Ich bin mir ziemlich sicher, in der Schule nicht gelernt zu haben, dass es einen Teil Belgiens gibt, in dem Deutsch gesprochen wird. Aufgefallen war mir das zum ersten Mal, als ich einen belgischen Biathleten bei Olympia sah, und der eindeutig mit rheinischem Zungenschlag sprach. Was ist also Ostbelgien? Als Ostbelgien im engeren Sinn bezeichnet man tatsächlich die neun deutschsprachigen Gemeinden. Ich möchte hier jedoch einem erweiterten Verständnis folgen, denn wenn man ein Weilchen in einer Region zubringt, macht man beim Einkauf ja nicht an der Gemeindegrenze Halt, weil alles auf der anderen Seite ungültig wäre. Hier soll es also um allerlei primär food-orientierte Besonderheiten gehen, die ihr in Malmedy und Umgebung, aber auch in Verviers oder gar (Frevel!) in Maastricht erstehen könnt. Macht euch bereit, es wird bunt.
Malmedy, Ostbelgien
Malmedy ist bereits die weitere Version von Ostbelgien, denn in dieser Kleinstadt am Rand des Hohen Venns wird bereits Französisch gesprochen. Bei gut 12.000 Einwohnern waren meine Erwartungen nicht allzu hoch, was kulinarisches Shopping anbelangt. Aber wir sind hier schon in einem anderen Kulturkreis.
Am Hauptplatz gibt es eine ganze Reihe von Cafés, die ganz nett sind, aber keine kulinarischen Höhenflüge bieten. Dafür gibt es einen schönen 70er Jahre-Flashback, denn die ganze Stadt ist zu dieser Jahreszeit mit blühenden Petunien geschmückt. Aber nun zu den Shopping-Orten.
Natürlich hat Malmedy die drei Supermärkte Delhaize (AD), Carrefour und Colruyt zu bieten. Aldi und Lidl auch, aber deswegen sind wir ja nicht hier. Vor allem aber ist in der Innenstadt in Fußweite alles zu erreichen, was kleine Boutiquen anbelangt. Es gibt fünf Bäckereien, darunter den Platzhirsch Halmes. Es gibt ein wunderbares Käsegeschäft, ein Fischgeschäft, die Metzgerei-Spezialitätenhandlung Micha, einen Laden mit 750 Bieren, zwei Bio-Märkte, eine italienische Weinhandlung… und die Einkaufstasche zieht bereits schwer an den Armen.
Nicht weit von der Kirche entfernt, könnt ihr in diesen liebevoll gekachelten Hauseingang schauen. Er gehört zu Unis Verts Paysans. Das ist eine lokale Kooperative, die sich um eine Menge sinnvoller Dinge kümmert (kann man auf der Website nachlesen). Vor allem aber kann man dort die Lebensmittel von 18 lokalen Kleinproduzenten kaufen. Und es gibt wirklich gute Sachen, alles in einer erstaunlich urbanen Atmosphäre für so einen kleinen Ort. Ein ähnliches Konzept bietet auch die Epicerie des Champs im Osten der Innenstadt an. Hier stehen allerdings die Bauern gleich selbst hinter der Theke.
Spezialitäten in der Umgebung
Ich muss zugeben, dass ich dieses Getränk spontan nicht auf dem Schirm hatte. Fleur de Franchimont, was sollte das sein, irgendein süßer Blütenlikör? Aber nachdem J. die Flasche gekauft und wir beide probiert hatten, muss ich sagen: großartig! Drei Freunde eines lokalen Kulturvereins hatten die Idee, Produkte auf Weinbasis mit Früchten oder Blüten herzustellen. Und der Fleur de Franchimont ist ein halbtrockener, dezent fruchtiger Apfelwein, in dem Blüten mazeriert wurden. Hauptsächlich Holunderblüten, würde ich sagen, aber vielleicht ist das auch eine Frage der Jahreszeit. Ein wunderbares Aperitifgetränk jedenfalls, wie ein leichter Mosel-Kabi, und in vielen kleinen Läden und regionalen Supermärkten zu haben.
Dass die hügelige Umgebung, die südlich an die eher industriell geprägten Städte Liège und Verviers angrenzt, nicht ganz arm sein kann, war mir schon bei einem früheren Besuch aufgefallen. Hier gibt es in kleinen Dörfern teils hochwertige Angebote in den Läden. La Casemate in Mont oberhalb von Theux ist zum Beispiel auch so ein regionaler Feinkostladen. Und direkt auf der anderer Straßenseite befindet sich eine Boutique des Chocolatiers Jean-Philippe Darcis.
