Von Schwandorf aus konnte ich sie schon sehen, die hochtoupierte Gewitterwolke, die sich über dem Arber gebildet hatte. Als ich dann bei meiner Unterkunft angekommen war, zeigte sich mein Vermieter des Wetters wegen ziemlich unbeeindruckt: „Naa, dej dout uns nix!“, meinte er, das Bergwetter sei schließlich etwas anderes als das Talwetter, und Schlechtes komme ausnahmslos aus dem Westen.
An diese Worte musste ich denken, als ich Samstag in aller Früh mit Wandergepäck aufgebrochen war, um den Hohen Bogen so halb zu umrunden. Die Gipfel im Bayerischen Wald sind nämlich nur selten komplett romantisch, denn selbst bei Menschenleere wie heute ragt auf des Berges Höh hinter einem ein Stahl- und Betongebilde in den Himmel. Funktürme, existierende und ehemalige Militäranlagen, Letztere vor allem deshalb, weil man eben nicht dachte, dass das Schlechte aus dem Westen käme, sondern aus der anderen Richtung.
Viel kann man heute allerdings nicht erkennen, und das gilt für alle Himmelsrichtungen, in die ich von den verschiedenen Ausblickspunkten des Hohen Bogen schauen kann. Ich muss an Bob Ross denken und seinen Singsang vom “layer after layer after layer”, während er auf seiner Leinwand immer mehr Hügelketten hintereinander malte.
Oben auf dem Bergkamm geht man auf einem Bett aus Fichtennadeln, steigt über Steinbrocken aus Amphibolit und hört den Vögeln zu. Ganz ruhig ist es ansonsten hier oben.
Weiter unten blüht es dort, wo die Bäume ein wenig Platz freigeben für das Sonnenlicht. Die wirklich große Blütenzeit ist momentan allerdings nicht, denn Ende Juni kommt ja immer die Stunde der Gräser. Am Waldrand kann ich dann förmlich überall das Heu riechen, das schnell vor dem großen Regen noch eingebracht werden soll. Viele Bauern mit Heuwagen sind auf den Straßen unterwegs. Und wenn sie dann geduscht sind und ihr Deospray aufgesprüht haben, dann steigen die Burschen in ihre Autos und fahren ein bisschen die Dörfer ab. Ich glaube nicht, dass ich mich täusche, denn beim Durchzählen bin ich eigentlich ganz gut: So viele kleine, verspoilerte, tiefergelegte und individuell lackierte Autos wie hier habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Kleine Zeitreise zurück in die 90er.
Auch an individuellen Bieren herrscht in der Oberpfalz kein Mangel. Ich toure ein bisschen durch die Getränkemärkte und finde viele Biere, die mir bislang unbekannt waren. Das Internet wackelt und liefert keine Informationen. Gut, dass ich eine ziemlich altmodische Hardware namens “Buch” mit dabei habe, die zuverlässig jedes angetroffene Bier in Bild und Text vorstellt.
Was ich biertechnisch gleich feststelle: Es wäre ein bisschen zu kurz gegriffen, die Oberpfalz ausschließlich als Zoigl-Land zu sehen, denn auch die anderen Bierstile kommen hier zu Ehren. Die Pilsener lassen die Nähe zu Böhmen ahnen (und die Ferne von Industriebrausen), es gibt Hell und Dunkel in Unter- und in Obergärig. Ausgezeichnet gefallen haben mir beispielsweise die Weißbiere der Brauerei Jacob aus Bodenwöhr, die sich schon ein bisschen angeberisch selbst preisen (“weltweit einmalig”), aber es sind auch wirklich sehr würzig-spannende Produkte. Sehr gut gelungen finde ich auch den Schwarzen Pfaff der Brauerei Stöttner aus dem niederbayerischen Pfaffenberg, also jenseits der Regionsgrenze. Ein Schwarzbier soll es sein, schlägt Ratebeer als Kategorie vor, aber das ist es nicht, jedenfalls nicht im thüringischen Sinne eines dunklen und eher schlank-herben Getränks. Dieser Pfaff ist nämlich eine Mischung aus Stout und einem malzig-üppigen Klosterbier, also kräftig-röstig im Körper und samtig im Ausdruck.
