Vor etlichen Jahren war ich mal mit einem Freund unterwegs in Norditalien. Weil er gerade Geburtstag hatte, beschlossen wir, diesen Tag stimmungsvoll am Meer zu verbringen. Die ligurische Küste kannten wir zwar überhaupt nicht, stellten uns aber die Sache so Sanremo-Jetset-luxuriös vor. Natürlich war Ferragosto und vor Ort kein Zimmer zu bekommen. Fast keins. In einem fensterlos anmutenden Kasten aus den frühen 60er Jahren bekamen wir noch Unterschlupf. Im Erdgeschoss. Die Pension hieß “Quattro Strade”, und das nicht von ungefähr. Ich habe mich die ganze Nacht wie ein imaginärer Verkehrspolizist in der Anfangsszene von Fellinis Roma gefühlt. Tosender Lärm, Hupen, lastwagenverursachtes Erdbeben. Kurzum, Ligurien ist das Allerletzte.
Jetzt hätte das Altern überhaupt keinen Sinn, wenn man dabei nicht doch irgendwie klüger werden würde. Mittlerweile habe ich meine Meinung ein ganz klein wenig revidiert. Zugegeben, Ligurien – und ich spreche hier von der Riviera di Ponente, der Gegend also zwischen Genua und der französischen Grenze – ist direkt am Küstenstreifen weiterhin gewöhnungsbedürftig. Es gibt schöne Strände und ein paar nette Altstädte, als Entschädigung dafür aber auch Nationalstraße, Eisenbahn, Lagerhallen, Gewächshäuser und in die Gegend geklatschte Wohnblöcke. Hinter den Orten steigt das Bergland meist verblüffend schnell und verblüffend steil an, bietet kaum Platz für ein paar Olivenbaumterrassen und noch weniger Weinfelder. Und kaum fünf Kilometer vom ganzen Trubel entfernt umfängt einen oben auf den Kuppen der Nebel, die Stille, die Weltvergessenheit.
Auf eine gewisse Art und Weise weltvergessen sind auch die kulinarischen Produkte Liguriens – einmal abgesehen vom allgegenwärtigen Pesto Genovese und gelegentlichen reif-nussigen Olivenölen. Superiore, der größte deutsche Online-Händler für italienische Weine, besitzt beispielsweise in seinem Angebot von 1.500 Weinen keinen einzigen aus Ligurien. Klar, dass damit meine Neugier geweckt ist.
In einer älteren Ausgabe des “Gambero Rosso” konnte ich lesen, dass man seinerzeit mit der Rebsorte “Rossese” überhaupt nicht einverstanden war. Im Jahr 1972 wurde die DOC “Rossese di Dolceacqua” ganz im äußersten Westzipfel der ligurischen Küste ins Leben gerufen, und auch später noch schienen die Lokalpolitiker ihren Rossese irgendwie zu mögen. Dabei hätte doch, so der Gambero Rosso, noch nie jemand bewiesen, dass man aus Rossese auch nur einen halbwegs edlen Tropfen herstellen könnte. Der italienische Trollinger sozusagen, nur halt sehr lokal, der “Trollinger di Dürrenzimmern”, wenn es den denn geben würde. Ich fühle mich bemüßigt, an dieser Stelle noch einmal die Diskussion loszutreten, mit welcher Berechtigung eigentlich verschiedene Rebsorten angebaut werden. Ich persönlich bin nach wie vor der Meinung, dass es neben den Rebsorten, die international bewiesen haben, dass aus ihnen (nach heutigem Verständnis) Spitzenweine gekeltert werden können, unbedingt diese kleinen autochthonen Rebsortennischen geben muss. Erstens zum Saufen und damit das Wein-Chichi nicht überhand nimmt. Und zweitens wegen der Diversität unserer Welt, in jeglicher Hinsicht.
Damit also endgültig zum Wein, einem 2011er (jawohl) Rossese di Dolceacqua der Erzeuger- und Abfüllermarke “Rocense Doria”, 13 vol%, 8,65 € im Supermarkt vor Ort. Weshalb dies eine Gemeinschaftsproduktion ist, wird dann ersichtlicher, wenn man bedenkt, dass sich die 130 ha der DOC auf 300 Winzer verteilen. Alte Leute, Feierabendproduzenten, ganz selten echte Profis darunter.