Ohnehin ist Darcis der wichtige Name in der Region, wenn es um kulinarische Höhenflüge geht. Jean-Philippe Darcis ist Chocolatier und hat bei den Großer der Zunft gelernt. Mit 25 eröffnete er bereits seinen ersten Laden in Verviers, machte aber noch jahrelang bei Wettbewerben mit und brachte Trophäen nach Hause. Und zwar nicht nur für Schokolade, sondern auch Pâtisserie und Eis. Im Jahr 2016 schließlich stellte er seine Schokolade auf Bean-to-Bar um und eröffnete La Chocolaterie. Letztere ist eine Mischung aus Produktionsstätte, Laden, Café, Museum und Schulungsort.
Früher war ich nicht mit allem einverstanden, was aus dem Hause Darcis kam. Diesmal allerdings bin ich total überzeugt, habe dort mehrfach Pâtisserie-Törtchen und Pralinen erstanden. Frische ist dabei essentiell, und besser als direkt neben der Backstube geht es nun mal nicht.
Ausflug nach Liège
Nein, jetzt kommt nicht auch noch eine Abhandlung über Liège = Lüttich. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich in dieser Stadt meine vermutlich entscheidende Wein-Initiation genossen, vor längerer Zeit einen zweiteiligen Einkaufs-Guide geschrieben und auch ansonsten immer mal wieder etwas bei Instagram oder Facebook gepostet habe. Summa summarum: Mich verbindet etwas mit dieser Stadt.
Diesmal sei nur der Hinweis gestattet, dass es in der Rue Souverain Pont einen regionalen General Store namens Wattitude gibt. Hier findet ihr Bücher, Mode, Dekoration, Biere, arty stuff allgemein, geschmackvoll angerichtet und einfach sympathisch.
Genau dort gibt es auch belgische Weine, zum Beispiel jene der ziemlich neuen und kleinen Mini-Kooperative Vin de Liège. Die ganze Reihe ist bio-zertifiziert und hat natürlich von den klimatischen Veränderungen der letzten Zeit profitiert. Aber dass es in Belgien mittlerweile interessante Weine gibt, hat auch etwas mit dem gestiegenen Interesse an lokal hergestellten Produkten zu tun. Ich habe mir in Ostbelgien insgesamt zehn verschiedene dieser Weine besorgt (und einen niederländischen), über die ich auf dem Blog noch einmal gesondert berichten werde.
Auf dem Rückweg geht es noch in den Bio-Supermarkt Bio Fagnes. Fagnes heißt ja Venn, und in den drei Niederlassungen dieser kleinen Kette werdet ihr eine ganze Reihe interessanter lokaler Produkte finden. Zum Beispiel geräucherte Forellen oder ausgezeichnete Milchprodukte, Sachen also für’s unmittelbare Picknick oder das Ferienhaus.
Wenn ich den Artikel mit “Nicht nur Muscheln & Fritten” überschrieben habe, dann bedeutet das nicht, dass es gar keine Muscheln und Fritten in Ostbelgien gibt. Hier im Delhaize unter der Überschrift Nationalgericht gibt es nämlich alle Zutaten in einer Truhe. Dass es in deutschen Supermärkten praktisch überhaupt keine frischen Miesmuscheln gibt, bedaure ich übrigens zutiefst.
Ausflug nach Maastricht
Maastricht gehört ohne Zweifel nicht zu Ostbelgien und wäre einen eigenen Artikel wert. der Abstecher dauerte von unserem Ferienhaus allerdings nur eine Stunde, und deshalb lest ihr an dieser Stelle davon.
Nach Maastricht sind wir aus zwei Gründen gefahren. Zum einen, weil dort die Geschäfte auch am Sonntag geöffnet haben, was in einer ungeheuer lebendigen Innenstadt resultiert. Hollandräder, volle Cafés, Sprachenvielfalt. Der zweite Grund ist der asiatische Supermarkt Amazing Oriental. Dass jener anders bestückt ist als die Asien-Supermärkte bei uns, hat seinen Ursprung in der niederländischen Kolonialgeschichte. Spezialitäten aus Indonesien und Surinam gibt es nämlich hier. Und ich muss natürlich unwillkürlich an meine Zeit in Südostasien denken und verlinke einfach noch einmal meinen ersten Nachmittag in Jakarta und einen politisch-gesellschaftlichen Stadtrundgang.
