Ich bin wieder einmal im Taubertal, der Region zwischen drei Herkunftsgebieten, sozusagen am Rand von allem. Eine solche Lage kann allerdings auch Vorteile mit sich bringen, weil man hier nicht so stark Erwartungshaltungen erfüllen muss wie im Würzburger Stein oder in der Wehlener Sonnenuhr. Dass in dem kleinen Bauerndorf Auernhofen gleich zwei interessante Betriebe existieren, ist wahrscheinlich Zufall. Einen davon, den Winzerhof Stahl, hatte ich euch hier schon ausgiebig vorgestellt. Direkt auf der anderen Straßenseite befindet sich der Bauernhof Schrägstrich Weingut von Stephan und Simone Krämer. Der Ansatz der beiden Weingüter ist komplett unterschiedlich, was einen Besuch in Auernhofen umso interessanter werden lässt. Stephan Krämer setzt nicht nur auf Bio-Anbau, sondern hat sich bei der Weinbereitung zunehmend für die wild side entschieden. Vorläufiger Höhepunkt ist das Exemplar auf dem Foto: der Silvaner Flor.
Silvaner Flor 2018 von Stephan Krämer
Das Weingut von Stephan und Simone Krämer ist eigentlich ein landwirtschaftlicher Mischbetrieb. Die größte Fläche nimmt mit Abstand der Ackerbau ein mit einer Vielzahl an Feldfrüchten – Stephan ist ausgewiesener Experte für lebendigen Boden. 1983 kam eine kleine Weinbergsfläche in Tauberzell hinzu. Da Stephan eine mindestens ebenso große Passion für den Weinbau wie für den Weizen besitzt, sind es mittlerweile 4 ha Rebfläche geworden. Alle Weinberge befinden sich im Taubertal, seit gut zehn Jahren auch im Röttinger Feuerstein.
Vor zwei Jahren hatte ich euch schon einmal Stefans normalen Silvaner aus dem Feuerstein vorgestellt. Schon dort sind wir bei den Eckpunkten Spontangärung, Holzfassausbau, keine Schönung, keine Filtration und geringe Schwefelgabe von 20 mg/l bei der Füllung.
Eigentlich wollte Stephan statt des Flor einen IZ-Silvaner machen. IZ wie intrazelluläre Gärung. Das ist vom Grundansatz ähnlich wie die macération carbonique und der neueste Schrei bei Pinot Noir-Avantgardisten in Cool Climate-Kalifornien. Auch Tement macht einen IZ-Sauvignon aus dem Zieregg, seinen teuersten Wein im Portfolio übrigens. Bei Stephan werden die besten Beeren für den IZ per Hand selektiert und quasi auf den Fassboden gelegt, damit sich in ihnen die Gärung einstellen kann. Damit das abgeschottet vom Sauerstoff stattfindet, wird aufgefüllt, später mit der Korbkelter gepresst und im Barrique ausgebaut.
Beim Flor war es aber so, dass sie ein paarmal vergessen hatten, den (eigentlichen) Immervoll-Tank wieder aufzufüllen, so dass sich oben eine Schicht aus Florhefe gebildet hatte. Diese wilden Hefen werden genutzt bei Vin Jaune und bei Sherry. Bei normalem Wein achtet man hingegen tunlichst darauf, dass sie eben nicht erscheinen. Einmal geschehen, beschloss Stephan abzuwarten, was sich nun tun würde. Nach einer Weile probierte er das Ergebnis und fand es so interessant, dass er den Wein weiterhin in Ruhe ließ. Erst nach zwei Jahren unter der Florschicht erfolgte die Abfüllung.
Wie schmeckt der Wein?
Um zu verstehen, was das ist, muss man sich vergegenwärtigen, dass dieser Wein komplett durch ist. Da kann nichts mehr passieren, weil schon alles passiert ist. Deshalb fließt der Wein wunderbar amber-orange und leicht trüb ins Glas. Ich fühle mich farblich an das Christmas der formidablen Brauerei Verhaeghe in Belgien erinnert.
Frisch nach dem Öffnen denke ich gleich, Achtung, ein bisschen Aufgeschlossenheit gehört schon dazu! Es gibt eine durchaus wilde Nase mit etwas Flüchtigkeit, Sherryton und reif-trockener Walnuss. Am Gaumen ist da ein leichter Grip als Gerüst, dazu etwas Kokos vom neuen Barrique, weiterhin ein funky Ton, aber letztlich setzt sich die Materie durch. Ich schmecke eine samtige Gelbpflaume, kandierte Orangenschale und eine Spicyness in Richtung Zimt und Kurkuma. Weil mir Stephan gesagt hatte, dass der Wein eigentlich noch viel zu jung sei, lasse ich die Flasche geöffnet bei Raumtemperatur ein paar Tage stehen. Danach ist er runder, nussiger, aber immer noch voller Pikanz und Spannung.
Wo kann man ihn kaufen?
Vom Flor gibt es nicht viel, ein einziges Barrique nur. Die gute Nachricht allerdings: Ich war einer der allerersten, der diesen Wein probieren konnte, weggekauft ist also noch nichts. Ab Hof wird es den Flor nur im Paket zusammen mit den anderen, ganz neuen Krämer-Reserveweinen geben. Als da sind (oder sein werden): Skin, Solera, Alte Rebe und Silex Reserve. Dazu noch der Flor und ein 2013er Feuerstein, und fertig ist der exklusive Sechserkarton. Der Rest vom Flor wandert ausschließlich zu Walter & Benjamin in München. Auf dieser Seite im Onlineshop werdet ihr ihn finden. Den Preis kenne ich noch nicht, aber dass sowas kein Billigheimer ist, versteht sich vermutlich von selbst.
Wer keinerlei Affinität zu Naturweinen besitzt, wird den Flor im jetzigen Zustand möglicherweise mit einem Fragezeichen versehen. Er präsentiert sich nämlich nicht als klassisch in sich ruhender Vin Jaune, sondern als (trotz der oxidativen Elemente) quicklebendiger, mutiger, komplexer, manchmal sogar etwas schwieriger, in jedem Fall aber vollkommen eigenständiger Wein. Die echte Harmonie dürfte sich dann nach einem weiteren Jahrzehnt im Keller einstellen. Ich muss aber zugeben, dass dieses Energische, Wilde, Ungezähmte der Jugend auch seinen Reiz hat. In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich die entsprechende Muße zu nehmen, um den Wein näher kennenzulernen.
A propos Kennenlernen. Falls ihr in der Herkunftsregion des Weins seid, fahrt doch im Röttinger Feuerstein mal an diesen Ort. Hinter der bemerkenswerten Ansammlung eng zusammenstehender Einzelpfähle verbirgt sich der Museumsweinberg. Der Bereich mit den Pfählen ist – wie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts üblich – im Mischsatz bestockt, in diesem Fall mit Riesling, Traminer, Silvaner und Tauberschwarz. Wie der daraus bereitete Wein schmeckt, weiß ich leider nicht. Aber ein Grund mehr, in diese dünn besiedelte Region mit lauter kleinen Geheimnissen längs des Weges zu kommen.
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