Dafür dass ich das allererste Mal in Warschau bin, und das auch nur für zwei magere Tage, könnte ich mir einen weniger spektakulären Arbeitsplatz vorstellen als den auf dem Foto links. Selbstverständlich pfeift der Wind hier erheblich um die Häuserecken und die sozialistischen Magistralen entlang. Und selbstverständlich geht die Sonne – wenn sie denn erscheinen mag – noch wesentlich früher auf als im selbsternannten Land der Frühaufsteher. Und entsprechend früher wieder unter. Aber immerhin belegt Warschau Platz 53 des aktuellen “Global City Competitiveness Index”, den sich nur Leute ausgedacht haben können, die Excel-Listen selbst aufs Klo mitnehmen.
Nein, stimmt, solche Leute gibt es nicht. Nun also Warschau. Wer von Euch schon öfter hier war oder sogar aus Polen stammt, wird vermutlich über meine folgenden Aufgeregtheiten nur gähnen. Den Neugierigen sei allerdings gesagt, dass jetzt ein paar Anmerkungen und Produktvorstellungen folgen, die vielleicht ganz eventuell ein paar Einblicke in die polnische Seele zulassen. Klassisch vorurteilsbeladen, versteht sich.
Nun könnt Ihr Euch sicher vorstellen, dass ein Einkauf im zwei Supermärkten namens “Carrefour Market” (jaja, die internationalen Konzerne sind hier ganz mächtig am Werk) und Sezam (eine lokale Kette) nicht wirklich alle großen polnischen Spezialitäten zutage gefördert hat. Aber schließlich sind Alltagsbeobachtungen ja auch Teil des großen Spaßes und des Aha-Erlebnisses beim Umherreisen.
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen, und das heißt in Polen “Wurst” – oder vielmehr, in Polen heißt das natürlich nicht “Wurst”, sondern “Kiełbasa”. Selbst in den Supermärkten gibt es ein überwältigendes Wurstangebot aller Provenienzen. Roh, gepökelt, geräuchert, gewürzt mit Knoblauch, Kräutern, Pfeffer, Salz, alles gibt es hier. Wobei meiner Beobachtung nach die gut gewürzten Kochwürste schon tonangebend sind. Ein wenig in diese Richtung geht auch mein bisheriges Spitzenprodukt, was den Geschmack anbelangt. Die “Kiełbasa Pieczona”, die Bratwurst der Marke “Stara Wędzarnia”, ist wirklich ausgezeichnet. Als ich zur Supermarktkasse kam, machte mich die Verkäuferin darauf aufmerksam, dass es sich um lose Ware handeln würde, die ich an der Theke noch mit einem Preis versehen lassen müsste. Und ob ich die Wurst wirklich haben wollte. “Ja”, sagte ich. Da strahlte sie, lief los in Richtung Theke und ließ sich die Wurst auspreisen. Ein gutes Omen. Leicht geräuchert auf den Grill gelegt und kalt eingepackt, ist dies eine Wurst mit einem sehr puren Fleischgeschmack. Wenn ich jemandem etwas aus Polen mitbringen müsste, es würden vermutlich Würste sein.
Wo man sich Würste schmecken lässt, ist normalerweise das Bier nicht weit. Und Polen hat eine beachtliche Bierkultur vorzuweisen. Nun ist es in Zeiten der globalen Marktwirtschaft aber nicht mehr so, dass diese beachtliche Bierkultur durch die bekannten Marken wie Żywiec, Tyskie, Lech, Warka oder Okocim repräsentiert wird. Denn jene gehören den globalen Braukonzernen Heineken, Carlsberg und SABMiller. Andererseits: Um richtig schlechte Biere zu finden, müsstet Ihr in Polen schon lange suchen, denn die Kombination aus moderner Brautechnik und einer soliden Brauerausbildung sorgt dafür, dass die Standardbiere ein ganz anderes Niveau besitzen als beispielsweise in Asien. Wie das mit den Zutaten aussieht, vermag ich nicht zu sagen, denn auf dem Etikett halten sich die polnischen Brauer damit doch sehr bedeckt.
