Kennt Ihr das auch von Euch, dass Ihr eine Anfrage mit dem Argument ablehnt, so etwas “beim besten Willen” nicht machen zu können? Interessanterweise schwingt bei diesem Ausdruck nämlich genau das Gegenteil der objektiven Aussage mit. Sehr wohl wäre es mit gutem Willen möglich, hier etwas zu tun – allein, aus irgendeinem kühlen Grund fehlt Euch die rechte Motivation. So ähnlich ist es mir im übertragenen und umgekehrten Sinne bei diesem Post gegangen. Ich habe mir gesagt, “du kannst doch nicht schon wieder den Wein eines Winzers vorstellen, den du hier bereits lang und breit erwähnt hast. Aber beim besten Willen, bei diesem Produkt lässt es sich einfach nicht vermeiden.” Und warum ist das so? Weil es der charakterstärkste Wein ist, den ich seit langem getrunken habe.
Vor einiger Zeit gab es in der RVF mal ein Feature, bei dem die Autoren küstennah angebaute Weine nach dem Einfluss des Meeresklimas unter die Lupe genommen haben. Mit einem komplett falschen Ergebnis, wie ich finde. Am stärksten meeresbeeinflusst sollte nämlich der Cassis sein, bekanntermaßen ein Weißwein aus dem provençalischen Département “Bouches-du-Rhône”. Wer einmal dort war und zum Beispiel die beeindruckende kleine Halbinsel des Clos Sainte Magdelaine gesehen hat, die unzweifelhaft auf drei Seiten von Wasser umgeben ist, wird den Autoren sicher zustimmen.
Allerdings muss das Klima auch vom Meer beeinflusst sein, und damit meine ich nicht nur die Lichtspiegelung. Genau das trifft bei Cassis aber nur in geringem Maße zu. Während der Wachstumsperiode der Reben (und noch extremer während der Traubenreife) gibt es nur wenig Niederschlag hier. Von Stürmen ganz zu schweigen. Und so werden die Reben von jener Gischt verschont, die es bei echten Meeresweinen aus kühleren, feuchteren und windigeren Regionen immer mal wieder gibt. Vor ein paar Jahren hatte ich im Urlaub auf der Ile de Ré aus einer Touristenbude einen Rotwein mitgenommen, von dem ich außer seiner Eignung als Mitbringsel nichts erwartete. Qualitativ war es dann auch ein kleiner Landwein. Aber welch Salzgeschmack, welch algiger Eindruck, ich war total verblüfft! Diesmal war ich also vorgewarnt und bin bewusst zum besten Produzenten der Atlantikküste gegangen.
Thierry Michon ist auch der einzige Produzent aus der Region Vendée, in der morgen die Tour de France gestartet wird, der außerhalb seines Dorfes eine gewisse Reputation genießt. Lustigerweise führt die morgige Etappe an seinen Weinfeldern in Brem-sur-Mer vorbei. Als ich dort war, kam ich direkt vom Strand bei Les Sables d’Olonne, einem Ort, den einige von Euch sicher von eigenen Urlauben kennen werden. Es gibt dort auch eine nette Markthalle, in der man – nun ja – auch gut Fisch kaufen kann. Aber zurück zu Thierry Michon: Während sich das Ladengeschäft der Domaine Saint-Nicolas in Brem befindet, ist das eigentliche Weingut mit unhübscher Lagerhalle direkt an der Ausfallstraße gelegen, dafür aber unübersehbar mit großen Lettern gekennzeichnet. Ich konnte dort die ganze Palette der Weine dieses biodynamisch geführten (und zertifizierten) Weinguts probieren. Einige davon sind in der offiziellen Liste gar nicht geführt, “Privatweine” sozusagen. Ein Besuch lohnt sich also absolut, aber Achtung: Dies sind definitiv keine Weine für Freunde milder Frucht-Kaltschalen.
So ist es auch mit diesem Wein hier, dem Cabaret 2005 aus der Appellation “Fiefs Vendéens Brem”. Es handelt sich um einen aus 100% Cabernet franc gekelterten Rotwein, für den ich vor Ort 9 € bezahlt habe. Kein Vermögen also. Trüb und dunkel rinnt er ins Glas, aha, unfiltriert, hätte ich mir bei der Weinbauphilosophie auch denken können. Kaum habe ich meinen Zinken ins Glas gehalten, springen mich sofort die Aromen an, Wahnsinn! Erst ein Spontanstinker, dann ein fetter Schieferstinker, dann ganz leicht der Eindruck flüchtiger Säure. Dies ist der ultimative Nasenpirat für einen Priorat-Wein. Am Gaumen gibt es dann allerdings deutliche Unterschiede: An den Zungenseiten ist sofort die kühle, säurereiche Materie zu spüren, aromatisch geht es erst in Richtung Johannisbeere – oder vielleicht eher Johannisbeerblätter auf schwarzem Felsgestein. Das Tannin ist präsent, aber bereits gut eingebunden, der Wein lediglich mittelschlank und mit relativ wenig Würze. Nach einiger Zeit entsteigen dem Glas jedoch noch andere Aromen, nämlich Algen, Meeressalz, immer kombiniert mit dieser strengen Schieferfrucht.
