Eine kilometerreiche Woche liegt hinter mir mit denkbar unterschiedlichen Eindrücken aus Stadt und Land. Ohne dass ich unterwegs einen Sonnenstrahl gesehen hätte, aber so ist der Januar hierzulande. Ich war bei der Grünen Woche in Berlin, habe an Workshops teilgenommen, ein bisschen Werbung für mein neues Projekt gemacht und in einer latenten Kegelclubatmosphäre interessante Häppchen gegessen. Dann bin ich nach Churfranken gefahren, wo es – Ihr könnt ihn auf dem Titelfoto sehen – mit dem Klingenberger Schlossberg einen der schönsten Weinberge Deutschlands gibt. Ich habe Weine probiert und mir so meine Gedanken über den Kulturlandschaftserhalt gemacht. Jetzt bin ich wieder zurück und kann Euch diese Rundtour mit ein paar Fotos ein bisschen näherbringen.
Im Berliner Stadtteil Charlottenburg gibt es seit Jahren etliche “Russenpensionen“, wobei das keineswegs ein abwertender Begriff ist. Es handelt sich nämlich um ehemalige große Wohnungen in sehr stattlichen Häusern, die nunmehr AirBnB-tauglich umgebaut worden sind: ein großer Empfangsflur, ein großes Frühstücks-Wohnzimmer mit einem großen Tisch in der Mitte und ein paar kleine und unterschiedlich hellhörige Zimmer sowohl zur Straße als auch zum oft sehr schönen Innenhof. Teppiche, Ölgemälde, Tee aus dem Samowar. Geführt werden diese Pensionen – daher der Name – häufig von russisch-jüdisch-deutschen Familien mit Namen wie Zilverberg oder Abramowitsch. Ein bisschen komme ich mir vor wie ein kleiner Handelsreisender in den 1920er Jahren. Ich habe allerdings ein Zimmer mit WC gebucht, so viel Luxus muss dann doch sein.
Bevor es am nächsten Morgen auf die Messe geht, schaue ich noch bei Viniculture vorbei, nur ein paar Schritte entfernt am Savignyplatz. Deren Portfolio reicht von “klassisch bio” wie beim Weingut Hahnmühle bis zu supertrüb-freakig wie bei diesem Vertreter aus dem Beaujolais. Hell in der Farbe, aber komplett blickdicht. In der Nase Apfelmost, im Mund ein herzhaftes Tannin bei kräftiger Säure, erfrischende Walderdbeere, ein “Vin Naturel Typ I“, dem man seine Bereitungsart voll anmerkt. Ich bin wirklich überrascht, wie tolerant die AOC Chiroubles zu sein scheint, dass sie auch solchen Weinen das Recht zugesteht, den Namen der Appellation zu verwenden. Ist in Deutschland (noch) undenkbar, bei uns bleibt nur das Ausweichen in die Landweinkategorie.
A propos Land, der eigentliche Zweck meines Berlin-Besuchs ist ja die Grüne Woche und hier wiederum das “Zukunftsforum Ländliche Entwicklung“. An zwei Tagen höre ich mir Vorträge an, schreibe viel mit, diskutiere in Workshops und lerne viele Menschen kennen, denen die Zukunft ländlicher Regionen am Herzen liegt. Dabei muss man gar nicht immer derselben Meinung sein; vielmehr wäre es sogar seltsam, wenn es so wäre. Denn genau wie die ländlichen Regionen an sich sehr unterschiedlich strukturiert sind, gibt es auf den Dörfern nicht etwa nur den immergleichen Dorfbewohner, sondern ebenfalls sehr unterschiedlich denkende und handelnde Menschen. Davon gehe ich jedenfalls aus, denn nach dieser Diversität (yes, ein zentrales Thema meines Schaffens) möchte ich in meinem neuen Projekt suchen. Näheres darüber zu gegebener Zeit.
