Heute bleibt die Küche kalt, wir mampfen nur im Blätterwald. Darf man mit einem solch schrecklichen Reim einen seriösen Artikel beginnen? Wahrscheinlich nicht. Dabei geht es diesmal um eine wahrhaft seriöse Angelegenheit, nämlich darum, wie und auf welche Weise sich die Japaner über Essen informieren. Und wahrscheinlich auch über alles andere. Man kann es obsessiv nennen oder perfekt durchgeplant oder auch sympathisch nerdig – in jedem Fall wage ich zu behaupten, dass selbst die Franzosen nicht so essverrückt sind wie die Japaner.
Dass es in Tokio mehr Sterne-Restaurants gibt als in Paris, ist an sich schon eine Sensation, denn natürlich lassen sich die Köche aus dem Mutterland des Guide Michelin irgendwie leichter besternen. Aber auch in den Kategorien darunter überwältigt Tokio schlichtweg den unbedarften Erstbesucher wie mich. An meinem ersten Tag in Tokio fuhr ich die Rolltreppe hinunter in die Food-Abteilung des Luxus-Kaufhauses Isetan und sah mich Menschenmassen, einem unüberblickbaren Gewirr an Countern augenscheinlicher Nobelhersteller und einer fast schmerzhaften Vielfalt unbekannter Spezialitäten gegenüber. Also ungefähr so, wie sich Lukas Podolski in Fritz Zickuhrs Edeka fühlen muss.
Dasselbe zwei Tage später, als wir abends zu dritt in Shibuya unterwegs waren. Es ist ja schon schwierig, ein Restaurant auszuwählen, wenn jedes Haus in der Straße eines beherbergt. Hier standen wir aber vor einem solchen mit acht Stockwerken, und in jedem Stockwerk gab es ein anderes Restaurant mit einer anderen Ausrichtung der Küche. Und daneben schon das nächste Haus, das genauso aufgebaut war.
Wie, so habe ich mich gefragt, informiert sich bei einem solchen Angebot ein gewöhnlicher Tokioter darüber, was er am besten kaufen und wohin er am besten essen gehen soll? Ich hatte ja schon bemerkt, dass die Japaner eine gewisse (wie hatte ich das nochmal ausgedrückt?) “Geleitetheit” sehr zu schätzen wissen. Da muss es doch auch so eine Art Stadtmagazin für kulinarische Exkursionen geben oder auch ein Produktkunde-Buch. Also ging ich diesmal nicht in die (mäßige) Abteilung für fremdsprachige Bücher in der sechsstöckigen Buchhandlung Kinokuniya, sondern einfach in die japanische Kochbuchecke. Und was ich da fand, tja, das übertraf meine sämtlichen Erwartungen.
Vielleicht sollte ich zunächst vorwegschicken, dass es in dieser kleinen Kochbuchecke ohne Übertreibung mehrere tausend Titel gibt. Sowohl Bücher als auch Zeitschriften, und mit letzteren meine ich nicht solche kaum kaschierten Werbeblättchen und oberflächlich recherchierten Nichtssager, wie sie leider bei uns den Zeitschriftenmarkt zu einem Trauerspiel für mich haben werden lassen. Der japanische Weinliebhaber kann beispielsweise zwischen fünf monatlich erscheinenden Weinzeitschriften wählen, die Freunde von Fischigem haben sogar ein ganzes Regal zur Auswahl.
Ich habe mich dazu hinreißen lassen, trotz nicht vorhandener Japanisch-Kenntnisse richtig zuzuschlagen. Irr? Sicherlich, aber schaut selbst, ob Ihr nicht auch zugegriffen hättet. Alle Softcover-Bücher und Zeitschriften, die ich Euch hier präsentiere, haben zwischen 150 und 250 Seiten und kosten umgerechnet zwischen sechs und elf Euro.
Hier zunächst zwei kleine Bücher aus der Reihe “Encyclopedia for Gourmet”. Es gab auch noch weitere Ausgaben, unter anderem über Fleisch, aber ich habe mich auf diese beiden hier beschränkt, weil sie mir Informationen über japanische Besonderheiten liefern, bei denen mir noch ziemlich viele Basics fehlen: Sake und Sushi. Beide Bände sind schön logisch aufgebaut und beschreiben pro Seite je ein Produkt.
Im Sake-Guide wird zunächst einmal die Brauerei und ihr offenbar beliebtestes Produkt abgebildet. Dazu kommen noch jeweils drei andere Sake-Typen derselben Brauerei mit allen technischen Angaben und dem Hinweis, was dieser Sake kulinarisch am besten begleiten kann. Ich werde versuchen, in der nächsten Zeit die Beschreibungen wenigstens so weit zu ergründen, dass ich weiß, welchen Sake ich noch probieren möchte. Am Ende meines Tokio-Aufenthalts habe ich mir als hehres Ziel gesetzt, über Sake einen kleinen Post schreiben zu können.