Probiert habe ich jedenfalls das “Książęce Czerwony”, ein sauberes, wenngleich ziemlich langweiliges amberfarbenes Lagerbier. Meine zweite Wahl fiel auf das “Łomża Podkapslowe” in einer hutzeligen Flasche in hellgrün-weißem Design, was offenbar bei jungen Leuten auf Zustimmung stößt. Das Bier selbst fand ich subjektiv besser, malziger und vollmundiger im Oktoberfest-Stil, aber alle Biere in Polen sind mit um die 6 vol% für mein Empfinden etwas zu hochtourig eingestellt. Das komplett trübe “Okocim Pszeniczne” entpuppte sich als solides, bananiges Weizen, wogegen es nicht so schrecklich viel einzuwenden gibt. Das laut ratebeer allerbeste polnische Bier, das “Żywiec Porter”, fand mein Gefallen allerdings nicht. Natürlich könnte ich jetzt des Langen und Breiten darüber lamentieren, dass Bier- und auch Weintester dazu neigen, die “schwächeren” Varianten, seien sie mit weniger Alkohol, Restzucker, Stammwürze oder weiß der Geier was für Inhaltsstoffen ausgestattet, generell zu niedrig bewerten. Ist ein leichter Kabinett nicht etwas Köstliches? Oder ein frisches Helles mit raffinierter Würze? Diesem rosinigen Monster von 9,5 vol% fehlt meiner Meinung nach eklatant nicht nur das Hopfengerüst, sondern auch die puffernde Säure, wie sie richtig gute Stouts (und Porters) aufweisen können. Aber natürlich argumentiere ich da mit meinem persönlichen Geschmack – andererseits, wer tut das nicht?
Weiter im Text also und zu einer semi-klassischen Bierbegleitung. Ich spreche von Kartoffelchips, und die gibt es hier in Polen glücklicherweise in landesüblichen Würzungen. “Dill”, “Butter & Salz”, “Altpolnische Räucherplatte”, das sind für uns doch eher ungewöhnliche Geschmacksrichtungen. Aber es funktioniert. Überraschenderweise finden vor allem die Kartoffelscheiben der Würzmischung “Butter & Salz” meine Zustimmung, denn hier sind wir ganz nah an der ursprünglichen Verwendung der Pell- und Bratkartoffel als geschmacklicher Urmutter aller Kartoffelchips. Leider musste ich feststellen, dass alle drei Chipssorten – pfui, pfui – unnötige Geschmacksverstärker mit sich herumtragen.
Kein anderes Produkt hat mir die wahre Passion der Polen so sehr nahe gebracht wie der Räucherkäse aus Zakopane in der Hohen Tatra. Worauf man sich hier nämlich wahrhaftig versteht, das ist die Kunst des Haltbarmachens auf jede erdenkliche Weise. Von den Würsten und ihrem Kochen, Salzen, Räuchern und Braten habe ich ja schon berichtet. Zusätzlich wird noch eingekocht, getrocknet, in Essig eingelegt, und zwar mit praktisch allem, von sämtlichen Gemüsesorten über Wurst und Käse bis zu Fisch und Pilzen. Der kalte und ungemütlich lange kontinentale Winter (von dem ich leider auch einen Teil abbekomme) ist offenbar verantwortlich dafür, dass diese Tradition in Polen besonders stark ausgeprägt ist. Und gerade in der heutigen Zeit, da wir auch im Januar spanische Wassertomaten und auf Watte gezogenes Frühgemüse einkaufen können, ist das doch ein wirklich sympathischer Zug. Der Käse schmeckt übrigens ein wenig wie italienischer Scamorza, nur noch etwas stärker geräuchert und gesalzen. Ich habe ihn mit Gewinn für ein Omelett verwendet.
