[In Kooperation mit dem Weingut Brüder Dr. Becker] Es gibt nicht viele Weingüter, die ich als Lieblingsweingut bezeichnen würde. Insofern freut es mich sehr, dass ich die Möglichkeit habe, euch hier von einem solchen berichten zu können, dem Weingut Brüder Dr. Becker. Oben auf dem Titelbild seht ihr Lotte Pfeffer-Müller. Sie führt zusammen mit ihrem Mann Hans das Weingut im rheinhessischen Ludwigshöhe. Obwohl Silvaner mengenmäßig in Rheinhessen nach wie vor eine gewisse Rolle spielt (immerhin ist es das größte Silvaner-Anbaugebiet der Welt), haben die meisten Weingüter lediglich einen Schoppenwein dieser Rebsorte im Portfolio. Nicht so bei Lotte und Hans. Hier gibt es gleich drei Silvaner, die wirklich extrem unterschiedlich sind. Von jenen (und natürlich auch davon, weshalb ich das Weingut so schätze) könnt ihr hier lesen.
Auf Radtour am Roten Hang
Eigentlich scheint am Roten Hang bei Nierstein immer die Sonne. Und tatsächlich ist das auch fast auf der ganzen Strecke der Fall. Aber ausgerechnet als ich mit meinem nur bedingt geländegängigen Rad das Gemeindegebiet von Ludwigshöhe erreiche, schiebt sich eine hartnäckige Wolke dazwischen. Solltet ihr Ludwigshöhe nicht kennen, es sei euch verziehen, denn der Ort besitzt lediglich 554 Einwohner. Aber er stellt, nur rund sieben Kilometer südlich von Nierstein gelegen, sozusagen die Verlängerung des Roten Hanges dar. Oben an der Aussichtskante dominiert dabei der Kalkstein, unten am Hangfuß ist das Reich des Löss. Genau hier befindet sich das Weingut Brüder Dr. Becker.
Weindorf Ludwigshöhe
Das große, mit wildem Wein bewachsene Gebäude ist das Haupthaus des Weinguts, die beiden kleinen Häuser links gehören auch mit dazu. 11 ha stehen hier unter Reben, die alle nicht weit entfernt liegen. Der Name Brüder Dr. Becker stammt noch von den Brüdern Johann und Jacob, die das Weingut Ende des 19. Jahrhunderts aus dem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb der Eltern entstehen ließen. Seitdem wurde der Betrieb immer von der Mutter auf die Tochter weitervererbt, und ihr kennt ja die patriarchalische Namensweitergabe. Lotte Pfeffer ist also die echte Urgroßtochter Becker, sie heißt nur nicht so. Aber ich wollte euch ja erzählen, was mir an diesem Weingut so gefällt.
Erst einmal handelt es sich um einen Betrieb der vielfachen Mitgliedschaften. Das Weingut ist im VDP, ist bei Demeter und vor allem Gründungsmitglied dessen, was dann später zu Ecovin wurde. Lotte fungierte sogar als Ecovin-Vorstandsvorsitzende, hat also nicht nur Ahnung von (ökologischem) Weinbau, sondern auch von Weinbaupolitik. Das alles aber wird eingebunden in ein Erscheinungsbild, das meilenweit von marktschreierischem Aufputschen entfernt ist. Wahrscheinlich wäre es den beiden sogar unangenehm, wenn sie wüssten, dass ich sie hier so lobe. Deshalb gleich mal eine Relativierung, um die Lobhudelei abzudämpfen: Sympathie ist bei Winzerinnen und Winzern schön, aber nur halb so viel wert, wenn die Weine nichts taugen. Schauen wir uns also die Silvaner an.
Brüder Dr. Becker – Grüner Silvaner 2021
Der 2021er Gutssilvaner (8,50 € im Online-Shop) gibt gleich nach dem Öffnen seinen Charakter preis. 2021 ist praktisch ganz Deutschland von Frische geprägt, und das steht jungen Weinen in aller Regel sehr gut. In der Nase gibt es grünen Apfel, Birne und Wiesenkräuter. Im Mund merkt man, dass der Wein nicht zu leichtfüßig ist, sondern durchaus eine gewisse Substanz besitzt. Im Verein mit der fast limettigen Frische ist das ein wunderbarer Sommerwein, den man gar nicht intellektualisieren muss. Schmeckt, passt zu vielen Speisen und ist – nur zur Erinnerung – bereits aus biodynamischer Herstellung.
