Die VDP-Weinbörse in Mainz ist alle Jahre wieder das große Stelldichein der Spitzenwinzer und eine Art Klassentreffen mit Arbeitseinsatz für die Gastro-Handel-Weinprofi-Branche. Es geht um das Auffrischen von B2B-Kontakten, manchmal um das Anbahnen neuer Geschäfte, daneben natürlich auch um den neuen Jahrgang, die spannendsten Weine, den großen Überblick. Letzteren kann man niemals über alles bekommen, was in Deutschland an Hochkaräter-Weinen produziert wird. Aber wenn man sich ein wenig fokussiert auf dieses oder jenes Thema, dann klappt das schon ziemlich gut. Besser jedenfalls als an fast jedem anderen Ort. Mein Fokus diesmal: Spätburgunder, Pinot Noir, eleganteste Rotwein-Rebsorte der Welt. Momentan gerade ein bisschen schwierig zu verkaufen, aber immer wunderwunderschön. Kommt also mit auf meinem Parforce-Ritt durch Spätburgunder-Deutschland.
Spätburgunder in Mainz
Natürlich kann ich mir einen Kommentar zu der Situation oben auf dem Foto nicht verkneifen. Wir alle standen am Sonntag um 11:30 Uhr (dem Öffnungszeitpunkt der VDP-Weinbörse) in der Kassenschlange der Hölle, die sich einmal rund um den Platz vor der Rheingoldhalle zog. Die größten Pechvögel über 90 Minuten. Und das, obwohl fast alle Besucher:innen vorher registriert waren und ihren QR-Code dabei hatten. Ein Glück, dass Deutschland in aller Welt wegen seiner Lebensfreude und weniger wegen seines Organisationsgeschicks bekannt ist. Hätte sonst peinlich wirken können.
Die Spätburgunder auf den folgenden Fotos besitzen übrigens nur ein Ordnungsmerkmal, und das ist die Reihenfolge auf meinem Rundgang. Damit ihr euch einigermaßen orientieren könnt, was ich da probiert habe, habe ich versucht, aus dem letztjährigen Vinum-Guide einfach Preis und Bepunktung des (meist) Vorgängerjahrgangs herauszusuchen. Wie gesagt, allein zur groben Einordnung, die neuen Preise sind natürlich anders. Jetzt aber los, Spätburgunder galore!
Steintal, Franken
Klingenberg Alte Reben 2021 (Vinum: 90 Punkte, 29 €, genau dieser Jahrgang): Ein sehr nettes Gespräch hatte ich mit Jonas Hirn vom Weingut Steintal. Die krasse Reduktion ist absolut weg bei den Großheubachern, nur noch ganz zart beim Klingenberger. Dies war sein Lieblingswein wegen des etwas schwierigen, kühlen Jahrgangs, der echte Cool Climate-Produkte erbrachte. Viele Winzer hatten da eine ähnliche Meinung. Frisch, etwas verschlossen, fokussiert, sehr guter Wein, wie eigentlich die gesamte Kollektion.
Fürst, Franken
Großheubach 2022, neu: Das Weingut Fürst braucht man Spätburgunder-mäßig nicht vorzustellen, diesen Wein schon. Der Großheubacher stammt aus dem Bischofsberg, und zwar aus dem rechten Teil, wenn man davorsteht, eher am Hangfuß. »Man kommt noch mit dem Schlepper durch«, sagte mir Paul Fürst grinsend, »und das ist gut so, Steine haben wir nämlich genug«. Der Wein präsentiert sich erst gleitend-elegant, dann mit ordentlichem Säurebiss und präsenter Gerbstoffstruktur. Auf Anhieb fast schon ein Klassiker, würde ich sagen.
