Was wäre Istanbul ohne den Bosporus? Eine historisch bedeutende, interessante und lebendige Stadt. Und was ist Istanbul mit dem Bosporus? Die schönste Stadt der Welt. Das musste einmal gesagt werden, auch wenn ich sicher nicht der erste bin, der das tut. Irgendwie scheine ich Gefallen an dem Format des „Fortsetzungsromans“ gefunden zu haben, denn die Beziehung zwischen Istanbul, dem Bosporus und dem darin lebenden Fisch ist derart vielschichtig, dass ein einzelner Blogeintrag das nur dürftig anreißen könnte. Hier soll es also um die Meeresenge zwischen Europa und Asien gehen, um die Fischmärkte von Istanbul, die dort angebotenen Fische, um das, was kulinarisch dabei herauskommt und um die Orte, an denen man in Istanbul am besten Fisch essen kann. Für alle, die den Bosporus nicht kennen, hier mein kleines Filmchen vom Dienstag (nur 29 Sekunden lang):
Was es an Allgemeinplätzen über den Bosporus zu sagen gibt, findet man bei Wikipedia oder in jedem Türkei-Reiseführer. Nichts also, womit ich Euch, verehrte Lesende, an dieser Stelle langweilen möchte. Denn hier soll es um Fisch gehen. Für die Fischwelt ist der Bosporus wahrscheinlich sogar wesentlich bedeutender als für die Menschen. Will ein Mensch von Europa nach Asien, gibt es das Flugzeug, die beiden Bosporusbrücken oder die Fähren. Als Fisch stehen einem hingegen relativ wenige Verkehrsmittel zur Verfügung. Allen Unkenrufen zum Trotz ist der Bosporus immer noch ungemein fischreich, und das liegt nicht in erster Linie an den “Residenten”, sondern an den “Migranten”. Warum aber sollten Fische die Neigung verspüren, vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer zu schwimmen und umgekehrt?
Um das zu klären, muss man erst einmal betrachten, was diese beiden Meere eigentlich voneinander unterscheidet. Das Mittelmeer verliert durch Verdunstung ständig Wasser, seine Zuflüsse können dies nicht ausgleichen. Dafür kann es Nettowassergewinne sowohl mit dem Atlantik als auch mit dem Schwarzen Meer aufweisen. Durch den Bosporus fließt immer wesentlich mehr Wasser in Richtung Süden zum Mittelmeer als in Richtung Norden. Interessanterweise ist der stärkste Strom an der Oberfläche zu spüren, so dass Boote weit abtreiben können. In Ufernähe und in größerer Tiefe hingegen strömt das Wasser nach Norden (wenn auch meist nicht weit ins Schwarze Meer hinein). Dadurch ergibt sich die kuriose Situation, dass ein Fischerboot, das Netze ausgeworfen hat, in Richtung Marmarameer treibt, seine Netze jedoch in Richtung Schwarzes Meer.
In das Schwarze Meer münden von West nach Ost mit der Donau, dem Dnjestr, dem Dnjepr und dem Don vier der wasserreichsten europäischen Flüsse. Das hat drei Effekte: Das Meereswasser wird besonders im Mündungsbereich nährstoffreicher, der Salzgehalt nimmt ab, und das Meer wird immer voller. Besonders stark wirkt sich dies im Spätwinter zur Zeit der Schneeschmelze aus, wenn die Flüsse ihren höchsten Wasserstand führen. Zusätzlich unterliegt die Wassertemperatur des Schwarzen Meeres durch die kontinentale Lage, abgeschottet von den Weltmeeren, besonders starken Schwankungen. Derzeit liegen die Oberflächentemperaturen in Odessa bei 2 Grad, eine Kälte, die im Mittelmeer logischerweise nie erreicht wird.
Das bedeutet (alle Meeresbiologen mal weghören), dass ein Fisch eigentlich lieber im oberflächlich nährstoffreicheren Schwarzen Meer wäre, die Temperaturschwankungen und die Salzarmut ihm aber ziemlich zusetzen. Gegen die Salzarmut ist kaum ein Kraut gewachsen, weshalb es im Schwarzen Meer etwa 120 verschiedene Fischsorten gibt, die so etwas tolerieren können, im Mittelmeer mit seinem höheren Salzgehalt jedoch etwa 400 Fischsorten. Gegen die Kälte hilft jedoch Flucht.
Vor einem halben Jahrhundert, wenn man einschlägigen Quellen glauben darf, begannen die großen Fischwanderungen im November, wenn die Wassertemperaturen im Schwarzen Meer empfindlich kühler wurden. Ein britischer Fischexperte namens Hugh Whittall machte Zeit seines langen Lebens in Istanbul Aufzeichnungen über die Fischzüge. Und so konnte er feststellen, dass zwischen den Jahren 1930 und 1970 die Kälte später und später das Schwarze Meer erreichte. Die Fische reagierten darauf und kamen jetzt erst im Januar in großer Zahl durch den Bosporus geschwommen.
Ob dies in diesem Jahr auch so war, vermag ich nicht zu sagen. Wenn man die Vielfalt der Fische auf den verschiedenen Fischmärkten betrachtet und die leichten Fänge, die die Angler auf der Galata-Brücke machen, scheint jetzt im Moment gerade die beste Zeit zu sein. Das gilt aber nicht für alle Fische. Der Palamut (Bonito) ist beispielsweise derzeit selten, ich habe ihn heute essen wollen und bin fast überall gescheitert. Der legendäre Lüfer (Blaufisch) ist sogar überhaupt nicht zu haben. Mit dem Lüfer verbindet die Istanbuler ohnehin eine innige Beziehung, denn von der Jugend bis zum Alter gibt es für diesen Fisch nicht weniger als fünf ganz unterschiedliche Bezeichnungen.
Zu dem, was es derzeit auf den Fischmärkten von Istanbul zu kaufen gibt, wie die Fische im Bild aussehen und was es mit den Anglern auf der Galata-Brücke auf sich hat, komme ich im zweiten Teil dieser fischigen Serie.