Wenn ich schon einmal in der Gegend bin, so denke ich mir, sollte auch ein kleiner Ausflug nach Tschechien drin sein. Weit komme ich dabei nicht, denn in Richtung Klatovy tobt seit Stunden ein Unwetter, und ich muss ja nicht mutwillig mitten hinein fahren. Mir fällt ein, dass ich schon lange keine Staatsgrenzen mehr auf Landstraßen überquert habe. Das letzte ähnliche Erlebnis war in La Jonquera auf der Pyrenäenstraße zwischen Frankreich nach Spanien. Und genauso wie dort hat der Grenzbereich zwischen Tschechien und Deutschland trotz Schengen etwas ganz Eigentümliches an sich. Es sind dies weiterhin Orte für Glücksritter. Heute kommen die einen auf der Suche nach billigem Benzin in eine der vielleicht 15 Tankstellen, die anderen erhoffen sich schnelles Geld und besuchen eines der vielen auf die Wiese geklatschen Spielcasinos. Und die Dritten wiederum fahren lieber zwei, drei Kilometer weiter und halten an Parkplätzen, an denen Frauen in neonfarbenen Aerobicanzügen in der Sonne stehen. Irgendwie habe ich schon wieder das Gefühl, 25 Jahre zurückgebeamt worden zu sein. Ich dachte, es gäbe diese Art Grenzen und ihre sozialen Erscheinungen gar nicht mehr in der EU. Und Aerobic erst recht nicht.
Kurz darauf komme ich durch ein Dorf, das allen Ernstes “Babylon” heißt. In völligem Kontrast zu babylonischen Assoziationen gibt es hier jedoch einen sehr regionstypischen dunklen Waldwassersee, der von vielen Einheimischen mit verspiegelter Sonnenbrille und Gummiluftmatratze zum Baden genutzt wird. Ein paar Kilometer weiter liegt Domažlice. Ich betrete einen Supermarkt, der – wie die meisten der größeren Supermärkte hier – jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet hat (auch sonntags) und suche nach interessanten Produkten.
Vier davon habe ich oben abgebildet. Links seht Ihr eine Spezies, die bitteschön unter Artenschutz gestellt gehört, nämlich das alkoholarme böhmische Bier, hier in Form des Bernard Světlé Pivo 10°, 3,8 vol%. Leichte Gebräue, dunkel (tmavý) wie hell (světlý), den deutschen Schankbieren entsprechend und damit das klassische Mittagsgetränk. Rechts daneben seht Ihr einen Wein, denn Tschechien ist durchaus auch ein Weinland geworden. Zwar mehr im mährischen Bereich in der Nähe der Grenze zur Slowakei und angelehnt an niederösterreichische Produkte, aber immerhin. Diesen Wein aus dem mährischen Čejkovice habe ich ehrlich gesagt deshalb gekauft, weil ich die Rebsorte nicht entziffern konnte. Dornfelder, Blaufränkisch (Frankovka), Portugieser oder Zweigelt sind es nicht, denn das stand auf den anderen Flaschen. “Svatovavřinecké“, ich habe es nachher gegoogelt, heißt Sankt Laurent. Hättet Ihr’s gewusst?
Hartwurst und Chips gehören, weil man sie auch im heißen Auto transportieren kann, ohne nach dem Genuss einen Bandwurm oder Ähnliches zu bekommen, eigentlich immer zu meinen Lieblingsmitbringseln. Zur sicher würzigen Paprikawurst kann ich noch nichts sagen; die Kartoffelchips mit ihrem beachtlich hohen Anteil an Knoblauchpulver schmecke ich allerdings immer noch.
Wieder in meiner kleinen Ferienwohnung mit Südbalkon angekommen (für 32 € die Nacht, ja, auch das macht diese Region attraktiv), kaufe ich dann noch schnell bei Metzger und Bäcker ein, um mir ein simples Abendessen zu bereiten. Wollwürste, dunkles Brot, Butter, Weißbier, fertig. Und perfekt, um während des Essens ein bisschen in die Landschaft zu schauen.
