Stellt Euch folgende Situation vor: Ihr seid mit dem Auto in Frankreich unterwegs, vielleicht auf der Rückfahrt vom Urlaub oder auf einem Wochenend-Trip oder auch nur zum Tagestour-Shopping. Es ist nachmittags, der Markt bereits beendet, in die Innenstadt wollt Ihr nicht mehr, aber die großen Hypermarchés erscheinen Euch zu anstrengend; außerdem gibt’s da ja immer eh keine lokalen Bio-Produkte, und die hättet Ihr eigentlich gern. Ihr seid also in Wirklichkeit typische Besucher von Wochenmärkten oder kleinen Boutiquen, aber jetzt hättet Ihr es gern ein bisschen unkomplizierter. Nun, dann kommt doch einfach mit in den Bio-Supermarkt. Wie, da gibt es nichts, was Euch interessiert? Na, mal sehen…
Wenn ich in Frankreich bin, besuche ich seit einigen Jahren regelmäßig auch die dortigen Bio-Supermärkte. Dabei handelt es sich meist um Kästen in den Industriezonen um die Innenstadt herum. Nicht schön oder vielmehr sogar in den meisten Fällen richtig hässlich, aber mit der Zeit habe ich diese Läden wirklich schätzen gelernt. Nicht um dort frische Marktprodukte zu kaufen, denn ehrlich gesagt geht es mir wie Euch: Ich habe noch ein paar Stündchen auf der Autobahn vor mir, und da interessiert mich frischer Fisch nicht so sehr.
Was die Bio-Supermärkte in Frankreich für mich so attraktiv macht, das ist die Tatsache, dass es sich entweder um echt inhabergeführte oder wenigstens im Franchise-System verpachtete Läden handelt, bei denen die Leiter noch in vielen Fällen selbst bestimmen können, was er oder sie im Sortiment haben möchte.
Soll heißen: Die Sachen sind nicht nur bio-zertifiziert, sondern können auch aus Kleinproduktionen direkt aus der Region stammen, die in den großen Supermärkten keine Chance auf eine Einlistung hätten. Interessant fand ich die Schilder oben im Biocoop in Lons-le-Saunier (Jura, vor ein paar Tagen fotografiert), auf denen die Kilometerzahl zwischen Produktionsstätte und Biomarkt angegeben wird.
Das größte Netz an Filialen oder vielmehr unabhängig kooperativ geführten Märkten hat Biocoop mit fast 400 Läden. Man kann dort auf der Website per Karte oder nach Postleitzahl den nächstgelegenen Markt suchen, eine sehr gute Sache. Ein bisschen verwirrend mag allerdings erscheinen, dass alle Läden auch noch neben “Biocoop” einen eigenen Namen führen, meist denjenigen, den sie schon vor dem Eintritt in das Biocoop-Netzwerk besaßen. Biocoops sind wahre Wundertüten. Beim Eintritt umfängt einen die “Körner-Atmosphäre”, die man entweder vermisst oder die einen schon immer genervt hat. Dann aber wird nach und nach klar, dass neben Standards, die es in fast allen Biocoops gibt, in eigentlich jeder Rubrik auch irgendetwas Lokales oder Besonderes zu finden ist. Genau wissen kann man das vorher nicht, aber das ist für mich ehrlich gesagt auch ein bisschen der Spaß an der Sache.
Eine weitere empfehlenswerte Biomarkt-Kette ist La Vie Saine, die bislang zwar frankreichweit nur 16 Filialen aufweisen kann, dafür aber gleich zwei bei Nancy und eine in Metz, was für Tagesausflügler dorthin sicher eine nette Sache ist. “La Vie Saine” ist deutlich moderner aufgemacht, auf dem Titelfoto ganz oben seht Ihr den “La Vie Saine”-Markt von Dole.
Echte Fundgruben sind besonders die Märkte, die entweder früher schon einmal zum Biocoop-Netzwerk gehört hatten oder (so scheint es mir) von ehemaligen Biomarkt-Mitarbeitern als Einzelmarkt eröffnet wurden. Vielleicht das “beste” Exemplar dieser Art habe ich mit “La Coop Bio” in St-Malo gefunden. Dieser Markt steht einer Feinkostboutique in nichts nach. Ebenso interessant ist der auf dem Foto abgebildete Biocoop “Saveurs et Saisons” in Villeneuve d’Ascq bei Lille. Hier gibt es sogar ein angegliedertes Restaurant und eine Brauerei.
Der Vollständigkeit halber sollte ich auch noch “La Vie Claire” mit 265 und “Naturalia” mit gut 100 Filialen erwähnen. Für meine Zwecke habe ich dort allerdings seltener die “interessanten Produkte” gefunden, von denen jetzt die Rede sein soll.
Kann man in einem französischen Bio-Supermarkt Wein kaufen? Eine berechtigte Frage auf einem Blog mit Wein-Schwerpunkt, die ich mal mit “ja, aber…” beantworten möchte. Ganz klar, die Lagerbedingungen sind hier so schlecht wie in anderen Supermärkten auch, weshalb ich nur jüngere Jahrgänge kaufen würde, die noch nicht mehrere Sommer unter Neonlicht verbracht haben. Weine aus dem Bordelais, dem Rhônetal und dem Süden vom Roussillon bis zur Provence kann ich in aller Regel nicht empfehlen. Das sind meist Weine, bei denen das Bio-Label das entscheidende Verkaufskriterium ist und nicht die geschmackliche Qualität dahinter.
