Eine unerquickliche Sache: Weinblogger kämpfen gegen Weinblogger, drohen mit juristischen Schritten, die gewöhnlichen Weinkonsumenten verstehen nur Bahnhof. Und warum? Weil gewisse Verfahren und Mittel zwar erlaubt sind, später aber nicht deklariert werden müssen. Ehrlich gesagt ist mir die ganze Diskussion zu sehr geprägt von Schwarz-Weiß-Positionen und Wahrheitsansprüchen. Ich habe mir deshalb überlegt, mal durchzuspielen, was idealtypisch passieren könnte, wenn Wein tatsächlich ein Lebensmittel sein würde, was er bislang ja nicht ist. Da mir das aber zu kompliziert für einen einzelnen Beitrag erscheint, gibt es die ganze Sache in mehreren Folgen. Heute erst einmal die Hinführung.
Was war passiert? Vor ein paar Tagen las ich wieder einmal den Blog von Dirk Würtz und war bass erstaunt. 81 Kommentare bei einem einzigen Artikel. Es hatte sich offenbar eine teils etwas wüste Diskussion entsponnen. Anlass dafür war ein Beitrag eines Redakteurs auf Captain Cork in der Rubrik „Weinwissen“ (mit 85 Kommentaren), in dem nach Dirks Meinung polemisch und verunsichernd über das Thema „Gummi Arabicum“ geschrieben wurde. Da Captain Cork so etwas wie die Bildzeitung der Weinblogger ist, würden seine Leser durch diese suggestive Art der Aufklärung eher aus dem Wein an sich gedrängt, als dass sie sich ernsthaft mit dem Für und Wider auseinander setzen würden. Der Streit entspann sich dann auch nicht zwischen Dirk und dem Captain, denn Dirk ist nicht bekannt dafür, unqualifiziertes Zeug von sich zu geben. Mit zwei bedeutenden Hamburger Bloggern und Weinjournalisten hatte sich der Captain allerdings derartig in die Wolle gekriegt, dass Zivilklagen im Raum standen. Kindergarten oder gewollte Publicity, ganz wie man will. Mittlerweile hat der Captain mit Hilfe eines anonymen Winzers nachgelegt.
Die Winzerschaft scheint ein wenig in Aufruhr. Mir hat nämlich auch ein anonymer Winzer geschrieben (ohne dass ich auf irgendeine Weise meinen reinen Liebhaber-Blog als ähnlich einflussreich wie diejenigen der Granden verstanden wissen möchte). Dieser Winzer schreibt, das entscheidende Kriterium sei in der Tat, ob man Wein als Lebens- oder als Genussmittel ansehen würde. Daraus würden sich nämlich bereits ideelle Konsequenzen ergeben.
Derzeit ist Wein rechtlich gesehen ein Genussmittel, keine Frage, deshalb ein eigenes Weinrecht, eine verminderte Kennzeichnungspflicht, eine höhere Besteuerung. Die ideelle Frage scheint aber nicht allgemeingültig geklärt. Bei einem Savennières von Nicolas Joly oder einem Mittelheim St. Nikolaus von Peter Jakob Kühn ist das relativ einfach: Hier ist von der Idee über die Umsetzung, die ganz bestimmten Philosophien folgt, bis zum Konsum allen Beteiligten klar, dass es sich um ein Genussmittel handelt.
In den meisten Betrieben, so der Winzer, und er schließt seinen eigenen mit ein, würden jedoch von der Konzeption her Lebensmittel hergestellt werden. Das bedeutet nicht, dass man die nicht genießen kann. Aber Idee und Umsetzung seien grundsätzlich anders als im ersten Fall. “In der Landwirtschaft regt sich kein Mensch über die Benutzung eines Mähdreschers auf. Warum auch?” Maschinelle Verarbeitung ist bei Lebensmitteln an der Tagesordnung, wir sind ja zum Glück nicht mehr im Mittelalter. “Wer im Weinbau, ein entsprechendes Bewusstsein vorausgesetzt, dann den Vollernter einsetzt, ist damit nur konsequent.”