Zu schauen, wie dort über den gegenüber liegenden Bergkamm ein Wetter herangezogen kommt, das nicht wirklich freundlich aussieht. Zuerst weht es, dann blitzt es, und schließlich schüttet es zwei oder drei Stunden lang. Wie passend, denke ich mir, dass sich das schlechte Wetter den bestmöglichen Zeitpunkt ausgesucht hat, um hier herüberzuziehen. Auf diese Weise hatte ich einen herrlichen Tag und einen gemütlichen Abschluss in wasserdichter Stube.
Als ich gestern früh wieder nach Nürnberg zurückgefahren bin – zwei Stunden mit dem Auto übrigens, dem fehlenden Lkw-Verkehr sei Dank – habe ich noch einmal über das Wochenende nachgedacht, über die Andersartigkeit und die Ereignisdichte, die sich trotz relativ kurzer Dauer dann einstellen kann, wenn man sich ein wenig vom Alltag wegbewegt. Warum nicht mal für zwei Tage einfach irgendwo hinfahren, wo man noch nie war? Zum Beispiel tief in die Oberpfalz hinein – und ein bisschen auch nach Böhmen.
Die Oberpfalz mit besonderer Küche und fremden Gebräuchen ist immer eine Reise wert.
Als Oberpfälzer freue ich mich natürlich sehr über einen solchen Bericht 🙂 Für Bier wäre die Brauerei Rhaner in Cham noch ein Tipp, wenn man in dieser Ecke unterwegs ist.
P.S. Ich hatte dir zu einem anderen Thema eine Mail geschrieben, ist diese wohl nicht angekommen?
Schöne Grüße
Thomas
Ja, ich habe noch zwei weitere Weißbiere probiert und noch ein paar mehr gekauft und mitgenommen. Ich wollte bloß nicht den ganzen Artikel ausschließlich bierig gestalten, weil ich ja primär gewandert bin. Eines der beiden Weißbiere war die Panduren-Weiße von Rhaner, die andere die Aegidi-Weiße von Bruckmayer aus Drachselsried. Beide fand ich gut gelungen, elegant und sehr am Idealtypus orientiert, also Gewürznelke, Banane, getreidige Hefigkeit, eher weich gehalten, gut zum Essen.
Und nein, Deine Mail ist nicht angekommen, jedenfalls nicht seit dem 1. März 😉 (bis dahin habe ich zurückgeschaut).
Super-Wahl, das Drachselsrieder ist in der Tat auch sehr gut – aber das ist ja schon Niederbayern 🙂 Gemailt hatte ich an chezmatze at yahoo.com Falsche Mailadresse?
Ja, der Schwarze Pfaff kam auch schon aus Niederbayern, da arbeite ich nicht so wirklich trennscharf 😉
Und ebenfalls ja, die Adresse ist richtig. Ich muss aber zugeben, dass ich die – aus welchem Grund auch immer – in den Spamordner sortierten Mails manchmal nicht anschaue und den Eingang dann ungelesen lösche. Da sich bislang noch niemand beschwert hat, dachte ich, das wäre schon okay so. Scheint aber Ausnahmen zu geben… 😉 Schreib einfach nochmal, dann schau ich auch in den Spamordner, falls die Mail da hineingekommen sein sollte. Danke.
Die Oberpfalz biermäßig auf Zoigl zu reduzieren liegt aber irgendwie auch nahe. Ich meine,klar gibt es dort viele Brauereien die gute bis sehr gute Biere machen, die gibts aber im benachbarten Oberfranken halt auch zu Hauf, und das in größerer Zahl..
Aber den Charme von “auf Zoigl gehen” als soziales Ereignis, den habe ich außer in echten Zoiglstuben in der Oberpfalz noch nirgendwo auf der Welt erlebt, und das macht m.e. die Oberpfalz auch einfach aus. Ja, I know, es gibt hier und da auch woanders in Bayern Zoiglorte. Nur ist z.b. “auf Zoigl gehen” in Eschawo einfach was völlig einzigartiges als “A Zoigl trinken” in Neuhaus an der Pegnitz.
Ein schöner Ausflug, auf den du uns mitgenommen hast… Danke!
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