Das oben auf dem Bild nennt man neudeutsch einen Haul. Da gibt es javanische Gewürzpasten, reichlich Emping-Knabbereien – und herrlicherweise auch die Curry-Zubereitungen von Nittaya aus Thailand. Das ist ja für Foodies und Traveller ein legendärer Ort in der Innenstadt von Bangkok. Produziert wird mittlerweile natürlich am Stadtrand, aber legendär bleibt es dennoch. Ein großartiger Laden jedenfalls, dieser Amazing Oriental-Supermarkt. Gelegen im Einkaufszentrum Mosae Forum, nur mal so als Tipp für NRW-Tagesbesucher…
Die Craft Beer-Szene in den Niederlanden entwickelt sich auch fröhlich weiter. Traditionell weit hinter den belgischen Produkten zurückhängend (bis auf ein paar Ausnahmen wie ‘t IJ), gibt es mittlerweile doch ein paar wirklich schöne Getränke jenseits von Amstel und Heineken (beides dieselbe Firma übrigens). Fruchtiger Geschmack dank entsprechender Zutaten, wenig Alkohol, ein bisschen frischer Hopfen – das sind echte Sommer-Getränke. Alle gekauft übrigens bei Albert Heijn XL.
Ausspannen – Hohes Venn und Ardennen
Puh, was war das wieder für ein modernmenschiger Kraftakt. Natürlich macht mir kulinarisches Shopping Spaß, weil ich gern neue Dinge entdecke, aber Touren durch Innenstädte und Supermärkte sind auch immer mit erheblichen Anstrengungen verbunden. Und das, wo Ostbelgien doch besonders für seine Naturerlebnisse bekannt ist…
Zwei Ausspann- und Naturentdeckungsorte habe ich also noch auf Lager. Beides allerdings keine Geheimtipps und an Sommerwochenenden durchaus bevölkert. Das Hohe Venn ist landschaftlich aber einfach großartig. So anders, so weit, so herb. Holzstege führen über das Hochmoor mit seiner ganz eigenen Flora und Fauna. Und auch mit seinem ganz eigenen Klima. Schottland wirkt auf einmal gar nicht so weit weg.
Schließlich gibt es noch die Bäche und mittelgroßen Flüsse, welche die Ardennentäler durchziehen. Hier haben wir unser Picknick am Ufer der Amblève aufgebaut, im deutschprachigen Teil als Amel bezeichnet. Ein wunderbarer Ort für einen Lese-Nachmittag und für eine kleine Abkühlung im eisenhaltigen Bergwasser.
Beim Schreiben dieses Textes ist mir übrigens aufgefallen, dass Ostbelgien auch eine eigene Website namens Made in Ostbelgien hat, auf der einige der Produzenten vorgestellt werden, deren Produkte in den von mir besuchten Läden zu haben sind. Eine großartige kleine Reise war das jedenfalls, so unkompliziert und trotzdem voller schmackhafter Entdeckungen.
Hi Matze!
Ich fahre jetzt seit 18 Jahren mehrfach im Jahr in die Champagne und immer kürze ich kurz vor Liege ab und fahre über Theux. Jedesmal denke ich mir, was für ein hübscher, kleiner Ort und das ich unbedingt beim nächsten mal halten sollte und etwas bummeln sollte……bislang hab’ ich das noch nie gemacht! Fahr Ende August wieder…..hoffe dann mach ich das einfach mal……;-)
Liebe Grüße Jens
Ja, total! An der Hauptstraße im Ort gibt es auch einen sehr netten Weinhändler, der die ganze Serie von Jean Boucabeille aus dem Roussillon hat. Da hab ich mir spontan den Rosé mitgenommen.
Klasse Beitrag!
Wie heißt das Geschäft? CASEMATZE?😉
Stimmt, das würde gar nicht so schlecht passen 😀. Vielleicht mache ich ja die Casa Matze auf, wenn wir dieses Corona-Dings da endlich mal verboten haben 😉
Lieber Matze,
vielen Dank für den Bericht über Ostbelgien. Eine willkommene Anregung, mal wieder diese von mir geliebte, höchst spannende Region zu besuchen.
Neben den Naturschönheiten wie Hohes Venn und Ardennen (Wandern und sportliches Radfahren) ist besonders das kulinarische Angebot fast unerschöpflich. Da kommen von vielen Seiten die kulturellen und gastronomischen Einflüsse zusammen und befruchten sich gegenseitig. Die unglaubliche Zahl von “Sterne”-restaurants im belgischen Teil der Euregio spricht für sich.