Höfler, Franken
2samkeit Michelbach 2021 (88 P, 16,90 €, dieser Jahrgang): Eine meiner persönlichen Entdeckungen der Weinbörse, obwohl ich das Weingut natürlich schon kannte. Wahrscheinlich hätte ich diesen Spätburgunder nicht probiert, wären die Urgesteins-Rieslinge nicht so toll gewesen. Aber sie können auch Rot in Michelbach! Leicht laktisch, helle Frucht, eher Erdbeere, aber pikant und nachhaltig, geht in die Christmann-Richtung.
Luckert, Franken
Maustal GG 2020 (93 P, 55 €, dieser Jahrgang): Hellfarbig, Nase auch mit diesen helleren Noten, ein wenig balsamisch. Im Mund dann dicht, extrem würzig, gewisses Tannin, ein bisschen klebrig wirkende Beeren. Ich mag die Luckerts als Menschen, ihren Ansatz, ihren Mut, ihren Schwung, und ich mag auch ihre Silvaner. Wieso ich mich aber jedesmal mit dem großen Roten schwer tue, weiß ich auch nicht, ist aber so. Gegenmeinungen willkommen…
Dr. Heger, Baden
Schlossberg GG 2020 (93 P, 55 €, dieser Jahrgang): Strenge ist das bestimmende Stilelement der Spätburgunder von Dr. Heger. Der Ihringer Ortswein berückt oder vertreibt mit krassem Säurebiss, der Vordere Winklerberg hat mehr Holzeinfluss zu bieten, und schließlich kommt noch der Schlossberg. Reduktiver Anklang, Rauch, Himbeerfrucht, Johannisbeersäure, vergleichsweise noch am geschmeidigsten, aber das sind alles konsequent enge, derzeit noch ein bisschen unzugängliche Weine. Wer sie zwecks Reifung in den Keller legen möchte, sollte meiner Meinung nach bereits ihr jetziges Erscheinungsbild mögen.
Graf Neipperg, Württemberg
Ruthe GG 2021 (89 P, 30 €, der Vorgänger): Komplett andere Vorlieben werden beim Grafen Neipperg bedient. Der 2020er hatte 14,5 vol%, der 21er sicher etwas weniger, aber dennoch bleiben wir hier auf der Kraftseite. Dunkle Farbe, Nase waldgrün, frisches Moos, Lorbeerblatt. Im Mund kräuterig, geschmeidiger als Heger, aber eben vor allem mit deutlich mehr Power, Würze, auch Tanninen. Mein persönlicher Spätburgunder-Stil ist das nicht, und ich finde die Lemberger von Neipperg bei weitem harmonischer. Aber ein sehr geschätzter Kollege von mir liebt die Kraftburgunder, und zum Glück sind Geschmäcker ja verschieden.
Salwey, Baden
Kirchberg GG 2020 (95 P, 80 €, lustigerweise der Nachfolger von diesem hier): Bereits beim »kleinen« Salwey gibt es wieder einen kompletten stilistischen Turnaround, diese Tour beginnt mir wirklich Spaß zu machen. Hell wirken die Weine, leicht, fast federleicht in der Materie, und das liegt nicht primär daran, dass sie wenig Alkohol hätten. Vielmehr besitzen sie mehr Kohlensäure im Antrunk, das bringt eine gewisse Animo mit hinein. Der Kirchberg allerdings präsentiert sich schon ein wenig fortgeschrittener. Bereits in der Nase leicht rappig, im Mund noch deutlich mehr, buschiger, ein angenehmes Grün, wenn man das so sagen kann. Dazu kommen Rauchnoten, spürbare Extraktsüße an der Zungenspitze, im Moment nicht gerade ein Monster an Tiefe, aber eigenwillig und natürlich sehr entwicklungsfähig.
Schlör, Baden
Reicholzheimer First 1G 2022 (nicht eingereicht, etwa 25 €): Im Herbst kommt der Wein in den Verkauf, gerade gefüllt, aber man spürt schon den Charakter des Jahrgangs. Die Schlörs lieben wie die Neippergs die Reife in ihren Spitzenweinen, und auch hier gibt es viel reife aber nicht überkochte Himbeere und eine mutige Gerbstoffstruktur. Entweder reifen lassen oder zum kräftigeren Essen reichen. Das ist ja ohnehin die Krux des Solotestens wie hier: Die Weine wollen eigentlich Speisenbegleiter sein, das darf man nie vergessen.