Zum allerschlussigsten Schluss komme ich noch auf etwas, das – ganz im Gegensatz zu Wurstwaren – nicht wirklich als historische Stärke der polnischen Küche bezeichnet werden kann. Ich spreche von Schokolade. Nicht von Kuchenstückchen wohlgemerkt, denn die k.u.k.-angelehnte Mehlspeisentradition ist hier, zumindest von einem kurzen Blick auf die Auslagen der Bäckereien ausgehend, durchaus prominent vertreten. Die sozialistische Schokolade allerdings auch. Ein schönes Beispiel dafür, das ich ausschließlich der Verpackung wegen gekauft habe, ist der Schokoriegel “Danusia”, ein Produkt der einstmals renommierten Krakauer Pâtisserie Wawel. Heute ist Wawel mehrheitlich im Besitz eines Schweizer Unternehmens, das beispielsweise auch den Nippon-Schokopuffreis und die Romy-Kokosschokolade verantwortet. “Danusia” also ist eine leidlich schokoladige Angelegenheit, gefüllt mit Trüffel in seiner übersüßen Form, die mir von manch ollem Osterei noch in Erinnerung ist. Aber wie gesagt, die klassische Aufmachung, die sicher bei nicht wenigen Essern seufz-romantische Gefühle an die eigene Vergangenheit weckt – man kann sich solche Sachen auch schön essen.
Was mir von Warschau bleibt, ist viel zu wenig. Der kalte Wind, die vollen Straßenbahnen. Die Betriebsamkeit urbaner junger Menschen. Der Einfluss moderner Globalisierung, die einen gewöhnlichen Supermarkt auch am Sonntag um 21 Uhr noch offen hält. Die k.u.k.-Gebäude zwischen Luxus mit schicken Boutiquen und Verfall mit bellenden Hunden zwei Straßen weiter. Und natürlich die Ahnung, dass es hier im Sommer viel viel schöner sein muss (und ich den Winter mittlerweile auch sowas von satt habe). Zwei Arbeitstage sind natürlich viel zu kurz gewesen, aber ich werde wiederkommen.
Da ich ja nicht der große Experte bin, bleibt mir zum Abschluss schon im Vorgriff aufs nächste Mal die Frage: Welche Boutiquen sollte ein Foodie in Warschau gesehen haben? Und welche “echt polnischen” Orte besucht haben?
Anschauen
http://www.youtube.com/watch?v=sTKMWZwDEfg
und im Sommer wieder kommen
😉
Hallo Matze!
Ja Warschau. Irgendwie ist die Stadt im Moment stark im Wandel. Als ich das erste mal 2006 da war empfand ich den Kontrast aus Ost und West deutlicher als Heute – und das hat mir damals besser gefallen, irgendwie, mehr Charme. Durch die EM und auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung hat sich vieles verändert. Ich finde Warschau verliert gerade etwas von seinem Charme, wird globalisierter. Was Du schilderst, moderne Bauten, Altes, kommunistisch praktisch gut, verfallene Straßenzüge und immer wieder grüne Parks. Das hat mir an Warschau immer so gut gefallen. Der Mix macht es. Wenn Du heute schaust – viel ist renoviert, neu gebaut, überall die gleichen Läden. Na ja. Das ist die Kehrseite.
Die Altstadt ist natürlich sehenswert. Wirkt alt, ist aber neu. Warschau war ja komplett zerstört. Die Nowy Swiat runterflanieren bis zur Altstadt mach ich immer gerne. Die Parks in Warschau solltest Du auch besuchen. Hat so ein wenig was von den Parks in Paris. Im Sommer gibt es Chopinkonzerte am Chopindenkmal gratis (früher war das zumindest so). Spazieren an der Weichsel. Rüber nach Praga fahren. Dort hast Du noch mehr kommunistischen Charme und der Teil der Stadt wird gerade durch Künstler entdeckt und belebt. So ein wenig wie in Belleville.
Piroggen essen. Schokolade bei Wawel oder Wedel kaufen / probieren. Die Kuchen bei Wedel sind sehr gut und die Trinkschokolade ist fast flüssige Schokolade. Sehr mächtig, aber für einen Schokoaldenfan wie Dich gerade richtig.
Restaurantmäßig ist alles im Fluss. Überall eröffnet was neues. Altes schließt oder ist plötzlich nicht mehr “in” oder die Qualität lässt nach. Ich kann Dir da wirklich nichts sicher empfehlen.