Die Messehallen bei der Grünen Woche duften ein wenig wie das Zelt beim Schützenfest. Gute Nerven braucht man in jedem Fall und am besten ein tolerantes Gemüt, dann kann man auch hier richtig interessante Sachen finden. Ich lande bei den Finnen und erblicke dort kleine Häppchen, 2 € der Pappteller (dazu die Servietten von Marimekko). Die Roggencracker oben sind belegt mit geräucherter Forellencreme, die darunter mit mariniertem Rinderfilet. Schmeckt richtig Nordic. Kein Wunder, denn das eigentlich Interessante dabei ist der Koch, den ich beim Rühren und Schnippeln beobachten kann. Es ist nämlich kein Geringerer als Sauli Kemppainen, Ex-Dieter Müller, Ex-Heston Blumenthal, Ex-Sternekoch in seinem eigenen Restaurant, der Quadriga in Berlin. Wahrscheinlich hat Sauli kein gesteigertes Interesse mehr an einem 18-Stunden-Knochenjob im Restaurant und kocht jetzt lieber auf Bestellung. Wahnsinnige 8 € kosten seine drei kleinen Gänge nach dem Motto “Finnlands Seen und Wälder” bei der Grünen Woche. Das erinnert mich sowohl von der Teaserhaftigkeit als auch vom Unprätentiösen her sehr an die Peixe em Lisboa, die ich mit großem Vergnügen vor einigen Jahren besucht hatte.
Mit dem Zug (pünktlich auf der Neubaustrecke) zurück nach Nürnberg, kurz geschlafen und am nächsten Tag gleich weiter. Allerdings in eine ganz andere Welt, keine politischen Reden, keine schwitzenden Massen, stattdessen viel guter Wein in legendärer Lage. Ich fahre zum Weingut Bastian Hamdorf nach Klingenberg am Main, und zwar ganz stilecht ausschließlich über Landstraßen. In Klingenberg angekommen, machen wir uns in größerer Runde erst einmal einen gemütlichen Abend mit einer ganzen Reihe feiner gereifter Gewächse und großer Namen. Mittendrin steigen wir dann aber doch noch in den Keller und probieren aus dem Fass, was denn der Jahrgang 2017 so andeutet. Oben rechts auf dem Foto seht Ihr den Hausherrn, links Benedikt Baltes vom gleichnamigen Weingut und in der Mitte den Spätburgunder aus dem Großheubacher Bischofsberg in Umhüllung aus Eiche. Stockinger, sehr edel. Auch der Wein deutet in diesem ultrafrühen Stadium schon an, dass 2017 wahrhaftig nicht bei allen schlicht ausgefallen sein muss.
Am nächsten Morgen schauen wir uns den Weinberg näher an, der direkt hinter den Häusern mit rotbraunen Sandsteinterrassen emporsteigt. Es ist der Klingenberger Schlossberg, Ihr ahnt es ja schon. Auf dem Foto oben seht Ihr “Mauerreben“, also alte Weinstöcke, die zwecks besserer Erwärmung durch eine Steinlücke gezogen wurden. Hier oben gibt es nur steile Terrassen, nur winzige Parzellen, nirgends können Maschinen eingesetzt werden, und nicht wenige Reben sind wurzelechte alte Sorten. Ein Paradies für Weinhistoriker.
Dies ist die Parzelle, aus der Benedikt Baltes sein Großes Gewächs aus dem Schlossberg holt. Erst dachte ich, der Januar ist vielleicht nicht der richtige Monat für solche Weinbergfotos, aber mit etwas Abstand muss ich sagen, dass die alten Reben mit dem alten Stein so fast noch beeindruckender wirken als in belaubtem Zustand.
Hier blickt man von Bastian Hamdorfs oberster Rebzeile hinunter nach Klingenberg – ohne die dazwischen liegenden Sandsteinmauern zu ahnen. Bis zum letzten Jahr holte übrigens Wolfgang Kühn aus dieser Parzelle seinen “Altrod”, den wir vor Jahren bei Thomas Riedls großartiger Veranstaltung probierten. Wolfgang Kühn hat die Parzelle aus Altersgründen abgegeben, und Nachbar Bastian Hamdorf hat sie in echt gutem Zustand übernommen. Ich freue mich schon auf den nächsten Jahrgang aus diesen Reben!
Diese gehören auch dazu, 80jährige Portugieser-Reben, wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Nachdem Hamdorf und Baltes beide biologisch zertifiziert sind, kommt hier in Klingenberg eigentlich alles zusammen, was man sich als Weinliebhaber wünscht: eine spektakuläre historische Lage, reine umsichtige Handarbeit und hochklassige Weine. Dass man jene nicht für einen Discounter-Preis bekommt, braucht man niemandem zu erklären, der das hier einmal gesehen hat.
