VDP-Weinbörse Mainz 2022 – Neues und Uraltes

Weinbörse Mainz 2022

Zum ersten Mal seit 2019 fand Ende April wieder die VDP-Weinbörse in Mainz statt. Wenn ich mich nicht täusche, war das die erste größere VDP-Veranstaltung überhaupt seit dem Ende (oder auch nicht) der Corona-Wellen. Damit nicht ausgerechnet in Mainz die nächste Welle losgetreten wurde, wurde alles als 2G+-Veranstaltung ausgelobt. Ausschließlich Fachpublikum, Testzentrum vorm Eingang. In der Rheingoldhalle war dann erst einmal das große Wiedersehen angesagt – ein großer Teil der Weinszene hatte sich ja tatsächlich seit über zwei Jahren nicht in echt gesehen. Wein gab es natürlich auch zu probieren, und zwar nicht zu knapp. Der spannende Jahrgang 2021 kommt bei den kleineren Weinen auf den Markt. Und richtig uralte Sachen konnte ich auch probieren, davon ganz zum Schluss.

Weinbörse Mainz – der erste große Branchentreff

VDP-Präsident Steffen Christmann hatte in seinem Eröffnungsvortrag Neuigkeiten fast eher zwischen den Zeilen zu verkünden. Alle VDP-Betriebe sollen bis 2025 nachhaltig zertifiziert sein, wofür extra ein Mitarbeiter in der VDP-Geschäftsstelle eingestellt worden sei. Auch das Thema Flaschengewicht, dem gleichzeitig schwerwiegendsten und am leichtesten zu beeinflussenden Teil der CO2-Bilanz, soll jetzt konkret angegangen werden.

Weinbörse Vortrag Christmann

Ein großes Thema waren natürlich auch die steigenden Kosten für die Betriebe. Materialien, Logistik, Lohnkosten, alles schraubt sich in die Höhe. Da mute es doch ein bisschen seltsam an, so Christmann, wenn man einen “im Barrique gereiften” Dornfelder für 1,79 € aus deutschen Landen im Discounter finde. Wie dessen echte Bilanz in ökologischer und ökonomischer Sicht aussieht, ist in der Tat zweifelhaft. Irgendwer, das ist meine höchst konkret formulierte Erfahrung, zahlt bei solchen Dingen immer drauf.

Rotwein und Preisträger

Aber es ist nicht alles immer nur schlimm. Die hochwertigen deutschen Rotweine laufen nämlich ziemlich gut. Das sei, meinte Steffen Christmann, natürlich erst einmal der Qualität geschuldet. Aber auch der Tatsache, dass “unsere Freunde im Burgund” mittlerweile Preise aufrufen, die deutsche Spätburgunder für 50, 60 oder gar 70 € international attraktiv erscheinen lassen.

Bei der Veranstaltung ging es dann weiter mit dem wie üblich kurzweiligen historischen Abriss von Daniel Deckers. Wusstet ihr beispielsweise, dass in den 1970er Jahren nur 2% der bei der Weinkontrolle angestellten Weine trocken waren? Um diese wenig geliebten 2% unter die Leute zu bringen, wurde eigens ein Marketing-Slogan entwickelt, der dann auf den Flaschen im Regal pappte: “für Diabetiker geeignet”.

Letzter Akt der Eröffnung war die Verleihung der Preise für “Ausgezeichnete Weinkonzepte”. Mehr Infos über die Verantwortlichen dieser von Sascha Speicher gekürten besten Deutschweinkarten der Republik (denn darum ging es) findet ihr hier. Dabei ist übrigens mit dem Hotel Stadt Kassel in Rinteln auch ein Betrieb, dem ich vor über 20 Jahren als Mitarbeiter eines Reiseveranstalters verschwitzte Fahrradtouristen vorbeigeschickt hatte. Those were the days.

Aber nun zum neuen Wein, wie immer mit einem bunten Ritt über die Weinbörse, unsystematisch und unvollständig.

