“Saudade” – das ist Weltschmerz auf Portugiesisch. Keine Verzweiflung, sondern bittersüß, ein Seufzer beim Blick auf die Weiten des Meeres. Interessanterweise haben die Portugiesen dieses Gefühl in all ihre ehemaligen Kolonien exportiert und von dort in modifizierter Form zurückerhalten. Die “Morna” von den Kapverden ist sozusagen das subtropische Pendant zum portugiesischen Fado, dem bekanntesten Sehnsuchtsgesang der Welt. Cesaria Evora hat diese Musik einem größeren Publikum nähergebracht, und genau wie es in Lissabon Fado-Restaurants gibt, gibt es auch ein Morna-Restaurant, die “Casa da Morna“.
Mitinhaber der “Casa da Morna” ist der Sänger und Gitarrist Tito Paris. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass es donnerstags bis samstags immer Livemusik im Restaurant gibt. Erst dachte ich, jemand, der schon eine große Anzahl an CDs herausgebracht hat und überall auf der Welt aufgetreten ist, wird wohl kaum selbst zum Mikro greifen. Aber von wegen.
Das Restaurant öffnet kurz vor 20 Uhr, und erstaunlicherweise waren schon ein paar Gästegruppen dort, als wir kamen. Ein Geburtstag wurde gefeiert, offenbar von einer in der Community bekannten Dame. Das Publikum ist eher gepflegt und etwas schicker, aber keinesfalls schnöselig. Bei bekannten Liedern wird schon einmal mitgesungen. Ansonsten ist die angenehme Atmosphäre auch davon geprägt, dass sich die afrikanische Szene einem europäischen Publikum geöffnet hat, ohne ihre Erdung zu verlieren. Es ist also gleichzeitig authentisch und offen.
Natürlich kommen die meisten Gäste in erster Linie der Musik wegen. Aber das Essen ist auch nicht zu verachten. Es gibt ein paar Klassiker der PALOP-Küche, was heißen soll der “países africanos de língua oficial portuguesa”. Eher portugiesisch angehaucht war noch die Vorspeise, Petiscos, also frittierte Teigtaschen, gefüllt allerdings mit einer pikanten Hackfleischmischung, dazu ein milder Thunfischdip.
Sechs bis sieben Hauptgerichte stehen zur Auswahl. Das kann auch ein gebratener Fisch sein nach portugiesischer Art für die mitgeschleppten Ehepartner, die glauben, mit afrikanischer Küche gar nichts anfangen zu können. Am beliebtesten sind natürlich die anderen Speisen. Zum Beispiel “Cachupa Refogada”, das kapverdianische Nationalgericht.
Lustigerweise hatte ich vorher in einem nahe gelegenen angolanischen Restaurant mittags schon einmal eine “normale” Cachupa gegessen. Ich war sehr verblüfft, als ein Gericht auf den Teller kam, das mich sehr stark an das portugiesische Cozido erinnerte. Also alles vom Schwein, dazu Kohl, Bohnen, Kartoffeln. Irgendwie ist die brasilianische Feijoada auch nicht weit davon entfernt, nur dass die charakteristischen schwarzen Bohnen verwendet werden statt der hellen. Die “Cachupa Refogada” hingegen ist noch einmal durchgebraten, also kein bisschen suppig, dafür mit Räucherwurst und Spiegelei.
Die zweite von uns gewählte Hauptspeise war angolanisches “Calulu”, auch ein Nationalgericht. Wer von Euch schon einmal in der Karibik und hier insbesondere in Jamaica oder Trinidad war, kennt vielleicht “Callaloo”, das – nun ja – dortige Nationalgericht. Es ist ein tropischer Eintopf, dessen Hauptzutat Blätter sind, entweder Amaranth oder Taro. Genauso ist es auch mit der angolanischen Version, von der man also fast vermuten kann, dass es sich um das uralte Grundrezept handelt: Fisch oder Huhn werden angebraten, dazu Zwiebeln, Knoblauch, jene Blätter, Kokosmilch und Chillies (oder vielmehr hier der “piment antillais”, Eline hilft bei der Bestimmung sicher gern weiter). In Europa gibt es die scharfe Sauce meist zum eigenhändigen Nachwürzen, und wer davon keinen Gebrauch macht, hat halt nicht die echte Version gegessen.
Schließlich kamen als Nachspeise kandierte Papayastreifen in Sirup mit einem salzig-würzigen Ziegenkäse, “Papaya com Queso à Cabra”. Obwohl das ziemlich unspektakulär aussah, schmeckte es doch wirklich herausfordernd in seinen weit voneinander entfernten Geschmacksnuancen.
Zwischenzeitlich hatte sich die Combo auf der kleinen Bühne eingefunden und losgelegt. Tatsächlich handelte es sich um Tito Paris, und seine Mitmusiker waren auch erstklassig, besonders der wunderbar skurrile Tastenmann Zé Afonso. Da es ja einen Geburtstag zu feiern gab, hatte sich in der Runde der Feiernden zufällig auch ein Gastsänger eingefunden, Leonel Almeida. Er brachte dann auch ein paar kubanische Standards und Ständchen zu Gehör, seine Spezialität.
Um ein Uhr frühnachts ist alles vorbei. Interessant gegessen, gute Musik gehört, gute Stimmung genossen. Für die älteren Paare ist jetzt der Heimweg angesagt, Taxis stehen vorm Restaurant, die Bus- und Bahnstation Calvário ist nur wenige Meter entfernt. Die jüngeren Leute sind allerdings erst so richtig warm geworden. In den Clubs der Straße macht sich der DJ bereit, die erste Runde Kuduro aufzulegen. Auch afrikanische Musik aus Angola und Lissabons Vorstädten, aber etwas heftiger als die gepflegten Mollklänge der Morna.
Restaurant Casa da Morna, Rua Rodrigues Faria 21, Lissabon-Alcântara, MO-SA 19:30-02:00 Uhr, Livemusik DO-SO ab 22 Uhr, Eintritt frei, Hauptgerichte um 15 €