Hier kommen definitiv zwei enorm starke Einflüsse zusammen, und das wird dann auch logisch, wenn man die Lage des Weinfeldes betrachtet. Der erste Einfluss ist der Atlantik, der nur zwei Kilometer entfernt an die Küste braust. Das hört sich zwar zunächst weiter weg an als in Cassis, aber die Wirkung ist viel stärker. Hier gibt es Gezeiten, hier gibt es Wind, Wellen und Regen. Dies ist einfach ein Weltmeer. Das merkt man auch daran, dass es in Brem noch salzhaltiges Grundwasser vom Atlantik gibt. Der zweite Einfluss ist der Fels. In diesem Bereich stößt der hauptsächlich aus Schiefer (daneben noch Rhyolith und Gneis) bestehende Fels direkt auf das Meer. Dadurch ist die Bodenschicht erstaunlich dünn, und das schmeckt man dem Wein an.
Am zweiten Tag zeigt sich unser Cabaret (ein irgendwie leicht unpassender Name) ein wenig ausgewogener, glatter, erholter. Aber der Charakter bleibt derselbe, ich bin schwer beeindruckt. Dies ist kein üppiger, offener, fröhlicher Wein. Ganz im Gegenteil. Streng blickt er mich an, sehr natürlich und ohne jede Schminke, aromatisch ungemein fordernd. Wäre dieser Weine eine Frisur, er hätte seine Haare zu einem Dutt verknotet. So in etwa. Bei der Benotung macht sich das entsprechend bemerkbar. Ich muss zugeben, dass diese enorme Charakterstärke mich begeistert, weil ich nun einmal auf charakterstarke Weine stehe. Und wenn die Landschaft noch so vollkommen eingefangen wird, gilt das umso mehr. Allerdings hätte es schon ein bisschen mehr Zugänglichkeit sein können, eine reifere Frucht, ein bisschen mehr Gehalt. Aber dann wären wir sicherlich auch in anderen Preisregionen. Ich gebe also 4 Punkte für Eleganz, 9 für Charakter, macht 15 MP insgesamt.
Wenn Ihr Euch für die Weine von Thierry Michon interessiert (und Ihr keinen Atlantik-Urlaub plant), könnt Ihr sie in der Schweiz bei der Cantina del Mulino (Bern & Fribourg) erwerben – allerdings nicht diesen Wein. Solltet Ihr Bezugsquellen in Deutschland und Österreich mit Online-Bestellung kennen, wäre ich über einen Hinweis sehr dankbar.
Da ich immer auf der Suche nach derartigen Charakteren bin, würde mich zum Schluss noch interessieren, welche Weine Ihr schon mit einem ähnlichen Erlebnis getrunken habt. Was sind also Eure Landschafts-Freakweine?
Ach, schön, in der Vendée war ich zweimal auf Schüleraustausch… In Luçon. Ich habe die Gegend gut in Erinnerung: Les Sables-d’Olonne, La Roche-Sur-Yon, La Rochelle, île de Noirmoutier, île d’Yeu, Marais Poitevin, der Bahnhof von Nantes am frühen Morgen… Vom Wein hab ich damals nicht viel mitbekommen, aber ich finde, irgendwie spiegelt Deine Beschreibung des Weines den Charakter der Vendéens gut wider.
Schönen Gruß
Steffen
Wir waren vor zwei Jahren drei Wochen lang in der Gegend zwischen Loire und Vendée-Küste. Bei einem Bio-Bauern mit Familienanschluss, jeden Abend table d’hôte, war großartig! Hätte ich damals schon gebloggt, ich hätte jeden Tag das Essen dokumentiert. Abends dann die Spaziergänge bei Sonnenuntergang durch die Felder, außer Vogelgesang kein Geräusch. Und dann noch die ganzen Winzerbesuche, Angeli, Huet, Blot, Chidaine, Thierry Michon und Thierry Germain und und und. Im Juni ist es auch auf der Ile de Noirmoutier noch wunderbar vorsaisonhaft.
Naja, kurzes Fazit der Schwärmerei: Sowas kann ich jedem nur empfehlen, mal zu machen.
Hi Matze!
Bin gerade wieder zurück aus der Gegend (waren allerdings etwas weiter südlich – Ile D’Oleron) und habe zum Essen in einem Restaurant zur Bavette auf Empfehlung der Wirtin ebenfalls einen Viefs Vendeens im Glas gehabt. Kostete lächerliche 14 Euro im Restaurant und hat mich wirklich begeistert. Erinnerte irgendwie auch an leichtere Rotweine z.b. aus Bourgeuil.
Grüße Jens
Da mir Neid prinzipiell fremd ist, kann ich nur sagen: großartig! Ich hoffe, der Urlaub war auch ansonsten so schön. Die Inseln sind ja immer ein bisschen voll im Sommer… Soweit ich das richtig gesehen habe, wird auf der Ile d’Oléron ja auch Wein angebaut. Hast Du den auch mal probieren können?