Gut und günstig sind die “Bar Mleko” (Milchbars), die überall in Warschau verteilt sind und gute Hausmannskost bieten. Dort gibt es Piroggen, Kottelet mit Kartoffeln, Kuttelsuppe, Wirsingroulade, Bigos und ähnliches.
Besorg Dir einfach vor Ort den aktuellen Warsaw Insider, der jeden Monat auf Englisch erscheint und über alle Neuigkeiten berichtet und Tips gibt.
Viel Spass in Warschau demnächst!!!!
Ach ja. Die Piroggen in dieser “Kette” die wirklich Tourimäßig aussieht kann ich empfehlen. ZAPIECEK gibt es sechsmal in Warschau. Google das einfach mal.
Grüße Jens
Dankeschön! Ja, die Nowy Swiat war ich ein bisschen runtergegangen, aber der Wind hat derartig um die Ecken gepfiffen, dass ich dann doch recht schnell aufgegeben habe. Ganz zum Schluss habe ich noch eine Schokolade gekauft, die zumindest sehr gut aussieht – mit Büffelgras ;). Hab sie aber noch nicht probiert. Wie gesagt, beim nächsten Mal werde ich jetzt viel besser vorbereitet sein und hoffentlich auch ein bisschen mehr Zeit haben…
Zum Thema der Bierbewertung bei hochtourigen Porters kann ich nur zustimmen. Es gibt da wohl eine Analogie zu manchen Kritkeren die Auslesen und marmeladige Weine, wegen derer Geschmacksintensität bevorzugen, obwohl diese die nötige Trinkigkeit vermissen lassen. Ich höre immer nur wie toll Imperial Stouts sind.. Pfui Deibel.
A propos polnische Biere: Beim Beer Blogger Treffen in Leeds habe ich diese verrückten Jungs aus Polen getroffen http://www.facebook.com/BeerGuidePL?fref=ts Vielleicht nützliche Informationen zu polnischen Microbrews für deinen nächsten Kurztrip! VG
Sehr gut! Mir wurden die Kleinbrauer “Pinta” und “AleBrowar” empfohlen, aber auf die Schnelle habe ich deren Produkte natürlich nicht gefunden. Die Jungs könnten dabei behilflich sein ;).
Und noch mal kurz zu der Neigung von Kritikern (und beeinflussten Privattestern), dass stärker meist gleich besser sein soll: Im (deutschen Wein-) Gault Millau beispielsweise findest Du in aller Regel kontinuierlich steigende Punktzahlen vom schwächeren (günstigeren) zum stärkeren Wein, egal ob trocken oder süß. Da geht es dann nur darum festzulegen, wann fängt bei diesem Produzenten meine Skala an und wann hört sie auf. Dasselbe bei der Bewertung ganzer Jahrgänge: 2005 oder 2009 werden immer besser bewertet als 2008 oder 2010. Weil sie wärmer, dichter, stärker waren. Ich weiß nicht, ob das schon immer so war, oder ob das Parker explizit eingeführt hat – denn der macht das ja ganz konsequent. Vielleicht sollte man mal Leute fragen, die ganz anders an die Diskussion vom Optimum herangehen. Wir sind ja häufig auch bei ganz anderen Dingen (wie z.B. Autos) auf einer ähnlichen Skala unterwegs, höher, schneller, weiter, stärker, teurer…
Ich glaube, wenn man einen traditionell denkenden Japaner fragen würde, was für ihn das Optimum darstellt, würde das vielleicht eine elegante, harmonische Ausgewogenheit auf einem nicht-protzigen Niveau sein.
Ja, die Japaner sind mit Sicherheit ein interessanter alternativer Benchmark (solange es über der Gürtellinie bleibt ;=)). Wir sollten alle einfach unsere eigenen Kritiker sein, doch manchmal muss man sich einfach auf andere verlassen, oder aufs Bauchgefühl!
Meine Freundin hat gerade ein eigentlich witziges Buch einer Japanerin in Frankreich gelesen, aber auf den letzten Seiten gibt es noch mal ganz nebenbei ein paar Beschwerden über das männliche untergürtellinige Leben in Japan. Zweifellos Alleinstellungsmerkmale, aber nicht unbedingt nachahmenswert ;).