“Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist”. In diesen schnöden Worten steckt einiges an Wahrheit, denn wenige Dinge sind so wendisch wie das Wetter, und Klima ist schließlich nur die Summe vieler Wetter. Wenn man jetzt mit der ganz groben Messlatte daherkommt, lassen sich allerdings einige Indikatoren ausmachen, die irgendwie alle in dieselbe Richtung zu zeigen scheinen: Heißer soll es werden auf Erden. Beziehungsweise, es ist bereits heißer geworden, denn wie sonst als mit dem Klimawandel könnte man solche Weine erklären, wie sie unsere Supermarktregale zunehmend bevölkern? Müssen wir uns also gewöhnen an 16vol%-Brummer aus dem Süden, an Syrah und Cabernet von der Mosel, an Müller-Thurgau aus Dänemark?
“Klimawandel” also, so lautet das Thema der Weinrallye # 52, die diesmal von Torsten auf seinem Zweitblog veranstaltet wird. (Zur Antwort auf die Frage, was eine Weinrallye eigentlich ist und wie sie funktioniert, bitte hier entlang.) Für diese Rallye habe ich einen Wein ausgesucht, der genau in diese Kerbe zu hauen scheint, aber genau das in Wirklichkeit dann doch nicht tut.
Aber um das vernünftig zu beweisen, möchte ich Euch zunächst einmal zwei feine Karten zeigen, zwei Karten des für Europa prognostizierten Klimawandels. Die Karten stammen aus einer Veröffentlichung der Europäischen Kommission, sind also aller Voraussicht nach der hehren Wissenschaft verpflichtet (Quelle: Grünbuch der Kommission „Anpassung an den Klimawandel in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU“. Brüssel 2007 = KOM(2007) 354 endgültig). Man hört ja allenthalben, dass gerade in diesem Bereich eine ungeheure Lobbyarbeit betrieben wird, weil sowohl das Übertreiben als auch das Negieren des Klimawandels bestimmten Verbänden oder Firmen pekuniär nützen oder schaden könnte. Mit anderen Worten, es sollen etliche gekaufte Studien in Umlauf sein. Diese aber hoffentlich nicht.
Einen Satz sollte ich vor der Interpretation der Karten vielleicht noch vorwegschicken: Prognosen für die Zukunft beruhen in aller Regel auf Trendfortschreibungen. Die Klimaforscher haben also die Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit als Maßstab für das genommen, was sich bis zum Jahr 2100 verändern könnte.
Karte 1: Veränderung der durchschnittlichen Jahrestemperatur in °C bis 2100
Auf der ersten Karte wird dabei eins deutlich: Überall in Europa haben wir mit einem Anstieg der Durchschnittstemperatur zu rechnen; nirgends geht es in die umgekehrte Rechnung. Allerdings sind nicht alle Gebiete gleichermaßen davon betroffen. Besonders schlimm sieht es in Zentralspanien, in den Westalpen, im südlichen Balkan und in Finnland aus. In Großbritannien und insbesondere in Irland findet nach dieser Prognose hingegen so gut wie keine Veränderung statt. Für den Weinbau bedeutet dies, dass man sich in Kastilien besser auf Dattelpalmen konzentrieren sollte. Ohnehin ist man rund ums Mittelmeer von der Erwärmung stark betroffen. In Deutschland sieht der Anstieg an sich farblich moderat aus, aber mehr als 3°C Zunahme sind natürlich schon problematisch.
Karte 2: Veränderung der jährlichen Niederschlagsmenge in % bis 2100
In der zweiten Karte geht es um die Veränderung der jährlichen Niederschlagssumme. Hier gibt es – anders als bei der Temperatur – durchaus Gebiete, in denen es insgesamt nasser wird. Dazu zählt in moderatem Maß auch Deutschland, wobei Skandinavien und das Baltikum den meisten Regen (und/oder Schnee) zu verkraften haben. Umgekehrt ist es wiederum die iberische Halbinsel, aber auch Griechenland oder Sizilien, bei denen es zu einem (noch stärkeren) Niederschlagsmangel kommen könnte.
Nun fehlt in den Karten leider eine Aussage darüber, wie die Veränderung von Temperatur und Niederschlag im Jahresgang aussieht. Ein extrem warmer Winter kann da beispielsweise einen kühlen, regennassen Sommer ausgleichen. Alles in allem würde ich die Studie der Klimaforscher für unseren Bereich aber so interpretieren, dass sich insbesondere Spanien auf hitzige, rebenfeindliche Zeiten einstellen sollte. Die Britischen Inseln können dagegen mit weitgehend ähnlichem Klima wie bislang schon rechnen.
Bei der Interpretation dieser Verläufe gibt es Leute, die der Meinung sind, derartige Temperaturveränderungen seien ganz natürlich. Sie hätten in der Vergangenheit immer wieder in teils deutlich extremerer Form stattgefunden. Und sicher, der Boden der Champagne mit seinen Fossilien stammt aus einer Zeit, als hier ein tropisches Meer existierte. Und gleichfalls sicher, im Hochmittelalter hatten wir eine ebenso kleine Warmzeit, wie wir zwischen 1550 und 1850 eine kleine Kaltzeit hatten. Der Unterschied ist bloß der, dass der Temperaturanstieg diesmal in allererster Linie durch menschliches Verhalten ausgelöst wird und in einer noch nie gemessenen Plötzlichkeit stattfindet.
