Wie Ihr wisst (wenn Ihr hier schon länger mitlest) möchte ich dieses Jahr zum ersten Mal meinen eigenen Cidre herstellen. Wie ich dabei genau vorgehen werde, ist mir selbst noch nicht so ganz klar. Nur eins lässt sich nicht von der Hand weisen: Ich muss mich rechtzeitig um das Rohmaterial kümmern. Deshalb habe ich mal wieder den Fotoapparat mitgenommen zu den Apfelbäumen, um Euch jetzt – mitten im Hochsommer – den Stand der Apfeldinge präsentieren zu können.
Wenig überraschend schüttete es bei 15 Grad Außentemperatur aus vollen Schleusen. Eine knappe halbe Stunde später konnte ich mich dann an die Begutachtung machen. Ich habe keine Ahnung, ob die Äpfel für diese Jahreszeit jetzt besonders weit sind oder aber in ihrer Reife hinterher hinken. Bei einigen (der ungefähr 20) Sorten beginnt sich schon eine zarte Rotfärbung zu zeigen. Allerdings haben sich gelegentlich Maden im Apfelinneren häuslich niedergelassen.
Etwas Kopfzerbrechen bereiten mir die kleinen grünen Äpfel, die am spätesten reifen und letztlich für die schöne Gerbstoffstruktur im Endprodukt sorgen sollen. Viele von ihnen sind nämlich bereits jetzt mit braunen Schorfpunkten übersät, und auch die Blattstruktur sieht nicht überall gesund aus. Zudem fallen die ersten Äpfel zu Boden. Mein Vater meint ja, dass es ein besonders schlechtes Apfeljahr wird. Bislang hängen allerdings noch genügend Äpfel auf den Bäumen, und die vielen Sorten werden sich schon irgendwie ausgleichen. Als richtig professioneller Cidrier werde ich mich also weiterhin beruhigt dem süßen Nichtstun hingeben und die Natur einfach weitermachen lassen. Anders als die fauligen und vermadeten Süßkirschen sind die Äpfel nämlich trotz des scheußlichen Regenwetters noch in einer relativ widerstandsfähigen Phase. Im September ist dann immer noch Zeit, um sich Gedanken darüber zu machen, welche Gerätschaften und Gefäße angeschafft werden müssen.
Wovon ich nicht abweichen werde, sind die fixen Prinzipien – die wohl nur jemand so aufstellen kann, dessen Lebensunterhalt nicht vom Apfelmost abhängt: keine Schwefelung, keine Hefe, keine Klär- oder Zusatzstoffe, einzig der pH-Wert als Richtschnur für die Komposition. Sollte die ganze Geschichte schrecklich in die Hose gehen, werdet Ihr selbstverständlich davon erfahren.
Schoenes Projekt!
Bei dem Thema werde ich sentimental. Aber so etwas von. Ich stamme aus einem kleinen Dorf bei Trier. Die Produktion von Apfelwein, oder Viez, wie wir sagen, hat hier eine sehr, sehr lange Tradition, vielleicht bis zur Römerzeit zurückreichend. Früher hat jede Familie im Herbst ihren Viez gekeltert, auch wir. Es war ein Alltagsgetränk früher, etwas für Leute, die sich Bier, geschweige denn den teuren Wein nicht leisten konnten. Mein Großvater ging morgens in den Keller, zapfte sich einen “Bommes” (irdener Krug) voll Viez, der neben den Herd gestellt wurde, damit er Trinkwärme erreichte. Davon trank er den ganzen Tag über, oft auch gemischt mit Wasser. Trinkgefäß war die “Porz”, ein 0,4 Liter fassender Henkelbecher aus weiß glasiertem Ton. Nie wäre mein Opa auf den Gedanken gekommen, Geld für Sprudel auszugeben. Die Äpfel stammten von den eigenen Streuobstwiesen, es waren bestimmte Sorten, die robust und ertragreich waren. Roter und weißer Trierer (Trierer Weinapfel) haben wir genommen, dazu auch Sievenicher Mostbirnen. Es gibt aber auch noch etliche andere Sorten. Da hatte jede Familie ihr eigenes Rezept. Die Äpfel wurden von der ganzen Familie früh morgens “gerefft”, sortiert und dann in der Obstmühle gemahlen, anschließend gekeltert. Ich versichere, der aus Kelter laufende, trübe und ungefilterte “süße Viez”, den wir als Kinder trinken durften, gehört zu den ganz großen Köstlichkeiten, die mir in meinem Leben bisher begegnet sind. Und ich habe schon Einiges probiert. Meist gab es dazu selbst gesuchte Kesten, Esskastanien, die geröstet oder in Salzwasser gekocht dazu gegessen wurden.