Schlumberger-Bernhart, Baden
Klosterwingerte GG 2020 (90 P, 35 €, dieser Jahrgang): Neulich hatte ich den Gutedel Orange probiert und fand ihn richtig gut. Das Weingut ist jetzt auch in der Bio-Zertifizierungsphase, nachdem sie schon seit 2009 unzertifiziert so unterwegs waren. Die Roten haben mich allerdings weniger begeistert. Wenn ich jetzt das Wort »deutschsüffig« benutze, meine ich damit einen eher hellen, erdbeerigen, leicht röstigen, fast ein wenig spritzigen Typus. Das macht durchaus Spaß – gehört aber vielleicht nicht unbedingt in den GG-Bereich.
Stodden, Ahr
Sonnenberg GG 2021 (94 P, 62 €, dieser Jahrgang): Auch bei Alexander Stodden fange ich unten erst ein bisschen enttäuscht an. Alle Weine sind entrappt, Reinzucht, Barriques, so ganz dernier cri ist das vielleicht nicht mehr, der J und der JS okay, der Frühburgunder gar ein wenig sumpfig-balsamisch, erst der Recher Ortswein schöner. Da man aber den Tag nicht vor dem Abend mies machen soll, kommt dann dieser Wein: Hell in der Frucht, aber sehr elegant, feines Tannin, gute Reife, Pikanz, fast leichtfüßig, aber eben mit Nachhall. Meine persönliche Erfahrung (nicht nur hier): Wer von der Ahr richtig Gutes haben möchte, muss die Großen kaufen. Unten spürt man das noch nicht so – anders als bei Rings und Konsorten.
Franz Keller, Baden
Achkarren 2022 (91 P, 32 €, der Vorgänger): Im Hause Franz Keller sind die Ortsweine preislich aber auch qualitativ schon auf dem Niveau von sagen wir Marsannay angeordnet. Darunter finde ich es ehrlich gesagt auch weniger lohnend. Bläulich jung ist der Achkarrer (kommt im September auf den Markt), dichte Frucht, spürbarer Holzeinsatz. Haut mich nicht unmittelbar vom Hocker, aber natürlich ist das schon ein guter Wein.
Huber, Baden
Malterdingen Alte Reben 2022 (nicht angestellt): Oh oh, denke ich, als ich zunächst den »normalen« Ortswein probiere, das wird wieder so eine Sache… Es gibt ja ausgesprochene Fanboys, die alles von meinetwegen Huber oder KP Keller bejubeln, weil sie aus irgendeinem Grund das Gefühl haben, »eingeweiht« zu sein. Was ist aber, wenn die Weine wirklich so gut sind? Ich habe seit langem immer wieder Huber-Weine getrunken, und ich muss sagen, dass für mich persönlich zwischen Malterdingen 2007 und Malterdingen 2022 echte Welten liegen. Nein, nicht nur stilistisch, auch qualitativ. Dasselbe gilt für die Alten Reben 2022, blaurot, keinerlei reduktive Noten im Moment, Sauerkirsche, beginnende Geschmeidigkeit, nie zu heiß, erst recht nicht belanglos. Gut, wer Tiefe und Substanz haben möchte, muss noch höher gehen, aber der Julian Huber-Stil zeigt sich schon im kleinsten Wein. Und das gefällt mir.
Aldinger, Württemberg
Gips Marienglas GG 2021 (92 P, 42 €, dieser Jahrgang): Inkonsequenterweise gehe ich bei den Aldingers gleich ganz oben ran, aber das liegt primär daran, dass es hier eine viel größere Rebsorten- und entsprechend Weinvielfalt gibt. Wesentlich reduktivstinkiger in der Nase als Huber und im Mund auch ziemlich polarisierend. Da gibt es eine veloursgleiche Textur, unvergleichlich samtig, dann aber aromatisch einen Säurebiss, eine Strenge, eine sehnige Art, dass es einem fast die Schuhe auszieht. Jedenfalls jetzt im Moment eher ein Wein für Sommeliers als für ihre Kunden.
