Welch rätselhafte Überschrift. Soll das etwa bedeuten, dass Euer guter alter Matze unter die 1,99-Rachenputzer-Käufer gegangen ist? Oder hat er eine spitzfindige Definition parat, was die Begriffe “Bordeaux” oder “Supermarkt” anbelangt? Nein, nicht wirklich. “Bordeaux” ist das Weinbaugebiet mit den bedeutendsten Rotweinen der Welt, und ein Supermarkt ist ein Ort, an dem man sich per Selbstbedienung den Einkaufswagen vollpackt. Weshalb ich mit wenigen Ausnahmen meine Bordeaux-Weine tatsächlich im Supermarkt einkaufe und wie ich dabei vorgehe, möchte ich Euch in diesem ganz leicht polarisierenden Artikel näher bringen.
“Bordeaux”, das ist das wichtigste, insgesamt teuerste und modernste Weinbaugebiet der Welt. Nirgends sonst wird so viel Geld mit Wein verdient, nirgends sonst gibt es entsprechend viele weinfremde Investoren, und nirgends sonst werden die Erkenntnisse moderner Önologie so schnell umgesetzt wie hier. Wenn die EU ein bestimmtes Verfahren zulässt – morgen beginnt ein “Château” damit zu arbeiten. Übermorgen ein zweites, drittes, viertes, und eine Woche später dann der erste Markenhersteller in der Champagne. Bordeaux ist in weiten Teilen kein Winzerland, sondern ein Großunternehmen mit einer Vielzahl von Aktionären und einer integrierten Börse. Nun weiß ich natürlich auch, dass es selbst hier kleine Winzer gibt, die von ihrer Hände Arbeit leben. Aber die weltberühmten Weine stammen jedenfalls nicht von ihnen.
Was das Bild von Bordeaux als einem einzigen Großunternehmen noch zutreffender werden lässt, ist die Tatsache, dass die Weine sich immer ähnlicher werden. Oliver Poels, seines Zeichens Chefverkoster der RVF, hat anlässlich der diesjährigen Primeurprobe erstaunliche Dinge geschrieben: Seit 20 Jahren mache er nun diesen Job, aber es sei ihm diesmal unmöglich gewesen, die einzelnen Châteaux voneinander zu unterscheiden. Der Stil sei meist technisch einwandfrei, dunkel, saftig, auch mit kräftigen Tanninen, also nicht allzu früh zugänglich, aber eben fast überall ähnlich. Seiner Meinung nach spielten dabei zwei Faktoren eine entscheidende Rolle: Erstens die relativ überschaubare Zahl önologischer Berater, die natürlich einen Stil präferierten, der ihrer Erfahrung nach auf dem Weltmarkt reüssiert. Zweitens die standardisierte Technik mit ausgefeilten Methoden, die den meisten größeren Weingütern zur Verfügung stünde.
Alles fürchterlich also in Bordeaux? In einem gewissen Sinne ja. Und was ist meine Reaktion darauf? Boykottiere ich Bordeaux, weil mir das Geschäftsgebaren nicht gefällt? Nun, ich kaufe nicht mehr besonders viel. Aber ganz darauf zu verzichten, das wäre wohl etwas zu viel der Selbstkasteiung, beim besten Willen. Ich versuche also lediglich, mich dem System anzupassen. Das heißt: Wenn die meisten Bordeaux nur noch geringe Unterschiede untereinander zeigen, muss ich nicht unbedingt einen Wein aus einem bestimmten Château haben, sondern kann gegebenenfalls auch auf den Nachbarn oder ein vom selben Önologen betreutes Gut ausweichen. Und wenn die Marktmaschinerie der Besitzerkonsortien darauf ausgerichtet ist, unmäßige Gewinne einzustreichen, dann versuche ich, so günstig wie möglich einzukaufen. Beides gelingt mir im Supermarkt.