Die Farbe dieses Rossese lässt mich sogleich in ein schlau gemeintes “Ah, daher weht der Wind” ausbrechen. Der Wein ist nämlich hellrot. Richtig hell. Und ein heller Rotwein, so glauben viele Weintrinker zu wissen, ist ein Zeichen von Überertrag, mit Wasser verdünnt, schlichtweg eine miserable Verbrauchertäuschung, während sich das Bäuerle die Hände reibt und die Liranoten zählt. Gut, bei einem ausgesprochen hellen Syrah oder Carignan würde ich auch stutzig werden, bin aber ansonsten eher ein Freund hellerer, leichterer, würzig-feiner Rotweine. Die Nase des Rossese deutet dann auch in diese Richtung: weinig, Bittermandelnoten, Wildleder, ein bisschen Zimt. Eine Mischung aus der süß-herben Kräutermischung à la Trollinger und der Duftigkeit eines eleganten Pinot Noir. Oder auch Schwarzriesling. Am Gaumen bin ich zunächst so mittel begeistert. Die Himbeerfrucht steht ziemlich stark im Vordergrund, wodurch der Wein erst etwas modischer wirkt, als er es eigentlich nötig hätte. Mit der Zeit setzt sich aber die Finesse immer mehr durch. Der Rossese bekommt etwas Sphärisches, zumal die Tannine sehr sanft sind. Rosmarin ist deutlich zu spüren, verbunden mit dieser zarten Nachhaltigkeit, die nur ein solch hell anmutender Rotwein haben kann. Am nächsten Tag, als das Himbeergelee endgültig zurückgetreten ist, glaube ich sogar, dass wir es hier mit einem der verkannten Genies der Weinwelt zu tun haben. Unedles Italien? Keineswegs.
Es gibt nur ein Problem: Ich befürchte, wer diesen Rossese zu einem ernsthaften, reputationswürdigen Rotwein machen möchte, wird den Charakter in eine andere Richtung drängen müssen. Und das wäre vielleicht gar nicht so gut. Genauso wie ein konzentriert-marmeladiger Barrique-Trollinger mir so vorkommt, als würde sich ein Hochspringer plötzlich im Gewichtheben versuchen. Mit aufgeklebtem Muskelpullover wie Giant González.
Dieser Rossese (meiner jedenfalls) ist ein Wein, den man leicht unterschätzt, kein Poser, und ich glaube, dass er gar Kaninchen oder Kalb angemessen begleiten kann. Eventuell besitzt er auch die seltene Fähigkeit – ähnlich wie ein Bardolino oder Valpolicella – tomatenlastige Gerichte schön zu umfangen, die mit ihrer Kombination aus Frucht und Säure ja immer eine gewisse Herausforderung darstellen.
Wo bekommt Ihr nun aber einen Rossese di Dolceacqua, wenn Ihr nicht mal kurz in Ventimiglia vorbeifahren könnt? Bei Merum findet Ihr eine Liste mit Händlern italienischer Steillagenweine, und der Rossese ist auch darunter. Zwei dieser Händler habe ich einmal herausgesucht: Hier gibt es einen solchen Rossese für 17,95 €, hier sogar drei verschiedene zwischen 11 € und 14,50 €. Über die Qualität der angebotenen Rosseses kann ich Euch leider wenig sagen. Allgemein werden die Weingüter “Maccario Dringenberg” und “Terre Bianche” als die Flaggschiffe angesehen. Aber wie es Götz Dringenberg (übrigens kein alter Ritteradel, sondern ein ehemaliger Homöopath) ins ligurische Hinterland verschlagen hat, das wäre dann eine ganz andere Geschichte.
Habt Ihr schon einmal einen Rossese di Dolceacqua probiert? Oder habt Ihr kürzlich andere empfehlenswerte Weine aus Ligurien getrunken? Besitzt Ihr noch eine Schallplatte von Al Bano und Romina Power, die übrigens nur ein einziges Mal beim Musikfestival von Sanremo gewonnen haben?
War vor Kurzem in Ligurien. “Männerurlaub” mit meinem 10 jährigen Sohn. Viel Wein war allerdings nicht. Wir waren aber unter anderem auch in Dolceaqua und bei einem Ölmüller am Wegesrand haben wir regionalen Wein gekauft. Bin mir nicht mehr sicher ob es dergleiche war, aber so viele Rote wird es da nicht geben. Wie auch immer. Bin kein Kenner, aber ein Gernetrinker was Rotwein betrifft. Und fand ihn sehr lecker zu frischer Pasta.