Der Sushi-Guide ist ganz ähnlich aufgebaut: Oben ein schönes Foto, damit man weiß, wie die Nigiris auszusehen haben. Der Fisch wird (deshalb habe ich mir das Buch auch gekauft) dann auf Englisch und auf Romaji bezeichnet, also in der latinisierten Schriftform des japanischen Ausdrucks. Alsdann folgt ein Text, der mir leider wenig verrät, aber vermutlich dem Fisch und seinen Eigenarten gewidmet ist. Unten wird der Fisch dann noch abgebildet, und gegen Ende des Buches folgt eine Tabelle aller Meeresgetiersorten mit ihren jeweiligen Saisonzeiten, denn jene sind in Japan für eigentlich alles Kulinarische enorm wichtig. Ganz am Schluss besitzen beide Bücher noch schöne Karten von Japan, wobei das Sakebuch alle Brauereistandorte abbildet und das Sushibuch alle Seehäfen. Und das sind eine ganze Menge in Japan.
Um beim Meer zu bleiben: An dem Buch links konnte ich einfach nicht vorbei. So etwas habe ich auf der ganzen Welt noch nicht gesehen, und endlich endlich einmal nimmt diese “Encyclopedia of Seafoods” nicht diese dämliche Trennung zwischen biologischen Beschreibungen und kulinarischen Folgerungen vor. In Deutschland gibt es entweder Bücher nach dem Motto “Welcher Fisch ist das?”, in denen Lebensraum und Verhalten des Fisches beschrieben werden und solche, die praktisch ausschließlich Koch- oder Zubereitungsbücher sind, und bei denen der Produktkunde gerade mal ein oberflächlicher Absatz gewidmet wird. Das gilt mit gewissen minimalen Ausnahmen selbst für die teuersten Bücher, die dann eher über ihre ästethisch angelegten Fotos wirken. Dieses Werk hier hat elf Euro gekostet und beschreibt über 500 Sorten von Meeresgetier in zwar knapper, aber für mich vollständiger Form. Beweis gefällig?
Auf der linken Seite seht Ihr die Vorstellung von Parapristipoma trilineatum aus der Gattung der Süßlippen – ein deutscher Name für diesen Fisch existiert nicht. Alles biologisch Wesentliche wird beschrieben, dazu Fangzeiten, Fangorte und Nährwertangaben des Fischfleisches. Unten folgen dann typische Rezepte mit Fotos, die das Allergröbste beinhalten, vor allem die Frage, für welche Zubereitungsform sich dieser Fisch am besten eignet. Und so geht es weiter, Seite um Seite, geordnet nach den vier Saisonzeitkapiteln Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Nicht nur Fische werden auf diese Weise beschrieben, sondern auch Tintenfische, Schalentiere und – Ihr könnt es auf dem rechten Foto sehen – für uns eher seltsam anmutendes Meeresgetier wie Seegurken. Genau so etwas würde ich mir auch für unsere Breiten wünschen und vor allem in unserer Schrift, denn – hélas – deuten kann ich zwar die Abbildungen, den Text lesen jedoch nicht.
Komplett ausgetickt bin ich dann bei der nächsten Zeitschrift, die jedes Jahr für jeden Tokioter Bezirk (!) herauskommt: das “Gourmet Book”. Ich habe hier zufällig die Ausgabe über den zentralen Stadtteil Ginza erwischt, was aber nicht nachteilig ist, denn in Ginza gibt es nach wie vor jede Menge alteingesessener Restaurants und Produzenten. Ich hatte ja schon von der japanischen Ess-Obsession gesprochen. Hier finde ich nun auch die entsprechenden Hefte für den Wahn. Fein säuberlich und im Wimmelbild-Stil von Ali Mitgutsch überreich bebildert und mit Grafiken versehen, werden zwar nicht sämtliche Essstätten von Ginza beschrieben, aber zumindest sehr viele davon. Natürlich sind die technischen Daten vollständig vorhanden, aber so etwas gibt es ja auch in deutschen Stadtmagazinen. Hier kommen jedoch noch die angesprochenen Fotos hinzu sowie detaillierte Preisangaben und Grafiken, die sich mit der Beschreibung und Beurteilung des Gebotenen beschäftigen. Eine besondere Empfehlung des Chefs darf bei den meisten Restaurants nicht fehlen.