Ab der zweiten Juliwoche wird es problematisch auf den Inseln, sehr problematisch!!! Ich habe bei meiner Abfahrt 2 Stunden für fünf Kilometer gebraucht. Das war schlicht der Weg von unserem Haus zum Viaduc. Aber auch danach lief es nicht besser. Für die Fahrt von Marennes bis nach Saintes zur Autobahn – gut 50 Kilometer – hab ich dann nochmal eine Stunde gebraucht. Die Inseln sind wirklich schön – in der Vor-und Nachsaison!
Den Wein der Ile d’Oleron kenne ich nur rudimentär. Soll heißen, zwei oder dreimal einen Weißwein zu Austern probiert. Korrekt, aber nichts was wirklich mit nach Deutschland will. Die Pineau’s liegen mir da schon eher.
Wo hast Du den vor zwie Jahren übernachtet bei Deinem Urlaub? Schreib mir ruhig ne Mail.
Grüße Jens
Hallo Jens,
das schreib ich Dir sogar öffentlich, weil es wirklich toll war: Drei Wochen “table d’hôte” bei Alain und Sylvie im Anjou: http://jaklab.free.fr/ Das ist mitten in der Pampa, aber wunderbar ruhig und erholsam. Abends kann man nach dem fantastischen Menü noch eine schöne Runde an den Feldern entlang nehmen und den Nachtvögeln zuhören. Besseres Rindfleisch als von Alain habe ich noch nie und nie wieder gegessen. Dass es ein Biohof ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen. Dicker Tipp jedenfalls.
Auf der Ile de Nourmoutier waren wir auch in einer schön gelegenen Unterkunft übers Wochenende, aber zu spießig für meinen Geschmack mit viel Deko-Kinkerlitzchen im Zimmer 😉 Und auf der Ile de Ré bin ich von La Rochelle aus gefahren, weil ich da beruflich zu tun hatte. Ich hab da im Etap übernachtet, das geht spontan ja meistens gut. Aber Plastikhotels sind halt nicht jedermanns Sache, und für einen Romantik-Urlaub taugt’s natürlich nicht…
Hi Matze!
Das ist ja fast um die Ecke bei meinem Lieblingswinzer aus dem Anjou – Domaine Pithon-Paille. Aber von da aus ist es ja noch ein Stück bis La Rochelle und der Ile de Nourmoutier. Mit Plastikhotels hab’ ich kein Problem. Ist ja nur zum Schlafen und dafür sauber und günstig.
In La Rochelle war ich dieses mal zwei mal. Gefällt mir ganz gut, da es noch ursprünglich ist und aufgrund der Architektur noch keine Big Brands und Flagshipstores eingezogen sind – übrigens ähnlich wie Marseille. Die Stadt mag ich auch.
Grüße Jens
Hallo Matze und auch an den Rest, der sich für ungewöhnliche Weine jenseits des AOC- Labels interessiert.
Gestern Abend habe ich ein Risotto machen wollen. Im Kühlschrank lag noch Gemüse was weg musste und so war es schnell klein geschnippelt und in Olivenöl in der Pfanne angebraten.
Das Risotto habe ich klassisch angesetzt und nun fehlte nur noch eine Wein zum ablöschen. Im Keller war doch noch irgendwas aus dem letzten Urlaub auf der Ile d’Oleron – ein Geschenk, dass ich in einer Austernbar bekommen habe, als ich ein Plateau pour emporter bestellt hatte. Voila. Die Flasche war schnell gefunden. Es handelte sich hierbei um einen VDP Charentais Ile d’Oleron vom Weingut EARL MAGE er Fils in St- Pierre- d’Oleron.
Der Korken wurde gezogen und das Risotto abgelöscht. Natürlich blieb noch ein Rest in der Flasche. Da die Flasche allerdings warm war, habe ich eine Kühlmanschette um die Selbige getan (was ein Deutsch) und sie in den Kühlschrank gestellt.
Nach ca. einer halben Stunde war ich das erstemal an der Flasche und hab mir einen kleinen Schluck gegönnt. Nicht übel. Erinnert irgendwo an etwas zwischen Entre deux Mers und Muscadet sur Lie.
Der Blick auf das Eticket offenbart eine Cuvèe aus Colombard, Ugni Blanc und Sauvignon Blanc.
Wirklich erfrischend, perfekt zu Meeresfrüchten und sicherlich so um die 3 EUR vor Ort zu kaufen. Herz was willst Du mehr.
Ein Wein, den ich sicherlich unterschätzt habe.
Sehr schön! Mir ging es bei meinen (allerdings relativ seltenen) Erlebnissen mit Weinen von der französischen Atlantikküste genauso. Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, hier einen “Touristenwein” vor mir zu haben, also einen überteuerten Tropfen, den nur depperte Touristen kaufen würden. Das waren immer kleine Weine zu kleinen Preisen, die aber völlig okay waren und zur dortigen Küche sogar richtig gut passten.
Pingback: ProWein 2014 – meine besten Entdeckungen (II) | Chez Matze