“Schnick schnack dideldum, alles wieder anders rum.” So sagte der Kasper auf meiner (relativ betagten) Schallplatte, als er den Zauber der Hexe rückgängig machen wollte. Hat natürlich funktioniert. Was hier dideldum andersrum ist, betrifft die Reihenfolge meiner Posts. Eigentlich wollte ich nämlich noch aus Italien berichten, aber uneigentlich habe ich gerade eine Käseplatte aus den französischen Alpen gegessen.
Und damit muss ich beim besten Willen alles umschmeißen. Es geht um Annecy, die Zweithauptstadt der Region nach Grenoble. Was gibt es hier zu sehen? Sommer-Touristenfamilien, uralte Kurlauber im Tanztee-Outfit, im Winter die Nicht-mehr-ganz-so-Jeunesse-Dorée und die von München bis Mailand üblichen SUVs auf den Straßen. Aber natürlich ist das nicht alles. Die Alpen sind so eine merkwürdige Gegend, die von dem absoluten Paradies im Sonnenschein zum horriblen Trübsinn bei Regen und Nebel werden kann. Wie die Seele der Alpenländler diese Beutelungen mitmacht, weiß ich nicht. Zum Glück lachte mir die Sonne, deshalb schaut Euch einfach den See und die Berge an.
Auf den Almen muhen die Kühe. Frankreich ist das Herzland aller Gourmets. Wer diese beiden Sätze miteinander vereint, den überrascht es kaum, dass man in Annecy allerwenigstens zwei Käsehändler von Weltrang antreffen kann. “Käsehändler” bedeutet hier auch immer “Affineur”, also jemand, der den jungen Käse von den Almbauern kauft, um ihn im eigenen Keller zur perfekten Reife zu veredeln.
Der Platzhirsch seit Jahrzehnten ist die “Crèmerie du Lac” von Raymond Michel, heutzutage mit allem Glanz und Gloria weitergeführt von seinem Sohn Alain. Dies ist ein Gourmetort per excellence, der vor Kenntnisreichtum und Bescheidenheit nur so strotzt. Alain spricht übrigens ausgezeichnet Englisch und ist auch sonst sehr zuvorkommend, so dass selbst der weniger frankophone Tourist ein Stück echtes Savoyen bekommt. Alle hier abgebildeten Käse habe ich bei Alain Michel gekauft.
Echte Konkurrenz erwächst Alain seit kurzem in Pierre Gay, der im letzten Jahr den begehrten Titel des “Meilleur Ouvrier de France” nach Hause tragen konnte. Ein kleiner Tipp sideways: Schaut bei Euren Frankreich-Touren, wo sich ein solcher MOF befindet (lässt sich leicht im Internet recherchieren). Ich habe damit bislang immer sehr gute Erfahrungen gemacht. Wer einen solchen Titel ergattern will, muss sich bei seinen Produkten offenbar ganz übermäßig anstrengen. Kurzum: Ob man zu Alain Michel oder zu Pierre Gay geht, man bekommt immer eine kenntnisreiche Beratung und ausschließlich hervorragenden Käse. Was für mich als Durchreisenden die Sache noch angenehmer macht: Der Käse wird auf Nachfrage auch gern vakuumdicht verschweißt, so dass er selbst schreckliche Autofahrten in relativ gutem Zustand übersteht.
Die Alpen sind im Allgemeinen eine Kuhregion, viel mehr jedenfalls als alle anderen Hochgebirge. Entsprechend habe ich mich hier auf Kuhkäse gestürzt, natürlich aus Rohmilch und von kleinen Erzeugern (“fermier”). Süßer, heuiger und blütiger kann Käse nicht sein.
Reblochon gibt es fast überall zu kaufen, aber die Qualitätsunterschiede sind natürlich beträchtlich. Da es sich um einen wahrhaft milden halbfesten Kuhkäse handelt, kann das Ganze schnell mal in einen nichtssagenden Supermarkt-Quas abgleiten. Nicht so bei Alain Michel, denn dies ist sein eigener Käse, “Le Michel”, bei dem er nicht nur Affineur, sondern auch Käser ist. Das berechtigte Flaggschiff sozusagen. Ursprünglich aus der fetteren Nachmilch gewonnen, ist auch dieser Käse mild, ungemein nach Vollmilch schmeckend, nussig und federnd. Dazu ein säurereicher Weißwein.