Erstaunlich gut (aber natürlich auch nicht billig, ab 20 € aufwärts bis ca. 35 €) sind die Champagner, die in den Biomärkten angeboten werden. Ihr werdet hier immer wieder auf die Weine von Fleury, von Erick Schreiber oder auch von Vincent Couche treffen. Das sind alles höchst solide Hersteller biodynamischer Champagner aus dem Aube, also der südlichen Champagne mit ihren eher herzhaften Weinen auf Pinot Noir-Basis.
Am besten sind aber in aller Regel die paar Weine von jeweils lokalen Produzenten, die direkt eingelistet werden, ich nehme an ohne Großhändler-Umweg. Vom Pignier-Angebot in Dole hatte ich ja schon berichtet. Links seht Ihr zum Beispiel den G.P.S, einen weißen Mischsatz, Demeter, spontanvergoren, ungefiltert, ungeschönt, kein Schwefelzusatz. Der aktuelle Jahrgang 2015 steht in den Regalen, 14 €. Im “La Vie Saine” in Lothringen kann ich sowohl den Crémant als auch die Rieslinge von Zusslin sehr empfehlen (Demeter, Biodyvin, 9-15 €). Ansonsten gibt es immer mal ein paar Funde, meist die Einstiegsweine hochkarätiger Winzer wie Goisot aus dem nördlichen Burgund (ausgezeichnete Rote und Weiße), dem Château de Coulaine (guter Rotwein) oder Jo Landron (herbtrockener Weißer für Fisch und Meeresfrüchte), beide von der Loire, preislich um die 10 €. Ich gebe gern zu, gerade bei Wein ist es hilfreich, wenn man sich bereits ein wenig auskennt, aber ich habe in den französischen Bio-Supermärkten jedenfalls weitaus interessantere Funde gemacht als in den großen Hypermarchés.
Weithin unbekannt und auch über übliche Medien wie Facebook, Internetforen und Blogs so gut wie gar nicht verbreitet, hat sich in Frankreich seit ein paar Jahren eine enorm lebendige Kleinstbrauerszene entwickelt. Sehr viele dieser neuen Brauer stellen Biobiere her. Für viele ist der örtliche Bio-Supermarkt einer der wenigen, wenn nicht gar der einzige Vertriebskanal. Ich kann Euch deshalb sehr die Biere lokaler französischer Brauer in den Bio-Supermärkten empfehlen. Ihr werdet im Zweifel noch nie von ihnen gehört haben, aber Probieren lohnt sich wirklich. Ich habe mittlerweile nicht weniger als 65 dieser Biere getestet (und in einer Tabelle beschrieben, daher weiß ich das so genau…). In aller Regel sind das obergärige, natürtrübe Getränke mit Nachgärung in der Flasche. Es gibt sie in den Typen “Blanche” (Weißbier, entweder auf die bayerische oder auf die belgische Art), “Blonde” (der Standard No. 1, ein helles Bier), “Ambrée” (der Standard No. 2, kupferfarben) und gelegentlich “Brune” oder sogar “Noir” (Stout-ähnlich wie der “Black Prince” oben im Bild). Bestimmte Marken möchte ich Euch nicht empfehlen, schaut einfach auf dem Rücketikett, woher das Bier stammt und greift zu.
Sehr gut und in vielen Bio-Supermärkten in Frankreich vertreten sind die Produkte von Marinoë aus der Bretagne. Ich hatte Gründerin Marie-Dominique das erste Mal bereits vor drei Jahren auf der Biofach getroffen und mich ein bisschen mit ihr unterhalten. Sie und ihr Mann hatten mit verschiedenen Algensorten begonnen, die sie quasi vor ihrer Haustür aus dem Meer gefischt haben. Mittlerweile ist die Palette größer geworden, es gibt Algen-Tatar (auf Französisch “tartare” mit “r”), verschiedene tolle Brotaufstriche und so einiges mehr, einen ganzen Kühlschrank voll, Ihr seht es oben auf dem Foto. Leider kann man die Produkte von Marinoë immer noch nicht in Deutschland kaufen, aber dafür eben in französischen Bio-Supermärkten – auch solche, die man nicht kühlen muss.
Wenn es jetzt um “richtig Fischiges” geht, möchte ich Euch die Fischkonserven von Belle Bretagne ans Herz legen. Es gibt nicht nur Fischsuppe (mit Algen, natürlich), sondern vor allem Fischzubereitungen in etwas größeren Gläsern. Egal ob Sardine mit Piment d’Espelette oder (das exklusivste Produkt) Leber vom Seeteufel, immer stammen die Fische dafür aus saisonalen und lokalen Fängen kleiner Fischkutter. Der Name des jeweiligen Boots ist auf der Packung abgedruckt.