Rings, Pfalz
Kallstadter Steinacker 1G 2022 (92 P, 55 €, der Vorgänger): Es gibt keinen märchenhafteren Aufstieg in Spätburgunder-Deutschland, nein, in ganz Wein-Deutschland in den letzten Jahren. Bei den Rings-Brüdern spürt man auch vom Gutswein an, was sie stilistisch machen. Das hatte ich schon beim 2019er gemerkt. Tatsächlich habe ich aber das Gefühl, dass 2022 wieder ein Quäntchen weniger »ähnlich« geworden ist, da unterscheiden sich die einzelnen Weine etwas mehr untereinander. Der Steinacker jedenfalls zeigt deutlich Verbena in der Nase, und eigentlich prägt diese grünfrische Note auch im Mund den Charakter. Zu diesem fast limettigen Touch kommt aber eine enorm schmelzige Textur. Ich fühle mich irgendwie an Cool Climate-Oregon erinnert oder das neue Kalifornien nah am Pazifik. Sollte man auf jeden Fall probieren.
Allendorf, Rheingau
Assmannshäuser Frankenthal 2020 (88 P, 24 €, dieser Jahrgang): Irgendwer hatte mir Allendorf empfohlen, zwar vielleicht eher die Rieslinge, aber warum nicht mal Spätburgunder aus Assmannshausen? Wir sind beim Frankenthal ja jenseits des Rheinknicks und gefühlt schon mehr im Mittelrhein. Der Wein wirkt erst hell, zeigt dann aber heftig Pfefferwürze, Süßkirsche, fast Hagebutte. Das ist zwar noch nicht überreif, aber schon heiß, nicht so mein Stil. Ich weiß, dass Chat Sauvage und Solveigs hier ähnliche Ansätze fahren und kann das auch ebenso respektieren wie ich Beethoven respektiere. Aber persönlich neige ich eher zu einem entweder schlankeren oder fruchtdichteren Typ.
Heymann-Löwenstein, Mosel
Schieferterrassen in Rot 2020 (nicht eingereicht): Der zweite Tag startet mit einem längeren Gespräch mit Reinhard Löwenstein. Die 2021er Rieslinge sind übrigens großartig, das nur nebenbei. Aber Spätburgunder erwartet man an der Terrassenmosel ja nicht unbedingt. »Nein«, sagt Reinhard, »genau das dachte ich auch jahrelang! Ich kannte vom Schiefer nur die fetten Ahr-Spätburgunder, und sowas wollte ich nicht haben. Schließlich ist Hanspeter Ziereisen gekommen und hat mir den Kopf gewaschen. Die Trauben wären super, das könnte man stilistisch doch auch ganz anders machen.» Tochter Sarah sei dann zu den Ziereisens gegangen, und das Ergebnis könne man hier sehen: Roter Riesling in Reinform. »Hätten wir schon viel früher machen sollen!« Kräuter, Unterholz, Cranberries, ungeheuer filigran, lustigerweise viel zarter als ihre Rieslinge. Ein Wein, den man wegen seiner zarten und leisen Art leicht unterschätzen kann. Sollte man aber nicht.