Der Tome des Aravis stammt von den Almen der Bergkette östlich von Annecy. Seine gelblichen Flecken auf der Rinde verdankt er angeblich den Wiesenblumen, die die Kühe gefressen haben. Kleisterig ist die Konsistenz, ein typischer Tome, der nicht zu breit daherkommt, sondern neben den aromatischen Noten nach Almkräutern auch eine anregende Bitterkeit besitzt. Anders als die meisten Tomes ist dieser hier allerdings nicht von der Milchsäure geprägt, sondern recht mild. Auch er verlangt nach einem pikant-frischen Weißwein.
Der Tome de Termignon ist von ganz anderer Art. Termignon, das sind die Hochalpen, und jeder Franzose, der sich für Essen interessiert, verdreht bei der Erwähnung des “Bleu de Termignon” verzückt die Augen. Auf diesen bis auf 2.000 Meter Höhe hinaufreichenden Almen wird allerdings nicht nur der ohne Impfung gereifte Blauschimmelkäse hergestellt, sondern auch ein “normaler” Tome. Aber was heißt hier schon normal. Eine riesige, rissige Rinde, ein klebriger Teig, manchmal fast von einer Schimmeladerahnung durchzogen. Der Angang ist bereits bitterscharf, kaum fruchtig, nie mild, und so bleibt es auch. Anstrengend, pilzig, gleichzeitig gewaltig und karg. Hier böte sich ein ölig-fruchtiger Weinwein an; mit dünner, frischer Säure kommt ein Begleiter nicht weit.
Der letzte Käse, ein Persillé des Aravis. Hatte ich eingangs gesagt, dass ich nur Kuhkäse gekauft habe? Glatt gelogen, denn dieser Käse mit der seltsamen Konsistenz stammt von Ziegen. Die Rinde scheint einen ganz normalen Hartkäse zu verbergen, aber bereits beim Schneiden merkt man, dass dies eine andere Sorte ist. “Persillé” heißt so etwas wie “durchwachsen” im Französischen, und der Käse ist entsprechend mürb-bröselig und sieht ein bisschen aus wie ein stark madiger Pilz (okay, wenig appetitlicher Vergleich). Vorn bröselt es, dann kommen erstaunlicherweise grüne Oliven ins Spiel, und hinten heraus ist der Käse pikant-scharf, weißer Pfeffer. Ein schwächerer Wein würde hier gegen die Wand gedrückt. Entsprechend empfehle ich zum ersten Mal einen jungen tanninig-fruchtigen Roten oder aber einen süßen Weißen.
Will man jetzt die passende Weinbegleitung gleich vor Ort erstehen, ist das gar kein Problem. Drei bis vier gute Weinhändler gibt es in Annecy, bei denen man die Weine der lokalen Stars Domaine des Ardoisières, Domaine Belluard, Louis Magnin, Gilles Berlioz oder den Fils de Charles Trosset erstehen kann. Das sind alles ganz tolle Weingüter, die ihre Erzeugnisse in aller Regel zu sehr vernünftigen Preises verkaufen. Richtig darauf eingehen kann ich an dieser Stelle nicht, aber kauft savoyardische Weine besser von genau diesen Gütern und nicht im Supermarkt. Nachher werdet Ihr wissen, warum. Übrigens haben die Käsehändler natürlich auch entsprechend gute Weine im Angebot, wir sind schließlich in Frankreich.
Aus der weißen Rebsorte Jacquère wird dabei ein säurefrischer Wein gekeltert, der hervorragend zu den ersten beiden Käsen passt, solo dafür eher mager wirkt. Säuremild sind hingegen die weißen Rebsorten Altesse und Chasselas (= Gutedel), wobei erstere durchaus eine traminerhafte Honigsüße bei längerer Lagerung hervorbringen kann. Beide Rebsorten sollen von den Kreuzfahrern aus Zypern (oder so ähnlich) mitgebracht worden sein, und in der Tat können manche türkische Rebsorten ähnliche Aromen und Qualitäten hervorbringen. Meist die größten Weißweine Savoyens stammen aus der Roussanne, hier als Bergeron bezeichnet. Jene halten auch einem Kalbsgeschnetzelten mit Sahnesauce stand. Die rote Königin ist die Mondeuse, angeblich verwandt mit dem Refosco, also eine kräuterig-fruchtig-säurereiche Version, wunderbar ganz jung oder richtig alt.
