erstens den roten Châteauneuf von Laurent Charvin, einem der wenigen dort unten, die spontan vergären und nicht entrappen, und zweitens einen Bordeaux besonders dickköpfiger Art, den ebenfalls lange (in Beton) ausgebauten und in der Flasche gereiften Château Bel Air-Marquis d’Aligre. Ich weiß, das hört sich an wie prahlerisches Name-Dropping. Solltet Ihr aber zufällig in den Besitz eines dieser drei Weine kommen, werdet Ihr merken, dass sie einfach anders schmecken als ihre Brüder aus derselben Gegend. Und das ist kein Zufall.
Ich mag diese altmodisch anmutende, charakterstarke Art und gebe dem Château Musar 6 Punkte für Eleganz, 8 Punkte für Charakter, was insgesamt 17 MP sind. Zu kaufen gibt es den 2003er Musar für 17,99 Pfund bei Waitrose in England oder z.B. in Deutschland beim “Marché du Levant” (Online-Shop) für 29,75 €.
Vielleicht noch eine kurze Bemerkung zum Abschluss: Wein ist ganz allgemein im Libanon nichts Exotisches. 60% des einheimischen Weins werden im Inland verbraucht, die bekanntesten Güter neben Musar heißen Ksara und Kefraya. Es sind allerdings weniger die Bauersleut’ selbst, die den libanesischen Wein trinken, sondern die Restaurantbesucher und feierwütigen Clubgänger in Beirut, der Shopping- und Nightlife-Metropole des Nahen Ostens. Das nur für den Fall, dass noch jemand glaubt, der Libanon läge hinter dem Mond.