Seht den Römer voll goldgelben Weins, nehmt ihn, lasst euch sanft sinken in den waldgrünen Breitcord-Sessel, vom Plattenspieler kommt Happysound zum Mitklatschen – ihr seid in den 70ern, tief in den 70ern. Der passende Wein für eine solche Zeitreise mutet für heutige Snobisten derart grotesk an, dass ich alle entscheidenden Merkmale einzeln schreibe: 1974 – Rheinhessen – halbtrocken – Kabinett – Scheurebe & Müller-Thurgau. Ebenso grotesk (obwohl… wäre heute genauso möglich – habichnichtgesagt): Goldene Kammerpreismünze Rheinland-Pfalz, Großer DLG-Preis. Kann man sowas trinken?
Natürlich kann man. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist eine gute Lagerung, und dieser Wein wurde im kühlen Keller des voll verklinkerten Hauses seit 1976 nicht mehr bewegt. Trotzdem ist der Korken morsch, ein kurzer Korken zumal. Zum Glück sind in der Nase vorerst keine Fehltöne zu bemerken. Im Gegenteil: sehr gelbfruchtig, reife Quitte, Ananas-Bananen-Sirup, Leckerschmecker-Art.
Die Farbe: ein leuchtendes, sattes Sonnengelb. Am Gaumen kommen dann wieder die ungemein fruchtigen Noten, die Säure hält sich merklich bedeckt, durch die Frucht wirkt der Wein aber noch erstaunlich lebendig. Die Lagerung hat auch die typische Parfümiertheit der Scheurebe ein wenig eingefangen, aufdringlich kommt der Wein nicht mehr daher. Dafür voll auf die Mitte. Die gelbe, vollsüße, aber nicht klebrige Frucht dominiert alles – und fällt nach dem Schlucken abrupt in sich zusammen. Da ist nichts mehr, keine Würze, keine Frucht, kein Alkohol. Alles weg.
Fazit nach einem Römer des goldgelben Saftes: viel mehr Wein als Pein. Allerdings ist die Geschichte hier derartig eindimensional fruchtig und kurz, dass doch die Frage gestattet sein darf, wer sich denn im Jahre 1975 bei der Kammer- und DLG-Preis-Probe so als Konkurrenz zur Verfügung gestellt hatte. Und noch etwas sei angemerkt: Ich persönlich finde es wirklich großartig, wenn ein solch kleiner Wein von entweder wohlmeinenden oder wenig erfahrenen Weintrinkern so lange eingelagert wird. Auch wenn ich mich jetzt ein wenig akademisch geriere, aber der geschmackliche Horizont wird nicht nur durch Spitzenweine à la Mouton-Rothschild und Konsorten erweitert, sondern eben auch durch einen solchen Wein wie diesen hier. Man muss ja nicht alles bis zum letzten Tropfen austrinken.
Puh, wo hast Du denn dieses “Schätzchen” ausgegraben? Gruslig! Ich befürchte, es gibt Menschen, die glauben, dass ein solcher Wein durch lagerung besser wird und dann etwas Wert ist. Auweh! Tapfer von dir, sowas zu verkosten…. Gruß, gery
Hallo Gery,
war aber wirklich erträglich, immerhin fruchtig und sauber, was man von einigen “Südtiroler Bauernfeinden”, die so auf Ebay angeboten werden, nicht behaupten kann. Diesen Wein haben übrigens meine Eltern so lange gelagert, Über-zwei-Ecken-Freundschaft mit dem Winzer…
Viele Grüße, Matze
Na toll, auch noch im Römer! da sieht man gleich, dass das Schund ist. Stell doch mal gute Weine vor, nicht nur so komisches zeug. Die muffi
Och Muffi, der Riesling von Kühn war doch zum Beispiel nicht schundig, der von Becker auch nicht, der Clos Rougeard alles andere als das, der Pinot Noir von Marcel Deiss ebenso. Na, sieht doch gar nicht mehr so schlimm aus, oder?!
Viele Grüße, Matze