“Confiture de Nèfles” oder aber auf Englisch “Medlar Jam”, was soll denn das bitteschön sein? Nun, es handelt sich um die Mispel, die als Obstbaum im Mittelalter noch sehr wichtig war, heute aber gewerbsmäßig in unseren Breiten nicht mehr angebaut wird. “Oh! Légumes Oubliés” wurde vor fast 40 Jahren von Bernard Lafon in der Nähe von Bordeaux gegründet. Dort werden alte und seltene Obst- und Gemüsesorten gepflegt (man kann den Hof auch besichtigen) und Produkte aus ihnen hergestellt. In den Biomärkten werdet Ihr natürlich nie das gesamte Sortiment finden, aber es lohnt sich, die Augen offen zu halten. Die Mispelkonfitüre schmeckt übrigens fruchtsäuerlich mit Gerbstoffen, ein bisschen zwischen gelber Pflaume und Rhabarber …aber ich glaube, das solltet Ihr besser selbst probieren.
Eine interessante Abteilung bei den Bio-Supermärkten ist immer das, was ansonsten vielleicht als “Epicerie fine” bezeichnet werden würde, also Öle, Gewürze, Kräuter, all sowas. Rechts oben auf dem Foto habe ich ein Gläschen mit Piment d’Espelette in der Hand, die unvergleichlich pikant-aromatische getrocknete Paprikasorte aus dem Baskenland. Es gibt Leute, die meinen, ich würde das Gewürz fast ein wenig zu oft einsetzen, aber es schmeckt wirklich großartig. Dasselbe gilt für das sehr edle Olivenöl aus der nördlichen Provence, genauer gesagt aus Nyons, Département Drôme. Die Oliven von Nyons werden nur voll ausgereift verarbeitet (also nicht etwa schwarz eingefärbt), weshalb das aus ihnen gepresste Bio-Olivenöl nicht herb-grasig, sondern eher vollmundig-nussig schmeckt. Es ist fantastisch für die Zubereitung von Mittelmeerfischen, in den frischen Salat passt es dagegen weniger. Gekauft übrigens im “Saveurs et Saisons” in Villeneuve d’Ascq.
Zum Abschluss noch ein Foto, das man anderswo im Netz vielleicht als Haul oder eher Mini-Haul bezeichnen würde – meine Einkäufe im Biocoop von Lons-le-Saunier. Links seht Ihr eines der sehr stylischen Biere der Brasserie de Vézelay aus dem Burgund. Dieses angebliche Braunbier war in Wirklichkeit ein obergäriges Rauchbier in leichter Anlehnung an den Bamberger Stil. Ich liebe solche Überraschungen. Weiter in der Reihe oben ein Kaffee, aber ehrlich gesagt empfehle ich für den Kaffeekauf in Frankreich eines der vielen Kaffeegeschäfte mit angeschlossener Rösterei. Oben anschließend dann einer der drei Algen-Tatare von Marinoë, rechts daneben eine Konfitüre mit Kirschen aus dem Roussillon – das ist die Gegend, die zu Ostern immer die ersten französischen Kirschen dem Staatspräsidenten schickt. Darunter ein kleines Glas mit Spargelcrème und getrockneten Tomaten, hat mich einfach interessiert.
Links daneben seht Ihr ein Glas mit korsischer Arbouse-Konfitüre, also der Frucht des Erdbeerbaums. Habt Ihr schon einmal den Erdbeerbaumfalter gesehen, den prächtigsten europäischen Schmetterling? In diesem Beitrag hatte ich mal einen fotografiert. Wo er fliegt, wächst der Erdbeerbaum. Mehr Mittelmeer geht nicht. Und schließlich der heimliche Star des Fotos, ganz nach vorn gelegt: Knospen des schwarzen Johannisbeerbusches. Riecht unglaublich toll, grün, strauchig, dazu ätherische Öle ähnlich einer Orangenschale. Das werde ich irgendwie in der Küche verwenden, muss aber noch darüber nachdenken.
Mein Fazit: Wer ein wenig Zeit hat, nach den echten Besonderheiten zu suchen, wird in französischen Bio-Supermärkten ganz erstaunliche Entdeckungen machen können. Regional produziert, nachhaltig hergestellt und auch noch mit besonderem Geschmack. Was geschmacklich hingegen ein wenig zu wünschen übrig lässt, ist das Ambiente der Märkte mit Ikea-Kellerregalen unter Wellblechdach in teils etwas rumpeligem Zustand. Aber seien wir froh, dass es solche Supermärkte noch gibt, in denen die Kleinhersteller aus der Nachbarschaft eine Chance auf Einlistung haben – und wir eine Chance, diese Sachen relativ bequem zu bekommen.
Wer gern Müsli und Flocken zum Frühstück isst und auf der Suche nach speziellen Naturkosmetik-Produkten ist, mag in diesen Märkten auch glücklich werden. Allerdings sollte man da besser nicht mich um Rat fragen, sondern bei Beautyjagd nachlesen, was sie in den vier Bio-Supermärkten in Dole alles gefunden hat.
Danke für die Tips, bald geht’s auch bei mir wieder nach Frankreich…