Brüder Dr. Becker – Silvaner Ludwigshöhe 2021
Der Ortssilvaner wurde gerade erst frisch gefüllt. Dass man einem solchen Wein (16,50 € im Online-Shop) ein bisschen Zeit gibt, passt natürlich auch zur sonstigen Philosophie im Hause Brüder Dr. Becker. Als ich den Wein öffne, spüre ich zwar die reife Birne im Hintergrund, aber vorn stehen derzeit noch die Ausbaunoten. Zimt und Zeder vom Holz zum Beispiel. Auch im Mund denke ich, dass die Materie durchaus noch ein wenig reifen kann, um in das Stadium echter Harmonie zu kommen. Lustigerweise zeigt der Praxistest am Esstisch (es gab Bachsaibling und danach eine Käseplatte), dass genau diese Flasche als erste leer ist. Und ja, zugegeben, der Ortssilvaner schmeckt auch jetzt schon sehr gut. Zumal es sich mit 12,5 vol% wiederum um einen eher schlanken, am Ende dann aber erstaunlich feinwürzigen Typus handelt. Trotzdem, das ist so burgundisch bereitet, dass ich den Wein gern in ein paar Jahren erneut probieren möchte.
Die Trauben für den Ortssilvaner wachsen oberhalb des Dorfes. Im Grunde kann man vom Weingut selbst direkt den leicht ansteigenden Hang hochgehen. Auf der vierten Stufe von unten stehen die alten Silvanerreben. So schwer zu finden sind sie auch gar nicht, denn man sieht ehrlich gesagt schon an der Bodenbearbeitung, dass sich das Weingut von so manchen “Kahlspritzer”-Nachbarn unterscheidet.
Brüder Dr. Becker – Silvaner Orange Pure 2020
Da ich jetzt schon mal halbwegs oben am Hang angekommen bin, gehe ich einfach ein paar Schritte aus dem immer wieder von Hecken bewachsenen Bereich hinaus in Richtung Dienheim. Von hier kann man weiter unten eine große, zusammenhängende Parzelle sehen, die gänzlich dem Weingut Brüder Dr. Becker gehört. Die Reben stehen dort auf Löss und im alten Flussbett des Rheins im Untergrund auf Kieselstein. Bis ins Weingut sind es nur ein paar Schritte, was große Vorteile für alle Weinbergsarbeiten und selbstverständlich auch für die Ernte mit sich bringt. Aus dieser Parzelle stammen die Trauben für den Orange-Silvaner.
Ich hatte die Orange Wines des Weinguts vor zwei Jahren beim EcoWinner-Wettbewerb kennengelernt – und später auch darüber berichtet. Seinerzeit war der Pinot-Orange aus Grau- und Weißburgunder mein absoluter Top-Favorit im Blindtest. 2021 hatte dann eine andere Orange-Kreation namens “A Lighter Shade of Orange” aus Orange-Silvaner und Riesling Pure den Preis eingeheimst. In zwei Wochen steht der nächste EcoWinner-Wettbewerb vor der Tür, und ich bin sicher kein übermäßiger Unker, wenn ich annehme, dass ein Produkt vom Weingut Brüder Dr. Becker wiederum zu den Favoriten gehören könnte.
Warum das so ist? Weil es Lotte und Hans offenbar geschafft haben, bei gleichzeitig strengem Vorgehen (spontanvergoren, ungeschönt, unfiltriert, ungeschwefelt) echt balancierte Weine auf die Flasche zu bringen. Auch der 2020er Silvaner Orange (18 € im Online-Shop) ist so einer. Man riecht und schmeckt die Andersartigkeit, die Maischegärung, den Grip auf der Zunge, das Kräuterige, Fenchel, Basilikum, kandierte Engelwurz – aber eben nie grob oder auf Effekt ausgerichtet. Ganz so wie bei den Erschaffern selbst, könnte man meinen.
Mein Fazit
Wer auf Winzerkunst steht, die harmonisch in die natürlichen Kreisläufe eingebettet ist, sollte bei diesem Weingut auf jeden Fall einmal vorbeischauen. Sei es im Online-Shop oder tatsächlich auch einmal vor Ort. Wenige Dinge passieren hier komplett zufällig, hinter allem stehen zwei Menschen, die genau wissen, was sie tun. Dazu gehört auch, als eines der wenigen VDP-Weingüter bei einer Veranstaltung wie der Weinbörse mit ungeschwefelten Naturals zu erscheinen. Dazu gehört aber selbstverständlich auch, aus Tafelstein und Falkenberg zwei Riesling-GGs zu ziehen, die sich wahrhaftig nicht verstecken müssen. Auch die Spätburgunder sind nicht von schlechten Eltern, just said.
In jedem Fall würde ich mir wünschen, dass es noch mehr derartige Weingüter wie Brüder Dr. Becker gibt. Weingüter nämlich, die gleichzeitig bodenständig daherkommen und von einer weiten, reflektierten Gedankenwelt geprägt sind. Wenn so die Zukunft der Weinwelt aussieht, bin ich dabei.