Maximin Grünhaus, Mosel
Grünhäuser Pinot Noir 1G 2022 (89 P, 39 €, der 2020er): Hier soll also das erste Spätburgunder-GG der Mosel entstehen. Findet Reinhard Löwenstein unnötig, aber vielleicht will man Markus Molitor beim VDP ja jetzt doch mal eingemeinden. Wie auch immer, hier gibt es nur eine Fassprobe, und ich muss ganz persönlich sagen, dass ich doch mehr auf die (köstlichen) Kabinette des Hauses stehe. Hier sind wir nämlich Pinot-stilistisch an der »heißen Ahr«. Nase mit vielen Kräutern, durchaus kühler in der Frucht, dann aber mit viel Würze und einem gewissen Alkoholfeuer. Gut, ja, man kann bestimmt wunderbar Rehbraten dazu essen…
Am Stein, Franken
Würzburger Innere Leiste 1G 2019 (nicht eingereicht, 22 €): Die Würzburger Innere Leiste ist zwar eine Top-Lage, aber es handelt sich um Muschelkalk, und in Franken hält sich hartnäckig die Meinung, dass man auf Muschelkalk keine Top-Rotweine machen kann. Ich wäre mir da nicht so sicher. In der Nase ist das hier jedenfalls schon mal ein sehr vielversprechendes Produkt: Sauerkirsche, leicht ätherisch, fragt sich nur, ob es dann eher schmelzig oder eher knackig wird. Der Mund verrät’s: eher knackig. Es gibt eine feine Herbe, aber hier im echten Wortsinne, und eine kirschkernige Frucht. Das hat nicht dieses Gleitende, Tiefe, aber das Gerüst stimmt total.
Schwab, Franken
Thüngersheim 2022 (87 P, 9,70 €, der Vorgänger): Ich plaudere ein wenig mit Martin Schwab, dass ich jetzt auf einer Spätburgunder-Runde unterwegs sei, aber da sei ja in Maindreieck und Steigerwald wenig zu holen. »Naja«, meint er, »einen hab ich schon dabei«. Was er kosten sollte, wusste ich natürlich nicht. Ich notiere deshalb: hellfarbig, viele Kräuter, im Mund eher wenig intensiv, guter Speisenwein. Aber für (der aktuelle Preis) 10,30 € ist das tatsächlich mehr als anständig.
J. Neus, Rheinhessen
Horn GG 2021 (92 P, 47 €, dieser Jahrgang): Wie viele andere habe ich auch die Wiedererweckung dieses Traditionsbetriebs gefeiert, umso mehr, als dann gleich von Anfang an extrem mutig konzipierte Weine auf den Markt kamen. Die Frage war für mich allerdings: Wie viele Flaschen extrem reduktivstinkigen Roten verkauft man eigentlich? Wollen die meisten Leute nicht einfach einen Spätburgunder frisch aufziehen und sich an Frucht und Eleganz erfreuen? Wahrscheinlich ist das so, denn ein bisschen sanfter sind die Neus-Weine definitiv geworden. Ein bisschen. Denn auch beim Horn gibt es Reduktions-Rauch in der Nase. Dann kommt ein ordentlicher Säurebiss im Mund, ein schlanker Charakter (12,5 vol%) und natürlich die Neus-typische herbe Cassis-Note. Typisch 2021 ist das auch, und immer noch recht mutig.
Gutzler, Rheinhessen
Morstein GG 2021 (92 P, 45 €, der Vorgänger): Die Gutzlers machen großartige Weine, aber das hat sich vielleicht noch nicht überall herumgesprochen. Zum einen finde ich den Holzeinsatz in der Spitze immer passender (war mir früher manchmal zu stark, beim Ortswein weiterhin), zum anderen sind das echte Spätburgunder-Idealtypen. Dicht in der Frucht, gehoben in Säure und Tannin für ein längeres Leben, aber trotzdem fein, rotfruchtig. Möglicherweise ist es auch dieses Nicht-Extreme, was bei den heutigen starken Stil-Positionierungen beim Quervergleich nicht gleich total heraussticht. Wie auch immer, toller Wein, fand ich sogar noch besser diesmal als das Brunnenhäuschen. Auch groß: der Kleine (!) Fränkische (!) Burgunder (!).