In der Wallonie machen in letzter Zeit viele neue Produzenten regionaler Produkte auf sich aufmerksam. So ist eine Vielzahl von kleinen, bäuerlichen und handwerklichen Käsereien in den letzten Jahren entstanden. Und mit einem gewissen Stolz wird z.B. von Züchtern und Metzgern die lokale Rinderrasse “Ostbelgische Rotbunte” oder “Rouge Pie de l’Est” vor dem Aussterben bewahrt.
Immer wieder überrascht mich das Angebot belgischer “Cavistes” an Weinen, die in Deutschland eher wenig Aufmerksamkeit finden – Loire, Savoie, Jura und Südwestfrankreich zum Beispiel. Großartig die hier schon mal erwähnte “Cave des oblats” in Liège. Nicht weit von Theux ist in Spa der Händler Biobelvin für Bio- und Naturweine bemerkenswert. Im deutschsprachigen Eupen, nicht weit von Aachen, wäre das Restaurant Visé mit angeschlossenem Weinhandel zu nennen, das von dem absolut weinbesessenen Chef “Sommelier Bernard” geführt wird.
Und wenn ich noch etwas zum Thema regionaler Käse bemerken darf, dann möchte ich auf den Fromage d’Herve, den Herver Käse hinweisen, eine traditionelle Spezialität aus der Umgebung des kleinen Ortes Herve. Wer auf der Autobahn von Aachen nach Liège fährt, sollte dort kurz abfahren und die sagenhafte Fromagerie du Vieux Moulin aufsuchen. Hier gibt es neben einer grandiosen Auswahl belgischer und französischer Käse vor allem den “Herve” aus eigener Herstellung in mehreren Variationen. Ein Genuss für Liebhaber zwar streng riechender, aber köstlicher, würzig-nussiger Rohmilchkäse! Mancher nicht erstklassige Munster aus dem Elsass sieht daneben ziemlich langweilig aus.
Ach, es ließe sich noch endlos schwärmen…
Beste Grüße
WiRo
Vielen Dank für den Kommentar! Ja, da lacht das Foodie-Herz 😉 . Den Herve von Vieux Moulin gibt es für vorsichtige Einsteiger übrigens auch in einer halben Größe statt im ganzen Würfel. Pflichtkauf, dazu noch Apfel-Birnen-Sirup, eingekocht aus der achtfachen Menge Früchte…
Vielen Dank für den wunderbaren Beitrag. Hat in mir 30 Jahre zurückliegende Erinnerungen wachgerüttelt. Eine Zeit als diese Gegend wieder den Mut bzw, die Duldung aus Brüssel erhielt sich wieder der deutschen Kultur zu erinnern.
Daher vermisse ich etwas die Einbeziehung der Gegend um Eupen, oder ist das kulinarische Diaspora? Wie dem auch sei ein Anlass diese Gegend mal wieder zu besuchen. Danke
Nein, kulinarische Diaspora, so weit würde ich keinesfalls gehen. Es gibt immerhin das Arti’Choc mit Bib Gourmand, den Kaffeeröster Soiron und in Raeren die bekannte Moutarderie Belge, vor fast 70 Jahren von den Schumachers gegründet und mittlerweile in dritter Generation (glaube ich) tätig. Einige Saucen haben den Weg in unseren Kofferraum gefunden 😉. Die Schokoladen aus Eupen hatten mich weniger überzeugt, aber Darcis ist halt auch eine harte Konkurrenz… 😉
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Lieber Matze,
etwa seit Erscheinen dieses Blog-Eintrags beliefert Deutsche See zumindest meinen REWE hier am Niederrhein dauerhaft mit frischen Miesmuscheln. Vielleicht ist das in der aktuellen Wahlheimat anders, aber hast du auf das Angebot von Deutsche See mal in deinem REWE um die Ecke oder einem anderen Supermarkt geachtet?
Vielen Dank für deinen Blog übrigens! Ich trinke keinen Alkohol und finde ich trotzdem äußerst lesenswert.
Danke für das Lob und den Tipp! Niederrhein und Muscheln ist ja eine nicht so ganz exotische Kombination 😉 . Ich weiß gar nicht, ob es das Restaurant noch gibt oder weiter geben wird, aber in meiner Kölner Zeit war ich ab und zu im Bieresel, deren Spezialität frische Miesmuscheln waren.
Hier in Kontinentaleuropa sieht das etwas schwieriger aus 😉 . Ich glaube auch, dass REWE und Edeka das in ihrem Portfolio haben, aber ich fürchte, der Marktleiter muss auch eine gewisse Nachfrage erkennen können, um es einzulisten. Bei mir im täglichen Radius scheint das leider nicht der Fall zu sein…
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