Was wissen wir von der Normandie – oder, um genauer zu sein – was wusste ich davon, ohne jemals dort gewesen zu sein? Die Alliierten sind an der Küste gelandet, es gibt entsprechende Strände, ein paar gotische Kathedralen, die Einheimischen essen Camembert und trinken Cidre, und im Sommer tummelt sich die ganze Pariser Haute Volée in ihren Hausbadeorten. Soviel zur Vorbildung. Nun, da ich selbst in Honfleur, in Trouville und in Deauville gewesen bin, weiß ich natürlich ein bisschen mehr, vor allem hinsichtlich des kulinarischen Faktors. Und das möchte ich nicht für mich behalten.
Interessanterweise sind die drei Städte Honfleur, Trouville und Deauville trotz ihrer Nähe zueinander komplett unterschiedlich. Honfleur ist eine Art Rothenburg am Meer, eine Stadt, der es bereits in den vergangenen Jahrhunderten dank ihrer Handelsbeziehungen gut ging und die mit ihrem altweltlichen Charme entsprechend hausieren geht. Überall gibt es alte Fachwerkhäuser, pittoreske Ecken, enorm viele Souvenirshops, vielleicht das baulich geschlossenste Hafenbecken der gesamten französischen Atlantikküste – und einen Markt. Genauer gesagt zwei, denn mittwochs findet ein Biomarkt statt, samstags dann der traditionelle Wochenmarkt. Letzterer bietet zwar mehr Stände und mehr Besucher (Honfleur ist außerhalb der Saison vor allem ein Wochenendziel), aber nicht deutlich mehr echte Produzenten.
Wer eine Ferienwohnung hat und gern selbst kocht, kann sich auf dem Mittwochsmarkt alle regionalen Basislebensmittel besorgen. Zu jenen zählen vor allem die vorzüglichen Milchprodukte. Das Hinterland ist wirklich unglaublich grün, weil das Gras im Winter nur äußerst selten von Schnee bedeckt ist und das Meer immer genügend Feuchtigkeit in Form sprühender Schauer mitbringt. Die ganzjährig auf den Wiesen herumlaufenden Kühe liefern dabei die Ausgangsbasis für eine Crème fraîche, wie ich sie in dieser Qualität noch nie in einem Laden gekauft hatte. Die Produzentin auf dem Bild oben hatte noch eine weitere Spezialität dabei, Teurgoule im Steintopf. Dafür wird Reis zusammen mit Zimt und Zucker in Milch stundenlang auf kleiner Flamme gekocht. Oben bildet sich eine leicht karamelisierte Kruste, unten gehen alle Elemente ineinander auf. Schmeckt köstlich und hat nur einen Nachteil: Es fällt schwer, die offensichtliche Pampe fotogen abzubilden.
Bei all den Touristenmassen, die am Wochenende durch Honfleurs Gassen ziehen, darf man nicht vergessen, dass der Ort immer noch einen funktionierenden Fischerhafen besitzt. Der befindet sich zwar nicht mehr innerhalb des pittoresken Hafenbeckens, jedoch nur wenige Meter außerhalb Richtung Nordosten.
Eine Verkaufsstelle hat in einer Halle außerhalb der Saison am Wochenende geöffnet, im Sommer gibt es auch feste Stände direkt am Kai. Ansonsten muss man ein wenig Glück haben und kann dann praktisch direkt von den Booten einkaufen. Als ich dort war, hatte ein Boot Jakobsmuscheln und ein paar Plattfische mitgebracht. Obwohl man sich die Jakobsmuscheln auch hätte zubereiten lassen können, habe ich mich für die „rohe“ Variante entschieden, weil ich wissen wollte, wie so ein Ding in ungeputztem Zustand von innen aussieht.
Ungefähr so. Für das Knacken braucht man ein etwas längeres Messer, um das weiße Muschelfleisch von der Schale zu lösen. Das ist nicht weiter schwierig. Dann kommt ein bisschen Putzarbeit, denn die Innereien, den Glibberkranz und den „Kamm“ kann man anders als die „Koralle“ nicht essen. Ob man den Sand mitessen möchte, hängt dagegen ein bisschen von den persönlichen Vorlieben ab. Sand liegt etwas schwer im Magen, enthält dafür aber unheimliche Mengen an Mineralien.
