Kreta ist eine touristisch geprägte Insel, das wird bei rund zwei Millionen Urlaubern im Jahr niemand bestreiten wollen. Kreta ist aber auch eine große und vielseitige Insel. Auf diese Weise treten die Pauschaltouristen nur geklumpt an bestimmten Orten der Nordküste in Erscheinung, die Wandertouristen stromern zur Mittagszeit verschwitzt und mit komplett roten Bonjen [landsch. für “(runder) Kopf”] durch die gebirgigen Gegenden, während Frühachtziger-Alternative die Südküste bevorzugen. Und dazwischen bleibt viel Platz für Schafe, Ziegen, Dörfer und Kreter. Wir haben uns überall ein bisschen herumgetrieben, und von den dabei entstandenen skizzenhaften Eindrücken könnt Ihr hier lesen.
Weil ich in Kreta ehrlich gesagt viel zu viele Fotos für einen einzigen Artikel gemacht habe, möchte ich Euch gleich zweifach damit malträtieren. In diesem Teil soll es ums Reisen und Schauen gehen, im nächsten Artikel um meine kulinarischen Erlebnisse.
Wenn ich eine bestimmte Region bereise, dann geht es in der Regel für mich erst einmal in die jeweilige Hauptstadt. Zum einen ist eine solche Großstadt ein wichtiger Teil der Realität, den man auf keinen Fall auslassen sollte, um sich ein halbwegs komplettes Bild von der bereisten Region machen zu können. Zudem ist die Stadt hier wie dort wie überall ein Hort der Innovation und der Dynamik. Von hier gehen Impulse aus, nach hier strömen junge Menschen, die studieren wollen und nicht gleich an der Rezeption der Clubanlage ihr Geld verdienen. Für mich heißt das mit anderen Worten: auf nach Heraklion.
Heraklion ist mit (offiziell) rund 175.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Griechenlands. Kreta-Besucher kennen den Ort in der Regel kaum, denn sie besuchen genau drei Punkte: 1. das Archäologische Museum, 2. die venezianische Loggia und 3. die Marktgasse – und das war es dann. Dieses Minimalprogramm mag auch daran liegen, dass südliche Großstädte in der Regel mit den Attributen “laut”, “heiß”, “staubig” und “chaotisch” belegt werden, was für Mitteleuropäer im Allgemeinen nicht gerade anziehend klingt.
Nun ist Heraklion zufällig laut, heiß, staubig und stellenweise vielleicht auch chaotisch – aber es besitzt von all diesen Attributen auch das genaue Gegenteil. “Laut” sind sicher die Mauersegler, die um die Häuser zischen, aber wer würde sich darüber beklagen? Ansonsten wird es noch vor Mitternacht sehr ruhig in der Stadt. Und das kann ich mit Bestimmtheit sagen, denn unser Hotel lag direkt an einer zentralen Straßenkreuzung.
Faszinierend fand ich den abendlichen Korso auf der Mole am Hafen, die nicht weniger als drei Kilometer weit ins Meer reicht. Hier treffen sich gefühlt sämtliche Einwohner von Heraklion zur Sonnenuntergangszeit, schwatzen, spazieren, joggen, walken, angeln und gestalten damit das doch etwas karge Ambiente irgendwie ungemein mediterran – das solltet Ihr nicht verpassen. Anschließend geht es in Richtung Innenstadt, in die Agiou Titou oder in die Cafés um den Parko Theotokopoulou herum. Hier einen Frappé oder einen Cocktail trinken, der Musik zuhören, einfach ein bisschen die Leute beobachten – so läuft das hier. Und der Souvlaki-Pita-Stand vorm Hotel hat auch noch geöffnet.
Wenn Ihr genug gesehen habt, könnt Ihr weiter in die nächstgrößere Stadt fahren, nach Chania.
Es gibt wahrscheinlich niemanden auf Kreta und darüber hinaus, dem zu Chania spontan etwas Negatives einfällt. Ja, okay, es gibt hier ungefähr viermal so viele Touristen wie in Heraklion. Und die Pferdekutschen vom Titelfoto nerven auch ein bisschen. Aber das war’s dann schon. Denn Chania ist zum einen eine (kleine) Großstadt, was bedeutet, dass Ihr hier eine bestimmte Bandbreite an menschlichen Daseinsäußerungen vorfindet. Zum anderen besitzt Chania eine Markthalle (von der Ihr im zweiten Teil noch lesen werdet), eine historische Altstadt und einen sehr stimmungsvollen venezianischen Hafen. Macht aber bitte nicht gleich nach der zentralen Hafenbucht schlapp, sondern bewegt Euch noch weiter bis zum östlichen Ende des Hafens. Hier lande(te)n die Fischerboote an, hier fand die “Criée” statt, die Fischversteigerung, und hier in der Nähe gibt es auch den traditionellen Samstagsmarkt der Chanier.