Kleine Franken-Tournee

Weinbörse May Benediktusberg

Bei Rudi May gab es eine höchst interessante Reserve zu verkosten, zu der ich aber gar nichts weiter schreiben möchte (außer dass sie fast einen gewissen Jura-Touch hatte). Die kaum 1.000 Flaschen sind nämlich alle schon ausverkauft. Dann habe ich noch den Erstlings-Jahrgang des neuen Silvaner Benediktusberg probiert, sehr fein und elegant, derzeit weniger von Hefe und Holz geprägt als sein Pendant aus dem Langenberg. 22 € ab Hof, eine schöne Erweiterung des Portfolios.

Auch bei Max Müller I gibt es neben der wie üblich tadellosen Allgemein-Performance etwas Neues, nämlich den Silvaner Marien-Berg. Jener stammt aus dem Gewann Maria im Weingarten, das ihr vielleicht schon von Richard Östreicher kennt. Derzeit läuft da die Prüfung für die Eignung als Erste Lage, wobei es (auf der Karte zu sehen) um den mittleren Teil des Volkacher Ratsherrn mit der Marienkapelle geht. Der Wein hat auf jeden Fall jetzt schon die Qualität dafür.

Schäffer Silvaner 55

Franken zum Dritten. Und in Wirklichkeit habe ich noch viel mehr probiert, beide Sauers, Knoll, Bickel-Stumpf, Fürst, Luckert, Glaser-Himmelstoß etc. pp. Aber ich muss wenigstens vom Weingut Schäffer noch berichten, weil hier schon seit einiger Zeit das Lied des gut gereiften Weins gesungen wird. Ihr 2011er Silvaner Fürstenberg, der in der Gastro übrigens gut lief, ist zur Neige gegangen, Nachfolger wird der 2015er. Seit letzter Woche gefüllt übrigens. In der Nase reife Banane, durchaus Biss am Gaumen, Zitronenmelisse, das wird gut. Noch eine Premiere auf der Weinbörse für den 55 des Jahrgangs 2020, noch ohne Etikett. Auch das ist ein Silvaner, aber bewusst burgundisch bereitet. 55 Jahre alte Reben, der Vadder ist Jahrgang 55, und 55 ist auch die Zahl der Steigungsprozente der Parzelle. Mildwürzig, holzgeküsst, selbstverständlich völlig trocken, fränkisches Burgund, ich sagte es ja schon.

Beautiful Rheinhessen

Brüder Dr. Becker Weinberg

Jetzt schnell rüber nach Rheinhessen mit einem ganz speziellen Wein beim Weingut Brüder Dr. Becker. Scheurebe aus Biodyn-Anbau, nichts hinzu und nichts herfort, sprich spontanvergoren, ohne Filtration, ohne Schwefelung. Und das ist wahrhaftig ein Aroma-Bömbchen, trüb, knackig-frisch, viel Limette, völlig sauber natürlich, Lotte und Hans sind handwerklich schlichtweg gut. Ein fantastisches Sommergetränk, ich bin gleich den Tag darauf zum Weingut gefahren und habe ein paar Flaschen mitgenommen. Dazu ein Foto mit Blick in die Rebzeilen. Ich möchte nicht verschweigen, dass es hier auch wunderbare “gewöhnliche” Rieslinge von Tafelstein und Falkenberg gibt. Aber die “Pure”-Serie ist für VDP-Betriebe (noch) eine echte Ausnahme.

Sehr gefallen hat mir auch der nominell kleine Chardonnay 2020 vom Weingut Knewitz. Bei Kühling-Battenfeld kann man praktisch alle Facetten Rheinhessens noch einmal unter der Lupe betrachten. Ich sehe momentan für mich in den letzten beiden Jahren den Roten Hang vorn, kann man aber auch ganz anders beurteilen. Bei Wittmann beeindruckt mich immer dieser Gutsstil, der sich durch alle Weine und Rebsorten zieht. Wieder mal sehr schön auch Wagner-Stempel, selbst wenn ich die beschreibenden Vokabeln in meinem Notizbuch nicht mehr entziffern kann.

Gutzler Blauer Arbst fränkischer Burgunder

Sensationell fand ich die beiden neuen Roten aus dem Hause Gutzler. Historische Rebsorten, Blauer Arbst und Fränkischer Burgunder, ich hatte hier ja schon des öfteren darüber berichtet. So konsequent wie bei Michael Gutzler habe ich das aber noch nie geschmeckt. Das sind sehnige und dennoch dichte, karge und dennoch reife, dunkle und dennoch nördliche Gewächse mit Ecken und Kanten. Der Arbst ist jetzt schon ein wenig zugänglicher, besitzt auch die spürbar leichtere Materie. Der Fränkische Burgunder braucht seine Zeit, und die sollte man ihm gönnen. Viel gibt es nicht davon, 35 € kostet die Flasche jeweils. Aber Achtung: nichts für ausschließliche Späti-Trinker.