Wenn sie nicht gerade Ausradiermittel wie Glyphosat benutzen, müsste man die Winzer und Winzerinnen des Schlossbergs schon allein wegen der Pflege der Natur- und Kulturlandschaft bezahlen. Die alten Sandsteinmauern müssen nämlich immer instand gehalten werden, was in Klingenberg zum Glück fast durchgängig geschieht. Früher, als noch der ganze Ort im Weinbau beschäftigt war, muss es hier oben nicht nur zur Erntezeit gewimmelt haben wie in einem Ameisenhaufen. Auch jetzt noch ist das kein total einsamer Ort, zumal auf halber Höhe der Fränkische Rotwein-Wanderweg mitten durch den Schlossberg führt. Eins steht jedenfalls fest: Wenn es ein bisschen grün ist, komme ich wieder nach Klingenberg und probiere die Weine ausgiebig.
Auf der Fahrt zurück nach Nürnberg (wiederum über Land) mache ich trotz des nicht gerade einladenden Wetters noch einen kurzen Stopp in Tauberzell. In diesem Bereich der Tauber gibt es noch wahrhaft weinromantische Lagen mit alten Dörfern, einem plätschernden Bach und wenig verkehrsbelasteten Straßen am Talgrund. Hier seht Ihr die Parzelle, aus der Stephan Krämer die Trauben für seinen weiß gekelterten Pinot Meunier holt.
Weil es irgendwie vernünftig scheint, machen wir in Nürnberg am Montag Abend diesen kleinen Wein auf, Nicolas Jolys “Les Vieux Clos” aus dem Jahrgang 2007. Der Wein präsentiert sich ganz vorzüglich, mit Druck und einer erstaunlichen Pikanz, die wirklich vergessen lässt, dass Joly hier wie immer ultrareife Trauben geerntet hat mit nicht weniger als 15 vol% als Ergebnis. Ich bin überrascht wegen der Eleganz, der Ausgewogenheit und auch der Fehlerlosigkeit, denn nicht selten hört man bei Gesprächen mit anderen Weinliebhabern, dass die Joly’schen Gewächse schon mal ein paar stark oxidative und auch ansonsten unharmonische Noten haben können. Genau solche habe ich woanders schon getrunken.
Mir selbst ist das bei meinen Joly-Weinen noch nie passiert, aber – und ich wage fast zu behaupten, dass es da einen Zusammenhang gibt – ich habe sie auch frisch aus dem Keller in Savennières gekauft, vorsichtig mit dem Auto nach Deutschland geschaukelt und anschließend in einem ideal temperierten Gewölbekeller gelagert. Ich kaufe sowas echt nicht gern aus dritter Hand, wenn ich nicht weiß, ob die Flaschen nicht doch mal eine Zeit lang im Juli auf dem Hof oder ein Jahr bei Neonlicht und Trockenheit im Regal gestanden haben. Der Kork wirkte nämlich nicht so, als würde er nicht-angefeuchtet längere Zeit fehlerfrei durchhalten können. Eine letzte Flasche vom damaligen Direkttransport liegt noch bei mir im Keller. Mal abwarten…
Zum Abschluss noch etwas total anderes, aber wirklich sowas von anders. Mit der leichten Überschneidung, dass zu diesem Essen durchaus auch ein Joly-Wein passen könnte. Es handelt sich um Singapore Laksa, für deren Bereitung ich die Würzpaste der Firma Asian Home Gourmet aus dem Asia-Laden ein paar Häuser weiter benutzt habe. Und als “Geheimtipp” zwei Tomaten mit hineingeschnitten. Ist total einfach zu machen und schmeckt mittags schnell zubereitet einfach super. Ich bin ein echter Fan geworden, was ich unter Sterneköchen natürlich nicht verraten würde, aber wir sind ja hier unter uns. Und damit beende ich mit dieser bunten Woche persönlich den Monat Januar. Morgen ist Lichtmess, da werden die Tage spürbar schneller länger – kein Witz, lest es nur ruhig nach.
Da hast Du mich aber neugierig gemacht auf Dein “neues Projekt”. Diversität und Entwicklungspotentiale im ländlichen Raum – habe ich das richtig verstanden? Ich könnte dazu einige Erkenntnisse aus der Praxis beisteuern…
Aber sehr gern! Genau darum geht es mir, es wird nämlich ein Reportage- und Interviewprojekt sein. Ich schicke Dir mal das Exposé, das ich in Berlin dabeihatte.
Wunderbar.