Entfernungen sind ja heutzutage nicht mehr das große Thema. Morgens in den Flieger nach London, eine Orange Marmalade bei Fortnum & Mason abstauben, abends wieder zurück. Noch nicht ganz so gebräuchlich ist es hingegen, einen Tagesausflug an die Ufer des Euphrat zu machen. Von hier aus allerdings kein Problem: Man geht zur Straßenbahnstation in Karaköy, kauft sich am Automaten ein Jeton zu 1,75 TL, steigt in die Bahn in Richtung Zeytinburnu und an der Station Aksaray wieder aus. Ein paar Meter weiter, am Eingang zur Metro, befindet sich das Restaurant “Urfalı Hacı Usta”. Angekommen.
Eigentlich war ich ja auf der Suche nach dem russischen und dem iranischen Istanbul, denn die einfachen Hotels von Laleli und Aksaray gehörten zu den bevorzugten Absteigeorten von Textilhändlern und Elektronikeinkäufern in der Markt-öffnungsphase der 1990er Jahre. Deshalb, so dachte ich mir, könnte sich seitdem eine bestimmte Community gebildet haben, die sich auch kulinarisch äußert. Ist aber nur in Ansätzen so. Internetcafés oder Schmuckgeschäfte mit russischsprachigen Auslagen gibt es zuhauf, von einer “Blini-Bar Matrjoschka” oder Ähnlichem hingegen keine Spur.
Stattdessen aber das “Kebab- und Leberrestaurant von Meister Hacı aus Urfa”. Benachbart übrigens das “Leberland”, ein weiteres einschlägiges Etablissement. Was ich nicht wusste bei meinem spontanen Eintritt: Dieses Restaurant ist berühmt und unter Eingeweihten als “UHU” bekannt. Die Wände sind von oben bis unten mit Fotos von Familien, Paaren und Prominenten zugepflastert, die hier schon gespeist haben. Alle wichtigen türkischen Zeitungen haben darüber berichtet, der einzig vernünftige Istanbuler Food Guide im Internet hat es gefeatured, und eine Website besitzen sie auch. Die macht sogar besonders viel Spaß, aber falls Ihr gern am Arbeitsplatz surft, solltet Ihr besser den Ton etwas leiser drehen.
Urfa, um das mit der syrischen Grenze noch abzuhaken, ist eine südtürkische Stadt mit enorm reicher Geschichte und kulinarischen Besonderheiten, etwa 45 Kilometer von selbiger Grenze entfernt. Die Küche von Urfa ist selbstverständlich fleischlastig, gern pikant gewürzt, die berühmten Pistazien von Antep sind auch nie weit. Auf der Karte des Restaurants muss man nur die Art des Spießes wählen, alles andere folgt automatisch. Ich entschied mich für “Soğanlı Kebabı”, Lammhackbällchen mit gegrillten Zwiebeln – alles über Holzkohle, versteht sich.
Als Starter wird im Handumdrehen “İçli Köftesi” gereicht, den es auch mancherorts in türkischen Restaurants in Deutschland gibt, achtet einmal darauf. Es handelt sich um eine knapp faustgroße “Frikadelle”, gefüllt mit würzigem Lammhack und Zwiebel, außen mit einer Schicht aus Bulgur abgedichtet. In Erwartung eines Fleischspießes war ich überrascht, als erst einmal eine ganze Reihe kleiner Tellerchen und Schälchen aufgetragen wurden. Da gab es eingelegten Rotkohl, gegrillte Zwiebelringe, frische Petersilie, einen Gurken-Tomaten-Salat, scharf gewürztes Auberginenpüree, einen fruchtigen Granatapfelsud und – last but not least – veritable Çiğ Köfte mit Salat, nur echt mit dem dazu gehörigen Daumenabdruck. Als schließlich die Platte mit Fleisch, Zwiebeln, Reis und Brot (Lavaş) folgte, war mir ziemlich klar, dass dies die einzige Mahlzeit heute bleiben würde.
Der wahre Urfist übrigens packt alle Bestandteile auf einen Brotfladen, rollt das Ganze zu einem gigantischen Dürüm und verspeist davon nicht nur einen, sondern so viele, bis die Bestandteile in den Schälchen zur Neige gehen. Als Getränk eignet sich am besten vom Meister persönlich gerührter Ayran. Wenn man gerade so gut dabei ist, sollte man auch auf das Dessert nicht verzichten. In diesem Fall Künefe. Das ist eine warme Nachspeise, bestehend aus gebackenem salzarmem Schafskäse (Dil Peyniri, schmeckt ein bisschen wie Mozzarella), darüber frittierte Nudeln, geraspelte Pistazien und alles in Sirup getaucht. Sehr gut, sehr kalorienreich. Wasser zum Erfrischen gibt es gratis dazu, zum Abschluss noch der obligatorische Tee. So, jetzt bin ich so lang wie breit und für die noch folgende kilometerlange Wanderung durch Fatih, Fener, Eminönü und wieder zurück nach Beyoğlu bestens gerüstet. Nach Urfa zu Meister Hacı komme ich gern wieder.
Restaurant “Urfalı Hacı Usta”, Simitçi Şakir Sokak 18, Aksaray – Istanbul.
Öffnungszeiten: Eigentlich immer, man kann aber vorsichtshalber auf der Live-Webcam (!) nachschauen. Preise: Für 25 € für zwei Personen bleibt man zehn Stunden lang satt.
Schauen Sie mal – hab ich heute bei Tagesschau.de gefunden.
Der Autor sind ja hoffentlich nicht Sie!!!
http://www.tagesschau.de/videoblog/orient_express/orientexpress132.html
…ach und da fällt mir ein: Bei einem Türkeibesuch vor einem Jahr hatte ich mir eine Flasche Wein von “Turasan” gekauft. Der war teuer, aber dafür sehr lecker.
Viele Grüße aus der Pfalz,
Felix W.
Hallo Felix
und vielen Dank für den Link! Ich bin selbstverständlich nicht der Autor, denn ich schaue viel zufriedener aus bei solchen Speisen. Den Touristen steht ja die Angst vor dem “gruseligen” Essen auf die Stirn geschrieben. Die Führerin scheint aber wirklich nett zu sein, ich bin schon öfter an ihrem Istanbul Culinary Institute vorbeigekommen. Vielleicht schaue ich auch einmal dort rein.
Turasan kannte ich auch von meinem letzten Türkeibesuch, und zwar (ich musste kurz nachschauen) ein Weißer aus Emir & Narince und ein Roter aus Öküzgözü. So teuer waren die gar nicht, zwischen 9 und 12 €. Der Weiße hat mich an trockenen ungarischen Furmint erinnert, der Rote besaß eine feine und ausgewogene Beerenfrucht. Ja, das wäre doch mal einen Nachtest wert…
Viele Grüße in die Pfalz, Matze