Rotweingiganten auf der Weinbörse: Huber vs Becker

Vor zehn Jahren gab es fast nur zwei Namen, die oben in den Hitlisten der deutschen Rotweine standen, nämlich Bernhard Huber aus Baden und Friedrich Becker aus der Pfalz. Wenn man die Jungweine der jeweils nächsten Generation auf der Weinbörse probiert, stellt man da allerdings riesige Unterschiede fest. Nicht qualitativ, aber stilistisch. Julian Huber ist meiner Meinung nach mittlerweile bei seinem Cool Climate-Idealtyp angekommen. Alles wirkt kühl, kernig, eine große Säurestruktur, aber dennoch mit feinem Schmelz ausgestattet.

Bei den Jungweinen Friedrich Wilhelm Beckers fehlt dieses Klare, dieses river deep, mountain high. Da gibt es deutlich mehr Gerbstoffe, mehr Strenge, wenig Schmeichelndes. Da weiß man nach dem ersten Schluck, dass es hier um Werden und Finden geht, um Reifezeit. Dabei sollte man auch die kleineren Jahrgänge nie unterschätzen. Faszinierend, wie unterschiedlich diese Interpretationen deutscher Spitzen-Pinots sind. Ich persönlich kann mit beiden Wegen etwas anfangen.

Hey Zweigelt Naumburger Steinmeister

Und um in diesen Absatz noch etwas völlig anderes, aber auch Rotes hineinzupressen, was nirgends sonst passt: Der Zweigelt aus dem Naumburger Steinmeister vom Weingut Hey ist wirklich wirklich eine Entdeckung wert.

Die Pfalz

Eines der kontroversesten Themen bei der Weinbörse war vielleicht die Entscheidung im Hause Christmann, ab jetzt nur noch Lagenweine auf den Markt zu bringen. Angefangen wird ab jetzt mit dem Riesling Aus den Lagen, Gutswein und Ortswein haben ausgedient. Tatsächlich wurde die Rebfläche ja auch deutlich reduziert, man hat sich von der Ebene getrennt. Und ohnehin wollten die Leute schon vorher primär die hochwertigen Weine haben. Andererseits ist es schon spannend, dass ausgerechnet bei Christmann die VDP-Pyramide um die beiden unteren Stufen gekappt wird. Eine mutige Entscheidung auf jeden Fall und für (Weißwein-) Deutschland sehr ungewöhnlich. Worüber es allerdings null Zweifel gibt, das ist die Weinqualität.

Rings und Jülg waren die nächsten auf meiner Liste. Den 2019er Spätburgunder vom Weingut Rings fand ich letztes Jahr schlicht sensationell. Ob der Nachfolger in dieselben Fußstapfen treten kann? Ich fand die 2020er, zum Teil natürlich noch Fassproben, sehr von der leichteren und irgendwie zurückhaltenderen Art des Jahrgangs geprägt. Auch beim Weingut Jülg würde ich mich momentan ungern nach vorn wagen und dieses oder jenes behaupten. Vielleicht war 2019 auch einfach der größte Rotweinjahrgang in der deutschen Geschichte bislang, wer weiß…

Riesling-Klassik von Rhein und Mosel

Weinbörse Domdechant Werner Auslese

Eigentlich zum ersten Mal bewusst war ich zu Gast am Stand des Weinguts Domdechant Werner aus dem Rheingau. Ich hatte bei der Hinfahrt in Hochheim Station gemacht, und irgendwie ist die Region ja auch weiterhin faszinierend mit Klassik, Schlösschen und traditioneller Export-Orientierung. Die 2021er Weine hatten alle eine schöne Säure zu bieten, aber mein Liebling war deutlich älter und kam aus dem Jahrgang 2015. Das ist eine fruchtsüße Auslese, mit 10 vol% recht kräftig angelegt, aber mit einer Ausgewogenheit, die ewig zu laufen verspricht.