Kloster Eberbach, Rheingau
Assmannshausen 2022 (89 P, 17,20 €, der 2020er): »Ja«, meint Gutsleiter Dieter Greiner, »ist halt ein einfacher Trinkwein«. Er spricht über den Roten ganz rechts, die Edition S, aber ich bin beim Probieren wirklich verblüfft. Wenn nicht ein ganz bisschen Tannin drin wäre, würde ich blind allen Ernstes auf einen Weißen tippen, so viel frische Fruchtsäure hat der Kleine. Das kann an heißen Tagen wunderbar sein. Der Assmannshäuser links daneben wirkt zwar etwas dichter, bleibt aber enorm leichtfüßig (beide 12,5 vol%). Kein riesiger Anspruch, aber solche Flaschen werden erfahrungsgemäß immer als erstes leer. Der Wein links ist Dieter Greiners Liebling derzeit, der 21er aus dem Höllenberg. »Ein Jahrgangs wie früher, sowas muss man lagern«, sagt er und reiht sich damit unter die vielen Winzer ein, die ähnlich denken. Im Moment ist der Wein noch verschlossen, extrem zurückhaltend, aber das wird bestimmt sehr schön.
August Kesseler, Rheingau
Assmannshausen 2022 (90 P, 24 €, der 2020er): Mein letzter Roter auf der Weinbörse und stilistisch ein deutlicher Unterschied zum schlanken Eberbacher. Ist auch logisch bei 14 vol%. In der Nase gibt es viel süßkirschige Reife, aber nichts Überkochtes. Im Mund steht eine gefällige, extrem weiche Frucht einem durchaus kräftigen Tannin entgegen. Das ist gerade mit dem unterschwelligen Wumms ein Stil, der sicher seine Liebhaber hat. Und vielleicht passt er (siehe Allendorf oder die erwähnten Chat Sauvage, Solveigs etc.) auch zum dunkelheißen Terroir. Trotzdem ist das einfach nicht so meine bevorzugte Richtung.
Spätburgunder woanders…
Sehr praktisch direkt am Südausgang des Mainzer Hauptbahnhofs gelegen, fand (fast) parallel zur VDP-Weinbörse auch noch eine zweite interessante Weinveranstaltung statt, die von Demeter organisierte »Biodynamic Wine Fair«. Erwartungsgemäß komplett anderes Ambiente, teils sehr mutige Weine in einem breiten Qualitätsspektrum, für mich jedenfalls eine sehr gute Ergänzung.
Schönhals, Rheinhessen
Biebelnheimer Pilgerstein 2020 (nicht gelistet, wie das gesamte Weingut, kostet aber 25 €): Rheinhessen ist schon ganz schön komplex. Es gibt Biebelsheim und Biebelnheim (das hier), und der Pilgerstein befindet sich auf einer Anhöhe nördlich des Ortes. Auch das Portfolio des Weinguts Schönhals ist sehr komplex. Ich hatte Hanneke bei den Zukunftsweinen kennengelernt, aber tatsächlich gibt es hier alles vom halbtrockenen Piwi über den wilden Natural bis zum klassischen Roten. Noch, würde ich sagen, denn das ist ein spannendes Weingut in motion. Der Guts-Spätburgunder 2021 (genau 10 €) ist ein heller, frischer, sehr ansprechender Wein. Dieses Exemplar hingegen erscheint deutlich dichter, gleichzeitig kraftvoll und samtig, für mich momentan noch ein bisschen zu stark vom (guten) Holz geprägt. Der Aufbau stimmt aber total.
Kopp, Baden
Réserve 2021 (nicht eingereicht, 25 €): Eigentlich wollte ich nichts darüber schreiben, und ich mag die Vinum-Leute ja auch. Aber bei der Bewertung der Kopp’schen Weine habe ich mich schon gefragt… Da geben sie einem Wein 91 Punkte und im Jahr danach demselben (!) Wein 85. Also ehrlich, da ist doch nicht der Wein erklärungsbedürftig, sondern die Bepunktung. However, dieses Exemplar sollte eigentlich völlig unpolarisierend sein: Fruchtige Nase, Süß- und Sauerkirsche, im Mund eine sehr schöne Säure- und Gerbstoffstruktur, dicht und ausgewogen für den leichten Alkohol (12,5 vol%), etwas ätherisch, geht stilistisch eher in die Rings-Richtung. Das muss doch einfach gut ankommen, ein richtig schmackhafter Roter.