Natürlich spreche ich nicht von einem deutschen Supermarkt, dessen Weinangebot mir regelmäßig die Tränen in die Augen treibt. Ich spreche von französischen Hypermarchés und ihren Foires, also einer Art Messe, die hauptsächlich im September, seit einiger Zeit allerdings zusätzlich im März abgehalten wird. Die bedeutendsten Supermarktketten in Frankreich heißen Auchan, Carrefour, Géant (Casino), E.Leclerc, Cora und Hyper U (Magasins U), und sie verteilen sich über das ganze Land. Für eine Foire werden meist um die 200 Weine in ausreichender Menge angekarrt, darunter etwa 50 Crus aus dem Bordelais. Der “Hyper”, der den größten Umsatz in dieser Hinsicht macht, erhält natürlich die meisten prestigeträchtigen Flaschen. Die Nummer 1 nach Expertenmeinung soll übrigens der Auchan Pôle Europe im Dreiländereck zwischen Frankreich, Belgien und Luxemburg sein, das aber nur nebenbei. In der Regel geht es bei den Foires um den jüngst herausgebrachten Jahrgang, und das ist auch gut so. Die Lagerbedingungen in den “Hypers” sind nicht gerade ideal, aber wer den frischen Jahrgang kauft, geht dabei auch kein größeres Risiko ein als beim Fachhändler.
Natürlich fahre ich nicht extra einige hundert Kilometer, nur um eine Flasche Wein etwas günstiger zu ergattern. Einerseits lässt sich das zu der Jahreszeit herrlich mit Städtetrips, Wanderausflügen und kulinarischen Festivitäten vereinbaren. Andererseits geht es auch nicht nur um eine Flasche, sondern um die Schatzsuche im Prospekt, der meist schon vor Beginn der Foire bereit liegt. Zwei Prospekte habe ich von den letzten Herbst-Foires mitgebracht, einen von Carrefour für ihre Märkte im Languedoc-Roussillon und einen von E. Leclerc für den Bereich Burgund-Franche Comté-Elsass. Ein paar empfehlenswerte Beispiele gefällig?
Im günstigen Segment gab es da Château Marjosse von Pierre Lurton, Jahrgang 2009 jeweils in Rot und in Weiß, für 6,90 €. 16 Punkte bei Bettane und Desseauve, 15,5 im Guide Vert. In eine ähnliche Kerbe schlägt Château Labadie 2008, Côtes du Bourg, also vom rechten Ufer, entsprechend saftig und vollmundig, 8,90 €, schon mehrfach gekauft. Weiter geht es zu den Crus Bourgeois des Médoc: Château d’Agassac 2008, 12,80 € oder Château Rollan de By 2008, 12,40 €, 16 Punkte RVF. Weiter oben wird die Luft auch nicht dünner: Château Malartic-Lagravière und die Domaine de Chevalier, beide Jahrgang 2006, für 28,90 € bzw. 32,90 €. 18 Punkte im Guide Vert übrigens, Chevalier wieder auf seinem Finessen-Höhepunkt. Und wer unbedingt will, kann sich auch Château Angelus 2007 für 115 € mitnehmen, aber da klinke ich mich aus. Mehr als 50 € gebe ich in aller Regel nicht für eine Flasche Wein aus, und wenn solche Weine wie Léoville-Barton (37,10 € in Perpignan) oder Pichon-Longueville Baron (49 € in Dunkerque) darunter sind, beschwere ich mich nicht.
Andere Herkünfte sind meiner Erfahrung nach in den Hypermarchés eher mit Vorsicht zu genießen. In der Regel handelt es sich da um sehr günstige Genossenschaftsware, weshalb ich Weine von der Rhône, aus dem Midi, von der Loire, aus dem Elsass oder abseitigeren Regionen entweder beim Winzer vor Ort oder beim Fachhändler kaufe. Die besseren Namen werdet Ihr nämlich im “Hyper” nicht finden können. Und wenn ein Wein nicht schmeckt, ist es nun mal egal, wie viel man dabei gespart hat.