Beim Weingut Kühn hatte Viktoria Kühn auch die Neuen dabei, was hier aber 2019 bedeutet. Faszinierend fand ich bei Hendelberg wie bei Klosterberg, wie die Säure sich erst ganz von hinten heranschleicht. Vorn steht das Salzige im Vordergrund, ein subtil-energischer Stil. Bei Heymann-Löwenstein, wir sind inzwischen an die Mosel gewechselt, war 2019 auch der Hammer mit zwar phenolisch fordernden, aber großen Weinen. 2020 ist dagegen wesentlich zugänglicher, milder, erinnert mich jahrgangsmäßig an den Charakter von 2011.

Haart Goldtröpfchen Kabinett 2021

Bei Johannes Haart springe ich noch einen Jahrgang weiter und bin jetzt bei 2021. Und wieder gibt es ganz neue Nuancen. Deshalb lieben wir den Wein als Sujet ja auch so (jedenfalls wenn ich für mich spreche), weil man immer wieder mit dem Einfluss der Natur, der Jahrgangscharakteristik konfrontiert wird. Der Haart’sche Kabi ist jedenfalls etwas für old school-Puristen. 8,5 vol%, okay, aber dann 11 g Säure bei 42 g Restsüße. Das wirkt messerscharf, laserpräzise und überhaupt nicht süß. Sehr spannend.

Nach der Weinbörse ist vor…

…der nächsten Weinbörse? Ja, das ganz sicher. Aber es ist auch vor der ProWein, selbst wenn sich diese Reihenfolge ein bisschen seltsam anfühlt. Und so werde ich schon in zwei Wochen wieder bei einer (noch größeren) Veranstaltung sein und dabei möglicherweise auch Sachen probieren können, die ihr hier schmerzlich vermisst habt.

Was die Jahrgangsbewertung angeht, bin ich tatsächlich sehr gespannt auf die größeren Weißen des Jahrgangs 2021. Zwar war das im Frühsommer ein etwas schwieriges, pero- und regengeplagtes Jahr, aber auch eines mit einer endlich mal wieder richtig langen Vegetationsperiode. Endlich auch mal wieder späte Ernte bei kühlen Nächten und entsprechender Aromenausprägung. Die Kleinen sind zumindest richtig frisch, auch das haben manche sicher schon länger vermisst.

Epilog

Zwischen der frischen Weinbörse und der frischen ProWein gab es bei mir allerdings noch ein Kapitel Uraltes zu verkosten. Die unglaubliche Weinprobe hörte auf den Namen “100 Jahrgänge Assmannshäuser Höllenberg“. Da gab es dann Flaschen mit Jahreszahlen zu probieren, die einem eher aus der Geschichte als aus der persönlichen Trinkerfahrung bekannt vorkamen. Einen kleinen Spoiler könnt ihr auf dem Foto sehen.

Assmannshäuser Höllenberg 1921 Spätburgunder

Jedenfalls musste ich dabei an ein Erlebnis denken, das (glaube ich) Hugh Johnson aufgeschrieben hatte. Er war zu Gast bei der Baronin Elisabeth de Ladoucette, der Tochter von Comte George de Vogüé im Burgund. Dabei fragte er sie, was denn ihr aktueller Lieblingsjahrgang sei. “Der 75er”, antwortete sie ohne zu zögern. Johnson war verwundert und gab zu bedenken, dass 1975 allgemein ja durchaus als eher kleiner Jahrgang gelten würde. “Junger Mann”, entgegnete die Baronin daraufhin, “ich spreche von 1875er”. In diesem Sinne.

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3 Antworten zu VDP-Weinbörse Mainz 2022 – Neues und Uraltes

  1. Thomas Riedl sagt:

    Ein Leben ohne Silvaner ist möglich. Aber sinnlos.

    • Matze sagt:

      Ganz so weit würde ich vielleicht nicht gehen, aber ich weiß, was du meinst 😉 . Da trifft es sich ganz gut, dass bald wieder “Die große Silvaner-Schau” hier auf dem Blog losgeht. Diesmal sogar mit Gästen, soll ja nicht langweilig werden 😉

  2. Pingback: Zehn Entdeckungen von der ProWein 2023 - Chez MatzeChez Matze

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