Meyer-Näkel, Ahr
S 2021 (90 P, 36 €, dieser Jahrgang): Auf der ProWein hatte ich schon bei Meyer-Näkel probiert, und ich weiß ja, dass die Spitzen der Schwestern überall begeistert aufgenommen worden waren. Das übrigens nicht nur wegen des Ahr-Katastrophen-Sympathiebonus. Ich habe deshalb sozusagen »von unten« probiert und dabei etwas Ähnliches wie bei Stodden festgestellt: Erst mit dieser Steillagen-Selektion sind wir stilistisch und qualitativ da angekommen, wo ich das Weingut eigentlich sehe.
Adams, Rheinhessen
Ingelheimer Pares 2021 (94 P, 79 €, der Vorgänger): Diesen Wein von Simone Adams hatte ich vor wenigen Wochen bei der K&U-Hausmesse probiert. Ich schrieb seinerzeit, der Ortswein sei noch robust, der Horn dann schon sehr fein, aber der Pares stellt einfach die absolute Spitze dar. Viel Sauerkirsche, extrem raffinierter Holzeinsatz, seidig und tief. Natürlich, der Wein hat seinen Preis und ebenfalls natürlich, auch wenn nur wenige Kilometer dazwischen liegen, sind das hier geologisch und mikroklimatisch völlig andere Verhältnisse als im Rheingau. Aber vielleicht wäre es ja möglich, dass man sich dort ein bisschen von so einem Wein hier inspirieren lässt. Klonenauswahl, Bodenbearbeitung, Kellerentscheidungen, was weiß ich. Großes Kino jedenfalls.
Christmann, Pfalz
Gimmeldinger Schlössel 1G 2020 (90 P, 38 €, dieser Jahrgang, allerdings schon im 23er Guide): Schlössel ist gegenüber Biengarten und erst recht Idig sicher die etwas unbekanntere Lage im Christmann-Programm. Auch diesen Wein hatte ich bei K&U probiert. Da schrieb ich, dass mich dieser helle, zarte, aber letztlich nachhaltige Stil ein bisschen an Comte Armand erinnert, zumindest zur Zeit von Benjamin Leroux. Das ist mehr Walderdbeere als Sauerkirsche oder gar Cassis, mehr für helles Geflügel als für Rehbraten, wenn man schon im fleischigen Milieu argumentiert.
Mein Fazit – Was man stilistisch nicht alles machen kann…
Ich komme zum Ende. (Man hätte es fast nicht mehr gedacht, und es erinnert mich auch arg an die »Ich komme zum Schluss«-Ankündigung eines Redners, der bereits jetzt überzogen hat, in seinem Manuskript aber erst auf Seite 13 von 30 ist. Anyway.)
Mir ging es bei diesem wilden Ritt über die Weinbörse 2024 und einige Abschweifungen darum, den Stil zu erkennen, den Spätburgunder auf Top-Niveau derzeit in Deutschland ausmacht. Herausgekommen ist die Erkenntnis, wenn irgendwas dominiert, dann ist es die Vielfalt. Gut, Restzuckerwerte oberhalb von 3 g sind in diesem Bereich extrem selten geworden. Ansonsten aber scheint alles möglich.
Da gibt es Protagonisten, die »Cool Climate« absolut wörtlich nehmen mit früher Lese, leichtem Alkohol, viel Säure, wenig Extraktion. Das Ergebnis sind zarte Weine, denen man sich ein bisschen länger widmen muss, um sie wirklich zu verstehen.