Trouville und Deauville sind nur durch den Fluss Toques und die Gezeiten voneinander getrennt, in ihrem Erscheinungsbild trennen sie aber Welten voneinander. Trouville ist ein gewachsenes Fischerstädtchen, das quasi zufällig einen breiten Sandstrand besitzt und das Ende des 19. Jahrhunderts von einem Spielcasino und schmucken Villen im Stil der Zeit (siehe oben) quasi baulich ergänzt wurde. Deauville hingegen ist ein Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Reißbrett entworfener Ort, der nie einen anderen Zweck besaß als denjenigen, Treffpunkt der Reichen und Schönen zu sein.
Trouville hat dementsprechend einen echten Fischmarkt in einem allerdings mehrfach abgebrannten Gebäude am Hafen zu bieten, auf dem Ihr an jedem Tag frische Meeresfrüchte bekommt – allerdings zu einem leicht gehobenen Preis. Der trou normand übrigens, und das passt sowohl zu Trouville als auch zu Meeresfrüchten, ist der traditionell zwischen Vorspeise und Hauptgang gereichte Calvados. Einerseits soll er ein „Loch“ im Magen schaffen, damit die weiteren Speisen dann hineinpassen, andererseits besitzt hochprozentiger Alkohol ja bakterienabtötende Eigenschaften, und das kann nach roh genossenen Meerestier-Vorspeisen manchmal durchaus sinnvoll sein.
Dass in dieser Gegend der Welt ein beachtlicher Tidenhub herrscht, ist allgemein bekannt und auch ein Grund dafür, weshalb es gar nicht allzu viele ständig zugängliche Seehäfen entlang der Küste gibt. Wenn dann noch die Springtideneffekte hinzukommen, zeigen sich Bilder wie diese, zweimal von derselben Stelle aus fotografiert. Wer irgendetwas Meerestechnisches machen möchte wie Baden, Segeln oder Wattwandern, für den empfiehlt es sich, öfter mal den Gezeitenkalender zu studieren.
Der Strand von Deauville ist allerdings derartig breit und auch noch feinsandig, dass er selbst bei Fluthöchststand nie ganz verschwindet.
An kleinen Geländestufen haben sich dabei Anhäufungen von Muschelschalen gebildet, die in ihrer Üppigkeit einen Kampf um den schönsten Strandfund schnell überflüssig machen.
Wer sich wie ein Filmstar in Deauville fühlen will, kann sich zumindest im Sommer eine der abgebildeten Umkleidekabinen mieten. Ohnehin gibt es hier noch eine Art „Strand hinter dem Strand“, denn in den fast römisch anmutenden Badebauten hinter dem Sandstrand kann man auch zu Ebbezeiten planschen – im Gegensatz zum Meer allerdings gegen Gebühr.
Wer wissen will, was die heutigen Normannen und die französischen Wochenendbesucher in der absoluten Vorsaison machen, sollte bei Ebbe den kleinen Ort Villerville aufsuchen, praktischerweise in der Mitte zwischen Trouville und Honfleur gelegen. Anders nämlich als in Honfleur oder Deauville-Trouville gibt es hier felsige Abschnitte im Meer und nicht nur Sand. Was sich für den gemeinen Badegast zunächst einmal unpraktischer anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Goldgrube spezieller Art.
Erst wusste ich gar nichts mit dem Menschenauflauf anzufangen, der sich da weit draußen an der Abbruchkarte zwischen Ebbe und Flut abspielte. Menschen aller Altersstufen pilgerten mit Plastikeimern dorthin, um, tja, was eigentlich zu suchen? Krebse? Algen? Muscheln?
Letzteres. Durch die diesmal besonders starken Gezeiten wurden auch Teile des Meeresbodens freigelegt, die ansonsten immer unter Wasser sind. Andererseits gibt es auch ein paar Meter landeinwärts immer noch genügend Felsen, die über und über mit Miesmuscheln bewachsen sind. Jene haben sich mit ihren Barteln an den Felsen festgezurrt, sind dennoch ganz leicht zu lösen und halten sich in der Kälte von Meer und Luft auch lang genug.
Und so trägt jeder, einer Art Allmenderecht folgend, so viel von den frischesten Muscheln nach Hause, wie er an einem Tag essen kann.