Hier noch die Adressen der beiden Käser und der vier Weinhändler:
- La Crèmerie du Lac, Alain Michel, 3 rue du Lac, DI-SA 7:30 bis 12:15 und 15:00 bis 19:15
- Pierre Gay, 47 rue Carnot, DI-SA 7:30 bis 12:30 und 15:00 bis 19:00
- Cave Filaterie (hier habe ich eingekauft), 12 rue Filaterie, DI-SA, 9:30 bis 12:30 und 14:30 bis 19:30 & SO Vormittag
- Vintage by Juno, 10 rue Sainte-Claire, MO-SO 9:00 bis 20:00
- In Vino Vita, 7 rue Président Favre, DI-SA 10:00 bis 13:00 und 15:00 bis 19:30
- Java des Flacons (die Nummer 1, leider ein wenig außerhalb), 49 avenue du Petit Pont, DI-SO 10:00 bis 20:00
Zum Abschluss würde mich natürlich interessieren, ob Ihr schon einmal in den französischen Alpen wart – außerhalb der Skisaison. Und wie steht Ihr zu Kuh-Hartkäse? Durch die ganze Industrialisierung hat man ja fast das Gefühl, dieses Genre würde unter Gourmets gar nicht mehr viel gelten.
Hallo Matze!
Wieder einmal ein herrlicher Bericht!!! Vielen Dank dafür. Ich hoffe es folgt noch was aus Frankreich…..!?!?
Um sofort auf Deine erste Frage zu antworten! Ja! Allerdings nur auf der Durchfahrt. Ich war dereinst im Piemont unterwegs und hatte soviel Wein geladen (Convoi Exceptionell), dass ich via Frejustunnel und dann weiter durch die Alpen meinen Weg in die Heimat gesucht habe, um keinen Ärger mit den Schweizer Grenzern zu bekommen
Um auf Deine zweite Frage zu antworten! Ja! Ich steh auf Kuhhartkäse. Außerhalb Frankreich sind für mich Casera und Bitto aus dem Valltelina und Fontina aus dem Aostatal top. Diese Käse sind allerdings, wie Deine verkosteten in Deutschland schwer zu bekommen. Und ja ich liebe Reblochon. Der Inbegriff eines Kuhkäses für mich. Und außerdem liebe ich in Frankreich die in vielen Pizzerien angebotene Pizza Savoyarde mit Creme Fraiche, Kartoffeln, Speck und Reblochon….auch wenn die Italiener mich jetzt steinigen wollen….
Beste Grüße Jens
Hallo Matze,
das ist ja toll, du hast Annecy gefunden, wie mir scheint… – uns war es leider nicht vergönnt, wie du vielleicht hier schon lesen konntest: http://www.torsten-hammer-priorat-guide.com/blog/derpriorathammer/?p=4120. Die hübsche Altstadt hat sich vor uns einfach so versteckt…
Dafür gibt es ringsum wieder viele Postings zu diversen gemachten Klettersteigen, diversen nachkochenswerten Trangia deluxe Campingkochergerichten (kein Fischmatsch, grins…) und natürlich kommen auch bei mir die vielen richtig guten Käse der Region nicht zu kurz, wir hatten da überall und immer was gutes gefunden, meist direkt beim Erzeuger gekauft – ich bin immer noch fleißig dabei, alles auf zu schreiben und die vielen hunderte, meist Klettersteigfotos aufzubereiten. Ich bin auch nach dem zweiten Jahr französische Alpen nach wie vor begeistert von dieser grandiosen Gegend. Und natürlich von all seinen Käsesorten…
Du als gelegentlicher Biergenießer findest auch einige interessante Biernotizen bei mir…
Auch Annecy muß ich wohl noch mal eine Chance geben, scheint ja doch recht nett zu sein. Vielleicht weist du mir den rechten Weg…
Das hatte ich zum Glück vorher in einem französischen Reiseführer gelesen ;): Annecy-le-Vieux ist nicht die Altstadt von Annecy, sondern quasi die steinzeitliche Keimzelle – oder so ähnlich. Jedenfalls handelt es sich heute um einen gänzlich unbedeutenden Vorort, etwa 4 km nordöstlich des eigentlichen, sehr netten, wenngleich im Sommer offenbar ungeheuer touristischen Zentrums.
Aber Savoyen fand ich auch diesmal wieder sehr besuchenswert. Beim ersten Mal waren wir wegen der unwettergesperrten Rhône-Autobahn ja sehr unfreiwillig in die Gegend gekommen… Ihr habt ja auch tolle Klettersteigfotos bei allerbestem Wetter mitgebracht – naja, bisschen Gewitter und Schnee, aber gut 😉