Ihr wisst ja, dass ich normalerweise überhaupt kein Schnäppchen-Freak bin. Aber bei derartigen Preisdifferenzen, und vor allem ohne dass ich das Gefühl habe, einen echten Winzer zu unterstützen, bin ich halt auch mal borniert. Bei meinem letzten Besuch habe ich übrigens zu einer Alternative gegriffen. Einen festen, fleischigen Roten als Begleiter zu Cassoulet oder ähnlich herzhaften Gerichten gibt es im Südwesten nämlich auch in oft sehr charaktervollen Varianten. Zum Beispiel den Château Bouscassé 2007, einen Madiran für etwa 10 €, der sich angenehmerweise noch in der Fruchtphase befindet.
Nun aber zu Euch: Kauft Ihr viel Bordeaux, wenig Bordeaux? Und wo? Hat sich das in den letzten Jahren geändert? Bestellt Ihr bei Subskriptionen?
Riesling rules! 😉
P.S. geil, ein L-Barton für 37 Euro
Okay, fand ich auch übertrieben, zumal Anthony Barton ja wirklich alles andere als ein Preistreiber ist. Aber zum Beschweren hat’s dann doch nicht gelangt 😉
Bordeuax kaufe ich eher wenig. Wenn dann schlag ich auf Auktionen zu (Koppe z.B.) oder auch schon mal bei ebay. Französische Supermärkte sind mir auch immer willkommen und dort kaufe ich auch. Meinen Lieblingsbordeaux für alle Tage, den du Retout, kaufe ich vor Ort für einen lächerlichen Preis deutlich unter 10 Euro ein. Es gibt vor Ort immer noch ältere Jahrgänge zu kaufen und ab 48 Flaschen liefern die innerhalb Frankreich frei an jede Adresse – wie schön dass man Freunde in der Champagne hat, dann brauch ich nicht bis Bordeaux runter fahren….Subskribiert habe ich noch nie. Werd ich wohl auch nicht machen. Kaufe lieber ältere, schon antrinkbare Weine.
Grüße Jens
Retout? Hab ich noch nie gehört. Aber so ist das halt mit den Geheimtipps, sonst wären es ja keine 😉
Ältere Weine würde ich sicher auch gern kaufen, aber das kommt immer sehr auf die Lebensgeschichte der Flasche an. Bei zwei, drei an sich sehr renommierten Weinen bin ich da schon mal reingefallen, die waren wohl für längere Zeit irgendwo auf dem Dachboden. Das kann der Händler meist auch nicht wissen. Wenn das Weingut selbst allerdings noch ältere Flaschen anzubieten hat, dann ist das natürlich toll. Seit etwa Mitte der Neunziger bestocke ich meinen Keller, da wird’s dann so peu à peu auch bald wirklich trinkreife Bordeaux geben.
Hi Matze!
Weder bei ebay noch bei Koppe noch im französischen Supermarkt habe ich bis jetzt (Gott sei Dank) auch bei älteren Bordeaux’s Ausfälle erlebt. Wenn Du gezielt alte oder besser gesagt ältere Bordeaux sucht, so kann ich Dir mit zwei oder drei absolut seriösen Adressen aushelfen, die mich in Punkte Preis und Leistung bis jetzt noch nicht enttäuscht haben.
Du Retout gibt es in Deutschland unter anderem bei Heiner Lobenberg in der Sub so um die 13 Euro die Flasche. RG ist ein “Freund” des Chateau und zückt schon einmal die 18 Punkte. Das Chateau liegt geografisch sehr nahe an Margaux und die Weine weisen diese Stilistik auf. Die Weine vor 2005 sind eher als klassisch zu bezeichnen, 2005 ist halt 2005, mit dieser ganz eigenen Jahrgangsstilistik (hab’ ich nicht gekauft, oder besser noch nicht). Jüngere Jahrgänge kenn ich nicht, die kann man immer noch ex Chateau nachbestellen. Der 98er macht derzeit nach einer Stunde Luft extrem viel Spaß.