Das Spektrum reicht dabei von den Ramen-Bars, die man zur Mittags- oder Abendzeit in der Hoffnung auf eine wohlschmeckende und gleichzeitig sättigende Suppe aufsucht…
…über Spezialitätenrestaurants, hier beispielsweise ein solches für “alles vom Rind” (glaube ich zumindest), bei dem die Platte mit fein gemasertem Fleisch für 2.200 Yen zu haben ist, jene mit den Innereien dafür schon für günstige 880 Yen…
…bis hin zu den “besseren”, innovativeren oder einfach “ausländisch angehauchten” Restaurants wie hier beispielsweise dem Ristorante HiRosofi, das sich der italienischen Küche verschrieben hat.
Last but not least bin ich auch noch in die Reisebuchabteilung gekommen. Und – welch Überraschung – auch hier zeigt sich Japan von einer ganz anderen Seite, als man das von den Michael Müllers und Reise Know-Hows gewohnt ist. Wabbeliger Umschlag, Zeitschriftenformat und bunt bunt bunt, wimmelnd, voller Details und visueller Beispiele. Und auch die Schwerpunkte sind anders gelegt. Ich habe mir aus der “Mapple Magazine“- Reihe die Ausgabe über Seoul gekauft, weil ich ohnehin schon immer mal nach Korea wollte und leider in mir zugänglichen Sprachen schlichtweg nichts Ansprechendes gefunden hatte. In herkömmlichen Reiseführern werde ich mit ellenlangen, abgeschriebenen Texten zu Kultur und Sehenswürdigkeiten gelangweilt, die es in hundertfacher Form auch im Internet gibt. Dann folgen Seite um Seite Unterkünfte, die ich bei Booking oder mit dem Schneeballprinzip viel besser finden kann. Und schließlich gibt es noch ein paar “angesagte” Cafés, bei deren Besuch ich feststellen muss, dass es sich mittlerweile um den Langnasen-Treff schlechthin handelt. Es hat einen Grund, weshalb ich seit zwei Jahren weder ein deutschsprachiges Magazin noch ein deutsch- oder englischsprachiges Reisebuch gekauft habe: Das sind alles Produkte an meinen Bedürfnissen vorbei.
Das “Mapple Magazine” sagt klar, was es bietet: Infos zu Shopping, Essen und zu ein paar schönen Orten kultureller und naturnaher Art. Es handelt sich eigentlich um ein Frauen-Magazin, aber bis auf ein paar Seiten zu Kleidern und Schuhen ist es für beide Geschlechter gleichermaßen interessant. Wer bei uns sagt, er verreist um zu shoppen (oder um sich zumindest hauptsächlich in Läden und auf Märkten herumzutreiben), wird als reiner Materialist abgestempelt. Wer meine Mietwohnung, meine Möbel und mein Auto kennt, kommt ziemlich schnell darauf, dass ich ein solcher nicht wirklich sein kann. Aber ich gebe es unumwunden zu: Ich reise primär in ferne Länder, um die Alltagskultur aufzusaugen, und das geht am besten dort, wo auch Menschen sind, wo sie essen, trinken und kaufen, also konsumieren. Dieser Ansatz schließt natürlich weder die Besichtigung einer Kirche aus noch einen Spaziergang zum Aussichtsberg noch einen Museumsbesuch. Aber der Baedeker-Abhak-Reisestil ist mir zunehmend fremd geworden, weil er so wie auf einer Autobahn an Dingen und Menschen vorbei führt statt wie mit dem Fahrrad auf einer Nebenstraße durch sie durch oder gar in sie hinein (okay, nicht wortwörtlich nehmen).
Und deshalb gefallen mir diese japanischen Reisemagazine, weil sie ein möglichst breites Spektrum der Alltagskultur im Blogstil auffächern und mich dahin führen, wo etwas los ist, wo die Einheimischen auch unterwegs sind. So etwas schürt meine Vorfreude. Und hinfahren, hören, sehen, riechen, schmecken, das muss man ohnehin selbst tun, um alles zu begreifen. Schließlich wird man von einer Kochshow auch nicht satt.
Wie geht es Euch? Kauft Ihr Euch Bücher und/oder Zeitschriften, um Euch auf eine Reise vorzubereiten? Welche Informationen sind Euch dabei am wichtigsten? Haltet Ihr den Wimmelbild-Alltagskultur-Stil aus, gefällt Euch das sogar, oder ist das gar nichts für Euch?