Der süße Viez wurde in ein Holzfass gefüllt, dass mein Großvater vorher gesäubert und ausgeschwefelt hatte. Dann wurde er im gemauerten Gewölbekeller mit Lehmboden einfach sich selbst überlassen. Reinzuchthefen oder so etwas gab es nicht. Gärstopper auch nicht. Wenn er durchgegoren war, war der Viez fertig. Es wurde auch nichts gefiltert oder so. Die Hefe setzte sich oben ab. Ich erinnere mich auch, dass ich als Kind mit meinen Geschwistern von dem “scherpsigen”, heißt angegorenen, Viez genascht habe. Das Ergebnis war der erste Rausch meines Lebens und heftiger Bauchschmerz mit Durchfall. Aus dem Pressrückstand beim Keltern kann man übrigens einen guten Trester brennen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Seit mein Opa tot ist, habe ich keinen Viez mehr gemacht. Die familiär geprägte Tradition ist allerorten perdu. Kaum einer macht seinen Viez noch selbst. Zwar gibt es eine regelrechte Renaissance des Viez, in der Region findet man ihn mittlerweile in jeder Kneipe. Aber der dort getrunkene Viez stammt aus Großkeltereien. Das heißt nicht, dass er schlecht ist, nur eben nicht ganz so gut, wie selbst gemachter. Mag auch daran liegen, dass viel zahmes Obst von andernorts verwendet wird. Und natürlich Industriehefe. Der Viez wird auch dort nicht in Holzfässern ausgebaut, was eine dunkle Bernsteinfarbe und eine besondere Geschmacksnuance gibt, sondern in Edelsteintanks.
Seit Jahren habe ich vor, die Tradition wieder aufleben zu lassen. Aber viel Umzieherei, das Fehlen eines geeigneten Kellers sowie berufliche Hektik und die eigene Familiengründung haben das bisher verhindert. Jeden Herbst sehe ich überall in der Region die Viezäpfel an den Bäumen vergammeln. Das finde ich traurig. Glücklicherweise habe ich mir die Kelter gesichert und bei Bekannten untergestellt. In zwei Jahren ist meine Tochter groß genug, um mit mir gemeinsam Viez zu machen. Dann werde ich die Kelter auf Vordermann bringen und mir ein kleines Fässchen besorgen. Und wenn ich mir einen Keller mieten muss!
Für dein Projekt wünsche ich dir viel Erfolg und viel Spaß. Versuch einmal gekochte oder geröstete Esskastanien zum frisch gepressten Cidre oder auch einen salzigen Hefekuchen. Das schmeckt herrlich. Ansonsten muss, zumindest bei uns in der Region, der Viez sehr trocken und durchgegoren sein. Oder um meinen Opa zu zitieren: beim Trinken muss es einem das Hemd in die Arschfuhre ziehen…
Das ist eine wunderbare Geschichte! Viez aus der Trierer Gegend habe ich zwar auch schon getrunken, aber nach dem, was ich mittlerweile in Herefordshire gelernt und von Dir gelesen habe, ist das alles nicht mehr die ganz alte (= unbehandelte = risikoreiche) Nummer. Meine Freundin hat mir erzählt (ihre Familie hat früher auch “Most” gemacht, wie es bei ihnen heißt), dass sie immer in die alten Holzfässer kriechen und sie von innen saubermachen musste. Die Wände müssen furchtbar schleimig gewesen sein und die Arbeit mit Sicherheit nicht das, was sie als Kind am liebsten gemacht hat.
Ich werde auch wie bei Euch versuchen, den Most ganz durchgären zu lassen. Was die Apfelauswahl anbelangt, werde ich wahrscheinlich in diesem Jahr noch nicht so richtig gezielt vorgehen können. Prinzipiell versuche ich aber, das Säure-Tannin-Verhältnis ausgewogen zu halten – ich schätze mal, bei meinem technischen Stand mit einem Testbiss in die verschiedenen Äpfel ;). Mein Vater weiß nämlich leider nicht mehr, wie die Apfelsorten bei uns heißen. Okay, ein Golden Delicious ist vermutlich nicht darunter…
Dir wünsche ich auch, dass sich Dein Viez-Traum mindestens so früh wie geplant erfüllt. Zwei Jahre gehen ja sehr schnell vorbei.