Interessant finde ich in dem Zusammenhang manch argumentative Verknüpfung von bestimmten klimatischen Verhältnissen und dem Weinbau. Die alten Römer – so liest man immer wieder – hätten damals zur Warmzeit Wein in England angebaut. Später sei dies jahrhundertelang nicht mehr möglich gewesen, bis der jetzige Klimawandel hier eine neue Anbauwelle ausgelöst habe. Nun, man sollte dabei nicht vergessen, dass die Römer Weintrinker waren, die ihre Kultur ganz selbstverständlich in die von ihnen eroberten Gebiete transportierten. Reben wuchsen deshalb dank der Römer in Trier, im heutigen Rumänien und in der Tat auch in Südengland. Später machten sich dort Völker breit, die eine andere Rauschgetränketradition besaßen. Und vorbei war es mit dem Weinbau.
Wenn man den aktuellen Aufschwung des Weinbaus in England nun mit klimatischen Bedingungen erklären möchte, kommt man ausgerechnet hier in Schwierigkeiten. Die Karten zeigen ja, dass gerade England keine starke Temperaturerhöhung erfahren hatte. In Wirklichkeit scheinen mir auch diesmal kulturelle Ursachen wesentlicher zu sein. Einerseits ist Wein als „Modegetränk“ einer besser gestellten und besser gebildeten Schicht mittlerweile im Norden angekommen. Durch Urlaubserinnerungen ist der Weinbau auch ansonsten positiv konnotiert. Andererseits existieren mittlerweile neu gezüchtete Rebsorten, die einem kühleren und feuchteren Klima während der Wachstums- und Reifeperiode besser standhalten als beispielsweise Grenache oder auch Riesling.
Soweit zu Teil 1. Ihr könnt Euch natürlich denken, dass ich einen solchen Sermon nicht von mir gebe, um dann einen Airén aus der Mancha zu präsentieren. Nein, für diese Weinrallye habe ich selbstverständlich einen englischen Wein probiert.
Der Wein trägt einen schönen Namen: “English Rose” heißt er und spielt sowohl mit seiner Farbe als auch mit dem altenglischen Rosenduft. Jener soll übrigens dem Lehrbuch nach besonders im Rosé von Bellet aus dem Hinterland von Nizza zu spüren sein, aber das tut hier nicht allzu viel zur Sache. Der “English Rose” ist ein English Regional Wine von Chapel Down, einem der größten englischen Weinproduzenten. Zwar ist der Sitz der Kellerei in Kent, aber die Trauben für diesen Wein stammen aus verschiedenen südenglischen Weinbergen. Hauptrebsorte ist Schönburger, ergänzt durch Rondo, Regent, Dornfelder und Pinot Noir. Ihr werdet jetzt vermutlich glasklar und gefühllos erkennen, dass dies kein wahres Spitzenprodukt sein dürfte. Schönburger übrigens ist eine Geisenheimer Züchtung von 1939, die als winterfest, früh reifend und robust gilt. Nur ganz böse Zungen würden behaupten, es handele sich in Wirklichkeit um eine gezielt hergestellte biologische Waffe, die geeignet ist, Moral und Geschmackssinn der seinerzeit spinnefeindlichen Briten zu zermürben. Jahrgang 2010 ist mein Wein jedenfalls, 11%vol, knapp zehn Pfund Sterling im Waitrose.
Lachsfarben fließt der Wein ins Glas. In der Nase ziemlich eindimensional nach süß-würziger Himbeere. Am Gaumen zunächst sehr glatt, also überhaupt nicht perlend, und gleich mit einer prägnanten Säure. Jene ist allerdings nicht spitz oder zitronig, sondern erinnert mich sehr stark an Rhabarber. Im Fruchtbereich läuft hier allerdings noch mehr, eindeutig Erdbeere, was in der Kombination mit der Säure und der, nun ja, aromahefigen Art so etwas wie einen sauren Erdbeerdrops produziert. Dies ist ein allenfalls passabler Wein, der aber selbstverständlich technisch sauber daherkommt. Der Duft der englischen Rose allerdings, den sucht man hier vergebens. Es könnte sein, dass in einem ausnahmsweise heißen Sommer, in dem beispielsweise der Pinot Noir richtig ausreift, auch in England ein Wein produziert werden kann, der an einen kleinen Marsannay erinnert. Aber so wenig, wie sich der generelle Klimawandel hier am Ozean auszuwirken scheint, dürfte das (irgendwie zum Glück) nicht sehr oft passieren.
P.S. (hatte ich vergessen zu erwähnen) Auf dem Foto sind Wein”berge” in Gloucestershire abgebildet, an denen ich zufällig vorbeigekommen bin. Es gibt mittlerweile sogar walisischen Wein…
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