Grüße Jens
Naja, RG ist ja vor allem ein Freund hoher Punktzahlen. Aber warum auch nicht. Jedenfalls würde mich, wenn wir uns mal treffen sollten (können wir ja per Mail verabreden, ab nächster Woche habe ich auch wieder kontinuierlichen Internet-Zugang), Dein Château sehr interessieren. “Klassische Margaux-Stilistik” tönt (um es schweizerisch auszudrücken) jedenfalls sehr vielversprechend für mich…
Hallo Matthias,
das ist mal wieder ein sehr schön geschriebener Beitrag. Bei diesem flüssigen und klaren Stil (wo man zudem nicht ständig über falsche Zeichensetzung und orthographische Unzulänglichkeiten stolpert) macht das Lesen großen Spass. Da sollten sich die CC-Leute mal eine Scheibe abschneiden. Der Kauf im französischen Supermarkt ist ein prima Tipp. Für mich kommt es weniger in Frage, weil wir (ein schönes privates Gewölbe ist vorhanden) 1995 und 1996 per Suskription zu damals noch vernünftigen Preisen bestens versorgt haben. Von diesem Zeitpunkt an haben wir nur noch sehr gezielt zugekauft und schauen jetzt dem Treiben amüsiert zu. Die Wertsteigerungen ab 1995 waren teilweise beträchtlich, wir veräußern aber keinen einzigen Tropfen nach China :-), sondern erfreuen uns selbst an der immer schöner werdenden Reife.
Beste Grüße
Alfredo
Dankeschön für das Lob, ich geb mir alle erdenkliche Mühe 😉 Was den Gewölbekeller anbelangt, das hat bei mir ein wenig später angefangen. Deshalb gibt es jetzt – wenn es ein Bordeaux sein soll – erst einmal die Crus Bourgeois. Es ist übrigens ein bisschen so wie mit Büchern oder Musik: Im Laufe des bisherigen Lebens gab es immer wieder Phasen unterschiedlicher Vorlieben. Manche Dinge würde ich heute nicht mehr kaufen. Aber irgendwie sind solche Objekte ja auch Zeitzeugen, weniger in zeitgeschichtlicher als vielmehr in persönlicher Hinsicht. Deshalb habe ich bislang auch keine Flasche Wein verkauft. Und da sich meine “Sammlung” quantitativ noch in einem erträglichen Rahmen bewegt, wird das vermutlich auch so bleiben.
Mein Lieblingssupermarkt was Wein angeht ist der E.Leclerc in Merignac (also Peripherie von Bordeaux), bei den foires sehr gut bestückt, allerdings herrscht da eine Atmosphäre wie bei Woolworth im Sommerschlussverkauf. Grundsätzlich habe ich in Bordeaux festgestellt, dass man in den Supermärkten auf der rechten Seite (zB E.Leclerc in Libourne) wunderbar Weine von der linken Seite kaufen kann …… und umgekehrt.
Hallo Matthias,
das ist ja mal ein fast ananrchistischer Ansatz mit Bdx umzugehen. Gute Schreibe!
Ich finde diesen ganzen Subskriptions-Hype völlig überdeht und er ist mir viel zu stressig. Abgesehen habe ich gar nicht das nötige “Spielgeld”, um da mitzumischen. Habe ich also noch nie mitgemacht. Ich persönlich kaufe fast überhaupt keine Bdx. Aber so ein Hypermarché wäre ja mal la voyage wert.
Bis demnächst
Thomas
Es ist immer ein gewisses Risiko dabei, mit Pauschalaussagen zu argumentieren. An sich ist das gar nicht so mein Ding, denn im Einzelfall tut man Leuten damit unrecht. Trotzdem: Das, was in den Augen der allermeisten den Begriff “Bordeaux” ausmacht, ist nun mal gerade dieses Gehype, diese Spekulation, diese massiven Weinbehandlungen. Und das wollen, habe ich das Gefühl, immer weniger “echte” Weinfreunde mitmachen. Bordeaux wird auch auf Konsumentenseite immer unweiniger. Und solange ich noch keinen Weinhändler gefunden habe, der bewusst “alternatives” Bordeaux auf hohem Niveau anbietet (was es ja vielleicht auch noch gar nicht gibt), hole ich meine paar Fläschchen tatsächlich lieber zu Dumpingpreisen…