Für uns ging es weiter in Richtung Südwesten. Wir hatten uns nämlich für den Rest der Zeit im Städtchen Paleóchora einquartiert, einer von eigentlich nur zwei größeren Siedlungen an der kretischen Südküste. Obwohl “größer” ein wenig missverständlich erscheint, denn im Gegensatz zu Ierápetra, das eine echte Stadt ist, hat man in Paleochora eigentlich immer das Gefühl, so ziemlich am Ende der Welt gelandet zu sein. Bevor man dort ist, muss allerdings die Insel durchquert werden, was auf einer gut ausgebauten Straße mittlerweile völlig problemlos möglich ist. Fast hat man sogar das Gefühl, die Straße lasse einen zu wenig von der kretischen Seele ahnen, und man müsse Abstecher in die Dörfer rechts und links machen, um die Insel besser zu verstehen. Schöne Ausblicke finden sich allerdings auch von der neuen Straße genug.
Wer die Natur grün liebt, sollte sich knapp nördlich der zentralen Bergkette ein wenig länger herumtreiben. Olivenhaine werden immer wieder unterbrochen von kleinen Weinfeldern und verwunschen wirkenden Gärten. Es hört sich zwar ungemein platt an, aber in dieser Region bekommt man wirklich sehr stark das Gefühl, was das “einfache Leben” bedeuten kann. Armut und Einsamkeit zum Beispiel, aber auch das mediterrane Licht, die Jahrtausende alte Kultur, Ölbaum, Honig, Wein, Brotgetreide, Ziegen und Schafe.
A propos Schafe: Selten hat man auf Kreta das Gefühl, modisch ganz vorn dran zu sein. Bei der Schafsmode allerdings schon.
Schließlich Paleóchora. Eine gewisse Anzahl ständig hier wohnender Menschen schreibt der Zensus dem Städtchen zu, 2.000 etwa, vielleicht auch 2.500, im Sommer aber ganz sicher mehr als im Winter. Auf letzteren kommen wir mit unserer Gastgeberin zu sprechen und merken an, dass der Ort im Winter bestimmt ganz schön ruhig sein müsse. “Quiet?”, meint sie darauf, “no, Paleóchora in wintertime is not quiet, it’s empty”. Aber in der Vorsaison wie jetzt sehr angenehm. Äußerst angenehm, um ehrlich zu sein.
Das Städtchen wurde auf einer ins Meer hineinragenden Halbinsel errichtet, ein (verfallenes) venezianisches Kastell erinnert noch an die strategische Bedeutung. Auf der Westseite der Halbinsel befindet sich ein Sandstrand, der zum Surfen und “Beachen” einlädt – bei stärkerem Wind allerdings auch zum Sandstrahlen neigt. Auf der Ostseite liegt der ältere Teil des Ortes mit unzähligen Cafés und Restaurants (von denen allerdings nicht alle empfehlenswert sind, mehr dazu im zweiten Teil) und einem Blick über das steinige Ufer auf das blaue, und zwar richtig blaue Meer. Hier zu sitzen, zu essen, einen Kaffee zu schlürfen und in die Sonne zu blinzeln – das kommt dem optimalen Lässigkeitswert schon ziemlich nahe. Unruhe kommt hier nur bei Sturm auf, aber das gilt lediglich für das Meer und nicht für die Kellner.
Zum Baden würde ich allerdings einen anderen Ort aufsuchen, vier Kilometer weiter östlich per Schotterpiste zu erreichen. Ich habe diese Strandbucht ehrlich gesagt zuerst im Internet gefunden, und zwar auf dieser Website, die umfassende Informationen über nicht weniger als 350 Strände auf Kreta bereithält. “Unser” Strand heißt “Gialiskari”, und es gibt eine Strandbar, ein paar Liegestühle, badende Wanderer, ein paar Moped-Griechen, ein paar Sprachstudenten, ein paar Mietwagen-Touristen, ein paar Nackte und ein paar Erleuchtete. Und natürlich wunderbares Wasser, alles sehr kommod.