Auf der anderen Seite können deutsche Spitzenlagen, die ja historisch immer auf der Suche nach Sonne, Wärme und Liebe waren, mittlerweile ganz schön heiß werden und deshalb auch den fruchtgeschrumpften, starken Typus hervorbringen. Meins ist das nicht, und zwar nicht deshalb, weil ich diesen Typus an sich ablehne. Es gibt wunderbare Châteauneufs. Nur ist ausgerechnet der Spätburgunder wie keine andere Rotwein-Rebsorte dazu in der Lage, Eleganz und Finesse zu transportieren. Und diese Chance, finde ich, sollte man ihm doch geben.
Der momentan angesagteste Stil erinnert mich ein bisschen an die Pazifikweine, das neue Kalifornien. Viel sauerkirschige Frucht gleich zu Anfang, feines Holz, enorm samtige Textur, aber gleichzeitig ein ordentlicher Säurebiss. Die Reduktionsnoten scheinen ein bisschen zurückzugehen, aber im Prinzip spürt man sie immer noch im Hintergrund.
In jedem Fall gibt es in Deutschland großartige Spätburgunder, die auch im Export immer besser funktionieren müssten. Und bei dieser stilistischen Vielfalt auf hohem Niveau können alle ihren Lieblingswein finden…
Hallo Matthias,
was ist in Deiner Nase ein kleiner Reduktionsstinker und was ein großer?
Will ich es überhaupt tolerieren, wenn ein Wein stinkt? Wein kann ja auch duften! Ist der “kleine Reduktionsstinker” als eine unvermeidbare Begleiterscheinung, um schlanke, im Alkohol leichte Spätburgunder aus Spontanvergärung zu bekommen?
Oder ist ein wie auch immer stinkender “Stinker” ein Fehler, eben weil er stinkt?
Ist ein Reduktionsstinker sozusagen ein “Jugendsünde” eines sich entwickelnden Weins, die mit Flaschenreife verschwindet?
Bin gespannt!
Naja, du weiß ja hoffentlich selbst, dass es sich beim Geschmack um eine persönliche und zudem ziemlich stark relative Sache handelt. Da lässt sich der Unterschied zwischen klein und groß nicht wirklich mit einem mit dem Nasenapparat gemessenen Wert festmachen 😉 . Ein »kleiner« Stinker ist für mich einer, den ich wahrnehme, der aber nicht das gesamte Nasenbild dominiert. Wenn du hinter dem Stinker beim Spätburgunder keine Frucht mehr wahrnehmen kannst, dann ist es ein »großer«.
Meine persönliche Erfahrung sagt mir, dass die kleineren Stinker sich zum Teil bereits auflösen, wenn du dem Wein zwei Stündchen Luft gibst. Oder, wie du sagst, mit zunehmender Flaschenreife verschwinden. Bei den »großen« hilft natürlich auch viel Luft, aber da habe ich schon öfter festgestellt, dass die durchs Lagern nicht komplett weggehen. Das mag man dann (ja, es gibt Fans) oder eben nicht (dann wird man das als »fehlerhaft« wahrnehmen). Beim großen Knewitz-Chardonnay (großartiger Wein übrigens von der Struktur her) fand ich das nach Jahren noch spürbar, bei ein paar Roten aus dem Roussillon, den Steintal-Spätburgundern vom Ende der Zehner-Jahre, wie gesagt bei Neus, na, da kommen schon ein paar zusammen. Aber halt nie nach dem Ein/Aus-Prinzip, vielleicht spielen gar Lagerbedingungen auch eine Rolle. Jedenfalls habe ich noch keinen Wettbewerb gemacht, bei dem ich mir zehn Jungstinker in den Keller gelegt hätte, um dann im Quertest nach fünf Jahren zu schauen, welcher noch am meisten stinkt 😉 .
Passiert häufiger bei Spontangärung und gewünscht leichtem Alkohol, das denke ich auch, aber unvermeidlich sicher nicht. Wir können ja mal Beispiele sammeln, wenn wir welche probieren…