Ich weiß, du bist nicht so der Whisky-Fan, aber es passt hier gut zum Thema:
dass Japan anscheinend einer DER Qualitäts-Produzenten überhaupt ist, habe ich auch erst neulich in einem Sushi-Restaurant mit spezialisierter Japan-Whisky-Karte erstaunt zur Kenntnis genommen. Die sehr informative Karte (“die größte sammlung japanischer whiskys westlich
des fuji….”) ist auch im Netz zu finden, wen’s interessiert: http://www.sushi-soul.de/sites/default/files/docs/rz_whiskey-karte_web.pdf
Ich hatte mir in England “101 Whiskies to Try Before You Die” von Ian Buxton gekauft – wie Du schon richtig vermutest, eher zur theoretischen Vorbereitung auf Jahre, die noch vor mir liegen ;). Und unter diesen 101 Whiskies befanden sich auch etliche japanische, quantitativ wie qualitativ als Nr. 2 hinter Schottland beschrieben und deutlich vor anderen Ländern. Mal schauen… Neulich habe ich mir dank meiner großartigen Japanisch-Lesekenntnisse aus Versehen schon einen Schnaps “on the rocks” zur Nudelsuppe im Restaurant bestellt. Vielleicht geht es mir mit dem Whisky ja genauso ;).
Hast ja recht, diesen ganzen prseudo-bildungsbürgerlichen Baedekerquatsch braucht kein Mensch. Ich kaufe vor kürzeren Reisen höchsten einen Führer in Buchform, um Basisinfos dabei zu haben (da ich ja mobiles Internet ablehne). Reingucken tue ich selten.
Längere Reisen (ab 2 Wochen) werden in der Regel gänzlich ohne Mitnahmeinfos angegangen. Nur so erschließen sich mir neue Länder und Städte: Intuitiv.
Außerdem sind Eingeborenenkontakte eh durch nix zu ersetzen.
Ich muss zugeben, dass ich früher sehr viele Reiseführer in Buchform gekauft habe. Als ich mal bei einem Reisemagazin ein Praktikum gemacht hatte, bekam ich die Dinger sogar ungelogen waschkörbeweise. Seit ich aber selbst reise und das halt auf eine bestimmte Art mache, weiß ich, welche Infos mir wirklich weiterhelfen und welche Infos Tante Wikipedia auch bereithält (die Baedeker-artigen Dinge nämlich). Generell liebe ich ja die gute Vorbereitung, weil das schon ein Teil der Vorfreude ist. Aber da ich halt selten zum Starbucks oder zur einzigen Bagel-Bäckerei von Luang Prabang gehe, sind selbst die Lonely Planets dieser Welt nicht mehr so mein Ding. Lieber schmeiße ich den Google-Translator an, um einen Blog aus dem Land selbst zu konsultieren. Hilft gerade hier in Japan sehr. Aufs Internet auf dem Zimmer möchte ich übrigens nicht verzichten. Sonst könnte ich das hier auch gar nicht schreiben ;).
Nach zweieinhalb Wochen Tokio fände ich es übrigens mittlerweile fast grotesk, jemandem eine “besonders gute Nudelbar” empfehlen zu wollen. Davon gibt’s nämlich geschätzte 2.000 ;).
Aber so Dinge wie Produktqualität oder -herkunft lassen sich ohne Sprachkenntnisse kaum nachvollziehen, oder? Oder ist der Standard bei japanischen Lebensmitteln ebenso deutlich höher als in Deutschland wie es die Masse an Sekundärliteratur zu sein scheint?
Produktqualität und Inhaltsstoffe lassen sich wirklich kaum nachvollziehen. Die Herkunft spielt insofern eine Rolle, als auf regionale (und jahreszeitliche) Spezialitäten viel Wert gelegt wird. Es gibt genialerweise so genannte “Antenna Shops”, in denen sich jeweils eine der 47 Präfekturen sozusagen anhand ihrer Spezialitäten vorstellt. In einem (dem von Hiroshima) war ich zufällig schon, jetzt muss ich natürlich auch in die anderen – okay, nicht in alle.
Ich habe das Gefühl, dass hier in Japan (ziemlich ähnlich wie in Frankreich, ein anderes Vergleichsland fällt mir nicht ein) ein großer Unterschied gemacht wird zwischen Industrieware und handwerklich hergestellten Dingen. In den 100-Yen-Shops gibt es Plastik aus China, in den Konbinis und normalen Supermärkten im Prinzip eine Qualität und Herstellungsart wie in unseren Supermärkten auch. Aber die Zahl der kleinen Manufakturen ist viel höher als bei uns, vermutlich wegen des geistigen Überbaus als traditionsbewahrendes Instrument. Und da sind Qualität und Kunstfertigkeit sehr ausgeprägt. Zum Glück stellen auch die Super-Spitzenkönner gern kleine Häppchen her, weshalb ich es mir auch leisten kann, immer mal wieder ein bisschen zu probieren.
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