Wenn Ihr aber Geld ausgeben wollt für kulinarische Spezialitäten, werdet Ihr in der Gegend zwischen Le Havre und Caen ebenfalls fündig. Klassische Mitbringsel sind natürlich Apfelprodukte aus dem Hinterland der Küste wie Calvados oder Cidre. In Honfleur könnt Ihr in jedem zweiten Haus entsprechende Produkte erwerben, aber es lohnt sich natürlich auch, zu den Produzenten zu fahren. Oben auf dem Bild seht Ihr Schuppen und Apfelbäume des Manoir d’Apreval, eines Cidreproduzenten in Pennedepie direkt an der Küste. Weil ich meine 20 unterschiedlichen Cidres und Poirés zwar überall erworben, aber größtenteils noch nicht probiert habe, kann ich Euch allerdings noch keine verifizierten Empfehlungen abgeben.
Aber ich kann Euch drei Läden zeigen, in denen Ihr eine sehr gute Auswahl sowohl regionaler als auch weinhaltiger Produkte erwerben könnt. La Case des Bains in der rue des Bains in Trouville bietet dabei allerlei Ländliches mit urbanem Chic. Produkte Pariser Avantgarde-Brauereien findet Ihr hier ebenso wie Cidres, die nach der méthode champenoise bereitet wurden oder andere, gut ausgewählte Leckereien.
La Cave Trouvillaise, nur ein paar Schritte davon entfernt und ebenfalls in der rue des Bains gelegen, ist dagegen eine Wein-Schatzkammer, die man so und hier nicht erwarten würde. Wer viel Kleingeld mitbringt, kann hier, eingestaubt und dennoch frisch aus dem Keller, richtig teure Einzelflaschen erwerben. Und zwar die ganz großen Namen, die Premiers Grands Crus aus dem Bordelais und sehr stattliche Burgunder, unter ihnen für schlaffe 745 € einen 23 Jahre alten Tresterbrand aus den Pressrückständen der Domaine de la Romanée Conti.
Ganz anders sortiert ist dagegen die Weinhandlung La Feuille de Vigne in Honfleur, deren Besuch sich beispielsweise an einem Markttag anbietet. Hier gibt es regionale Spezialitäten und eine sehr durchdachte Weinauswahl, die einen Schwerpunkt im Bereich bio, biodyn und naturel besitzt. Ich habe zum Beispiel einen Jura-Chardonnay von Jean-François Ganevat erstanden, der zwar nicht allzu viel mit der Normandie zu tun hat, aber quasi ein Bruder im Geiste ist.
Und falls Ihr einmal in den Gassen von Honfleur vergessen haben solltet, wovon die Menschen hier in früheren Zeiten gelebt haben, manchmal genügt bereits ein Blick auf die Treppenstufen, um das Meer mit Tauen und Schiffsplanken wieder in Erinnerung zu bringen.
Hey Matze,
sehr, sehr schön!
fein wie immer 🙂
Da möchte man sich gleich ins Auto setzen und losfahren. Das Kilo Jakobsmuscheln, frisch angelandet, für 5 Euro! Ich war vor einigen Jahren in der Bretagne und das hat mir jetzt den totalen Erinnerungsflash bereitet. Bin gespannt wenn du über deine erbeuteten Schätze schreibst…
Ich hab mir jedenfalls gleich mal eine Tupperdose im Supermarkt gekauft, damit ich den Käse einigermaßen unbeschadet überführen kann 😉 . Und die Sache mit Fisch und Meeresfrüchten, ja, ich glaube, das ist der größte esskulturelle Gap zwischen Frankreich und Deutschland. Hat natürlich auch damit zu tun, dass Frankreich (so wie halt Spanien oder Portugal auch) eine lange Ozeanküste besitzt, aber nicht nur.
Klasse, danke! Mehr davon bitte!!!
Hallo Matthias,
nur 20 unterschiedliche Cidres und Poirés? Da bin ich ja beruhigt, dass es nicht 20 unterschiedliche Calvados wurden 😉
Aber ansonsten ein sehr schöner Bericht. Ich sollte mal wieder Jakobsmuscheln essen…
Gruß
Thomas
Das solltest Du wirklich tun! Mit Calvados kenne ich mich ehrlich gesagt auch gar nicht so aus (obwohl es richtig vertrauenserweckende Flaschen zu kaufen gab). Du weißt ja, die starken Alkoholika sind meine Sache nicht – zu mehr als einem Verdauungsschnäpsle langts bei mir nie 😉
Savoir vivre wie wir in dem ozeanfernen gefilde der BRD es immer illusionistisch träumen
– dabei – dieser blogbeitrag beweist es, gibt`s das wirklich und hin kommen kann man ohne zoll- und geldformalitäten. Tu felix Europa welch ein gewinn!