Sieht so aus, als hätten wir es hier mit zwei deutlich unterschiedlichen Herangehensweisen zu tun, die aber unter demselben rechtlichen Dach laufen. Könnte schwierig werden. Zugegeben, wir sind damit noch ein ganzes Stück von der “additiven Önologie” entfernt, die in den anderen Blogs thematisiert wird. Aber ich nähere mich der Sache langsam. In Folge 2.
I’ll stay tuned – hochgespannt. Nicht zuletzt auch, weil Du mir durch die Arbeit, die du dir damit machst, die bequeme Möglichkeit eröffnest, zu diesem Thema einfach nur hierüber zu linken.
Uff uff, schaun mer mal, worauf das hinausläuft… Als ich gestern meine ersten ungeordneten Gedanken präsentiert habe, hat’s hier niemand nachvollziehen können. Überragende didaktische Fähigkeiten, wie mir scheint 😉 Ich habe mir dann überlegt, das lieber häppchenweise zu machen. Wenn man zwischendrin noch mal die Chance hat, darüber zu reflektieren, vermeidet man zumindest die krudesten Argumente. Finde ich.
Sollte ich das Gefühl haben, substantielle Gedanken beitragen zu können, werde ich dem hier oder in späteren Folgen in den Kommentaren nachgeben.
Ein Gedanke oder besser eine eher “gefühlte” denn durch solides Wissen untermauerte Überzeugung zur Trennung von Lebens- und Genußmittel: Ich denke beim Weim ist diese auch nur ein jüngeres Symptom einer deutlich älteren Ursache. Nämlich letztlich eine Folge der göttlichen Überhöhung des Rauschmittels Wein (das machen ja viele Kulturen mit ihren Bewußtseinsveränderern) in unserem Kulturkreis. Wein ist in diesem Sinne eben ein “ganz besonderes” Ding, das folgerichtig mit dem Recht normaler Lebensmittel auch nicht zu fassen war. Die mythische Überhöhung (“Blut Christi!”) wirkt in der Rezeption der Herstellung bis heute nach – das ist IMHO der ursprüngliche Grund für die teils extremen Vorstellungen von Reinheit, die an dieses Genußmittel herangetragen werden.
Sehr interessanter Gedanke!
Ich hatte das mit dem “Genussmittel” eher etwas profan-weltlicher gesehen: Kaffee und Tabak beispielsweise als (leichte) Rauschmittel, ja, aber in erster Linie sozialpsychologisch betrachtet. Also in dem Sinne, dass es “ungebührlich” erscheint oder gar verboten, größere Mengen zu sich zu nehmen. Die Gesundheit spielt hier wahrscheinlich nur die zweite Geige. Vielmehr können aufgeteuerte Genussmittel, die noch dazu rationiert werden, dazu dienen, gesellschaftliche Schranken zu manifestieren. Die einen können es sich finanziell nicht leisten (sollen es sich nicht leisten können), die anderen haben, da sie es können, umso mehr das Gefühl, privilegiert zu sein. Die in der Vergangenheit viel beschworene “Volksgesundheit”, die durch Genussmittel gefährdet wäre, ist dann auch eher als Furcht vor geringerer Produktivität der Arbeitenden zu verstehen denn als echte Sorge.
Aber der religiöse Ansatz gefällt mir auch, denn Moral wird ja in beiden Bereichen ganz groß geschrieben. Fragt sich nur, wie das Bier mit seinem (von vielen heute noch geglaubten) “Reinheitsgebot” die Jahrhunderte so denkbar unchristlich überdauern konnte 😉
So, jetzt geht’s erst mal nach Kanlıca und seinem einst blutroten Joghurt. Komme mir schon vor wie in Kalabrien, überall Wunder.
Sehr gut und schlüssig geschrieben. Hätte ich gerne als Gastkommentar auf der “BILD-Zeitung des Weins”..
Danke für die Blumen, Captain. Das können wir gern machen mit dem Gastkommentar. Heute komme ich auch endlich zu Teil 2. Mal schauen, ob’s so schlüssig bleibt…
Viele Grüße, Matze