Ich finde ja ohnehin, dass die allermeisten italienischen Weine ganz eng mit dem Essen verknüpft sind und da auch am besten passen. “Kontextweine” nenne ich die und bewerte sowas eigentlich nie mit Punkten. Die Idee, einen Wein a) allein im stillen Kämmerlein, b) ohne Speisenbegleitung oder gar c) in akademisch testender Runde zu testen, kommt wohl eher nicht aus Italien ;).
…bisserl was weißes hätte ich beizusteuern aus ligurienurlauben in den letzten jahren im hinterland von alassio: pigato, vorherrschende weißweinsorte der ponente, angebaut besonders im hinterland von albenga und alassio im arrosciatal. ein fülliger geselle, eher wenig säure, oft aber breite schultern, zuerst gelbfruchtig, später mit einem leichten bitterton, oft hoher alkoholgehalt bis 14%. es gibt ihn von halbwegs schlank bis wuchtig, die wuchtigen überwiegen.
fein war der normale pigato (9,.€) von BIO VIO in bastia d’albenga – ein biowein von einem kleinen weingut (trotz des albernen namens ein kleiner familienbetrieb und nicht die handelsmarke einer supermarktkette). von den ab und zu probierten roten der region habe ich mir keinen gemerkt. ligurien scheint eher ein weißweinland zu sein – und eines des mühevollen weinbaus, wenn man sich die topographie und die terrassierung anschaut. pigato gehört genau zu den autochthonen sorten, die es unbedingt zu erhalten gilt – damit die weinwelt vielfältig bleibt!
Einen Pigato habe ich auch mitgebracht und einen vor Ort getrunken, dazu habe ich noch einen Wein aus Bianchetta Genovese und einen aus Lumassina. Alles Weiße, aber probiert habe ich die noch nicht. Von den Rebsorten hatte ich vorher auch noch nie etwas gehört, aber genau das ist ja das Spannende.
Ich denke auch, dass Ligurien (genau wie die angrenzende französische Küste) im Prinzip ein Weißweinland ist. Das merkt man auch der lokalen Küche an. Ohnehin finde ich es ganz interessant, dass die direkt am Mittelmeer gelegenen Regionen, seien sie in Italien, Kroatien oder Griechenland, ihre tiefen lokalen Traditionen bei den Weißen und viel weniger bei den Roten haben. Gilt auch für Katalonien, denn das Priorat als Rotweinregion hat ja mit dem Meer so gar nichts zu tun. Der Rotweinboom scheint mir eher von der Nachfrage aus nördlicheren Ländern beeinflusst zu sein. Und natürlich müssen die Küstenbewohner heutzutage nicht mehr ausschließlich Fisch essen ;).
Von den diesmal angestellten 2010er Weinen (mehrheitlich Superiore) hat mir besonders der Lagenwein Luvaira von Anfosso gefallen: Noch nie ist mir der Wein so sauber ausgearbeitet und komplett erschienen, für mich ein deutliches Zeichen für einen erneuten Qualitätsschritt dieses Winzers.
Wir sind soeben frisch aus Ligurien zurück und haben einen gefühlten “Kofferraum voller Weine” der Cooperazione aus Ortovero im Arrosciatal mitgebracht. Unser dortiger Vermieter ist Mitglied dieser Genossenschaft und hat uns die Gewächse Rossese, Ormeasco, Pigate und Vermentino empfohlen. Bis auf den Vermentino haben wir alle schon probiert – teilweise vor Ort, teilweise schon zuhause. Und ich muss sagen: Gut trinkbar, lecker als Begleiter durch einen Abend mit guten Freunden, unkompliziert und reell. Wenn wir wieder da runter fahren kaufe ich auf jeden Fall wieder ein – nur mehr.
Geht mir genauso! Mittlerweile ist von unseren Mitbringseln auch nichts mehr übrig. Ich hatte mir übrigens vor Ort ein dünnes, aber sehr interessantes Büchlein gekauft, “I Signori del vino ligure” von Giovanna Benetti. Da werden 50 ligurische Winzer und ihre Weine auf je einer Doppelseite vorgestellt, mitsamt Fotos von Winzern und Weinetiketten. Ist auch leicht verständlich für Leute wie mich, die nicht gut Italienisch sprechen.
Leider waren wir ja mehr oder weniger nur auf der Durchreise, weshalb wir keinen einzigen Winzer besuchen konnten. Aber jetzt wissen wir fürs nächste Mal wenigstens, wen es da alles gibt ;).
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