Wein wird in den seltsamsten Gegenden der Erde angebaut, wobei nicht die Gegenden an sich seltsam sind, sondern ihre Kombination mit Weinbau. Ich spreche hier von der Südseeinsel Tahiti, von den Monsunbergen östlich der indischen Metropole Mumbai, von der mexikanischen Wüste, aber auch vom Werderaner Wachtelberg vor den Toren Berlins. In eine ähnliche Kategorie Exotismus wie Letztgenannter gehört auch dieser Wein hier, ein Chardonnay aus Ostbelgien, aus der Mitte des Städtedreiecks Aachen-Maastricht-Liège. Handelt es sich also um ein schauderhaftes Produkt, die Reben am Gartenzaun hochgezogen, um ein technisch hingetrimmtes Tröpfchen oder doch eher um eine glückliche Fügung dank globaler Klimaerwärmung? Seht selbst:
Ganz klar, Wein wurde im Mittelalter viel weiter nördlich angebaut als heutzutage, zum Teil sogar in größeren Quantitäten. Nur muss man sich die ostpreußischen, mecklenburgischen und niederländischen Weine jener Zeit anders vorstellen als unsere heutigen Weine. Aller Erfahrung nach wurden damals Honig zum Süßen und Kräuter zum Aromatisieren eingesetzt, so dass ein direkter geschmacklicher Vergleich eher unzulässig anmutet. Und dann beschränkte sich der Weinbau auch auf die milde Warmzeitperiode und war spätestens mit dem 19. Jahrhundert wieder von der Bildfläche verschwunden.
Die milden und vor allem lang anhaltenden Sommer der vergangenen Jahre (bei Trauben ist meist nicht die absolute Temperatur entscheidend, sondern die Dauer der Wachstums-, sprich Reifeperiode) haben es inzwischen möglich gemacht, auch in nördlichen Gebieten wie dem Maastal Wein herzustellen. Und das keineswegs nur aus pilzresistenten und frostharten Neuzüchtungen, sondern aus ganz klassischen Rebsorten wie diesem Chardonnay.
Benoît Heggen, der eigentlich Obstbauer ist, hat schon Anfang der 1980er Jahre das Experiment mit den Reben gewagt auf einer Parzelle, die ihm besonders geeignet erschien. Zwar besteht der Gebirgsuntergrund aus Schiefer, wie ich auch im Video behaupte, aber diese Parzelle besitzt darüber einen Kalkmergelboden, weshalb Benoît sie auch “La Marnière”, also “die Mergelige” nannte. Während er anfangs noch alle möglichen Rebsorten versuchsweise dort anpflanzte um zu sehen, ob es überhaupt funktioniert, keltert er heute vier Weine aus den Rebsorten Pinot Gris, Gewürztraminer und Chardonnay. Mittlerweile besitzt er sogar einen kleinen Weinkeller, in dem er seine Weine selbst ausbaut.
Der belgische Weinbau ist trotzdem noch weit davon entfernt, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor zu werden. Man wird sehen, was der fürchterlich kalte und nasse August dieses Jahres 2010 an Weinen zugelassen hat, um beurteilen zu können, ob man hier auch jedes Jahr vernünftige Weine produzieren kann. Aber ein Weingut ist sowohl von der Qualität als auch vom Preis in anderen Sphären zu Hause: Genoels-Elderen aus dem gleichnamigen Dorf zwischen Liège und Hasselt. Wer mit dem Flugzeug von oder nach Brüssel fliegt, kann die Weine von Genoels-Elderen übrigens auch im dortigen Shop direkt auf dem Flughafen erstehen.
Ob es sich qualitativ lohnt, Weine aus ein wenig obskur anmutenden Anbaugebieten zu kaufen, muss jeder selbst beurteilen. Eins ist aber klar: Wer einen solchen Wein seinen Freunden anbietet oder gar auf eine Party mitbringt, kann erst einmal die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden genießen.
Den von mir getesteten Wein gibt es für 9,95 € bei Stassen in Aubel, nur wenige Kilometer hinter Aachen. Dort kann man auch gut lokale Biere kaufen, dazu Apfelsaft und allerlei Kelter- und Zubereitungsgerät für den heimischen Cidre- und Weinanbau.
Interesant, was es so alles gibt! Belgischer Wein, kannte ich gar nicht davor, beschäftige mich auch eher mit den klassischen Weingebieten. Mal sehen, ob ich an einen rankomme, da würde ich meine belgischen Freunde damit überraschen. Aber ehrlich gesagt, nur wegen der Kuriosität, denn so besonders scheint er ja nicht zu schmecken … Gruß, Gery
Hallo Gery,
ich hatte mal den Chardonnay Blauw von Genoels-Elderen getrunken, der war schon recht beachtlich, wenn auch nicht großartig. Der Chardonnay Rood von ihnen soll noch besser sein, aber der kostet dann auch fast 30 €. Für einen kleinen Spaß ist das doch etwas zu viel, aber die Produzenten nehmen das ja auch wirklich ernst und wollen alles andere als ein Spaßanbieter sein. Ich muss aber zugeben, dass ich bislang von den (ausgewählten) belgischen Biererzeugnissen eher eingenommen bin als vom Wein…
Grüße Matze
Das wäre auch gut, mal was über die belgischen biere zu erfahren. man hört ja immer soviel darüber, aber außer dem Trappistenbier und dem Kirschzeug kenne ich gar nichts. Gibts bestimmt auch Qualitätsunterschiede, oder? Gruß, gery
Aber ja, gerade beim Kirschbier ist die ganze Bandbreite drin zwischen Glukosesirup und wimmelnden E-Stoffen bis zum Mitfermentieren handgepflückter alter Kirschsorten. Da sollte wirklich demnächst mal was kommen…