Die verlinkte Strand-Website oben gibt es übrigens auf Griechisch, auf Englisch und auf Russisch. Und das kommt nicht von ungefähr, denn russische Touristen besuchen Kreta mittlerweile in beträchtlicher Zahl. Von den Stränden der Südküste scheinen sie (nach meinen beschränkten Beobachtungen) allerdings nur einen einzigen wirklich zu nutzen, aber der hat es in sich. Es handelt sich um die Lagunenwelt ganz an der Südwestspitze Kretas namens Elafonisi. Zugegeben, es ist voll hier. Busse en masse, Mietwagen galore, Menschen, die in der Sonne braten und solche, die sich zum Fotografieren in Posen werfen, die sie bei Germany’s Next Top Model gelernt haben. Oder Russia’s, France’s, England’s und überhaupt Top Model. Das geht oft ins Groteske, und man muss sich beim Zuschauen ein Gickeln verkneifen. Aber die Lagune von Elafonisi ist ohne den kleinsten Zweifel eine ganz wunderbare Fototapete. Das Wasser scheint direkt aus der Südsee importiert zu sein…
Wenige Kilometer von den Strandfreuden entfernt wird Kreta wieder ganz still. Meist hört man nur den Wind, die Stimmen der Vögel und vorbeifliegende Brumselinsekten. Viele Pflanzen sind schon dem semiariden Klima angepasst mit wasserspeichernden Blättern oder abwehrenden Dornen. Nun bin ich alles andere als ein Distel-Fachmann, aber gar prächtige Exemplare dieser Stachelgewächse gibt es entlang der Südküste zu sehen.
Zur frühabendlichen Stunde fahren wir noch ein Stück von Paleóchora in die Berge, um ein wenig spazieren zu gehen. Zu dieser Zeit ist es hier am schönsten. Dass die Mehrzahl der Wanderer den allergrößten Spaß daran zu haben scheint, kahle Hänge zu erklimmen, während die Sonne im Zenit steht, wird mir ewig ein Rätsel bleiben.
Solltet Ihr Euer Gepäcklimit im Flugzeug arg unterschritten haben, kann ich Euch zum Schluss noch einen Vorschlag unterbreiten: Sammelt interessant gemaserte Steine am Strand, packt sie ein und legt sie daheim auf der Terrasse aus. Ein holländisches Pärchen zog, wie ich beobachten konnte, mit einem ganzen Sack voller Steine abends vom Meer ab.
Was mich nun natürlich interessieren würde: Wart Ihr auch schon einmal auf Kreta? Falls ja, welchen Geheimtipp würdet Ihr auf keinen Fall öffentlich preisgeben wollen?
Hallo Matze,
ich war vor vielen Jahren mal auf Kreta, völlig ahnungslos und ignorant .- in einem Feriendort an der Nordküste und es war (natürlich) nicht besonders schön dort. Lustigerweise überlegen wir zur Zeit gerade, ob wir Kreta noch mal besuchen, diesmal aber richtig, und Paleóchora täte uns sehr interessieren. Jetzt bin ich noch auf deinen kulinarischen Bericht von der Insel gespannt 🙂
Der wird genauso fotolastig. Aber diesmal habe ich wenigstens nicht alle Fischarten auf dem Markt einzeln fotografiert ;).
Schöne Fotos zur freundlichen Beschreibung.
Ja schön, Danke, endlich mal wieder ausschweifender Reisebericht. die fehlen mir ja sehr!
Wäre das Wetter nicht so schrecklich gewesen, wären wir ja wieder mit dem Zelt nach Frankreich gefahren. Kreta war dann ein totaler Zufallstreffer, weil es noch günstige Flüge für zwei Tage später gab. Im Oktober geht es übrigens ganz woanders hin, da muss ich Dich unbedingt noch mal kontaktieren ;).
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Ja, ich war schon vor 4 Jahren auf Kreta. Es war sehr schön damals. Einen besonderen Geheimtipp kann ich euch jetzt nicht preisgeben. Was mich interessieren würde, wie wird man denn dort als Deutscher im Moment behandelt, aufgrund der angespannten politischen und wirtschaftlichen Situation?
Ich war ja vor ein paar Wochen schon beruflich in Athen und Piräus und jetzt halt privat auf Kreta. Natürlich kann jeder nur seine subjektiven Eindrücke wiedergeben, nun also meine: Ich hatte ohne Übertreibung NIE das Gefühl, als Deutscher auch in der momentanen Situation unwillkommen zu sein. Nun bin ich auch persönlich der Meinung, dass wir in der EU Länder wie Griechenland dringend brauchen, aber das möchte ich hier weder auswalzen noch habe ich das je in Griechenland selbst angesprochen. Irgendwie kam es mir vor “wie immer”, also sehr nette, zuvorkommende Leute. Muffelig war nur eine einzige Person auf der Reise, eine Wirtin aus Kandanos, aber das hatte nichts mit uns zu tun, die hat nämlich die Griechen am Nebentisch genauso unfreundlich behandelt wie uns. Dass die Situation vor allem in den Städten des Festlands angespannt ist, merkt man dort natürlich. Das Leben der Bauern auf dem Land scheint – jedenfalls nach meiner sehr oberflächlichen Beobachtung – jedoch recht wenig von den politischen und wirtschaftlichen Querelen beeinflusst zu sein. Das waren noch nie reiche Leute, und so wird es auch weiter sein.
Danke für deine ausführliche Antwort. 🙂
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