Der Winzer des Jahres 2011: Thierry Germain

In der jetzt erscheinenden Februar-Ausgabe der RVF sind in allerlei Kategorien die “Menschen des Jahres 2011” gekürt worden. Wieso 2011? Keine Ahnung, es heißt halt so, obwohl sich die wettbewerbsgemäßen Leistungen auf das Jahr 2010 beziehen. Winzer des Jahres 2011 (ähm, ja) wurde Thierry Germain von der Domaine des Roches Neuves. Da ich Thierry besucht hatte, als er noch nicht Winzer des Jahres war, hier ein paar Eindrücke:

Natürlich hatte ich vergessen vorher anzurufen, was keine Glanztat ist. Aber es fing auch damit an, dass ich nicht Thierry, sondern seinen Bruder Philippe in einem örtlichen Supermarkt bei einer seltsamen Beschäftigung angetroffen hatte. Er hatte nämlich dort einen kleinen Tisch vor dem Weinregal aufgebaut und versuchte, vorbeischlendernden Kunden seinen Wein zum Probieren anzubieten. Natürlich wusste ich nicht, dass er es war, der gestandene Winzer des Château de la Roulerie. Nach ein paar einleitenden Worten (und zwei verkosteten Weinen) breitete mir Philippe allerdings die Familienhistorie aus.

Es begann damit, dass die Germains seit Generationen anerkannte und nicht gerade unbegüterte Winzer im Bordelais waren. Thierry, der ältere Bruder, entschloss sich jedoch sehr früh, dem Bordeauxgebiet den Rücken zu kehren. Im Jahr 1992 kam er in Saumur an, kaufte sich Land und begann mit dem Weinbau. Zunächst setzte er auf die damals moderne Linie, vollfruchtige, eher fette Weine mit viel neuem Holz. Nach einiger Zeit – und vor allem im permanenten Austausch mit seinen Parzellennachbarn, den Brüdern Foucault, schwenkte er aber um. Sein Vater Bernard hatte sich bis dahin schon den etwas strauchelnden Giganten Château de Fesles unter den Nagel gerissen, das für edelsüßen Bonnezeaux bekannt war. Und schließlich kam auch Philippe an der Loire an, eine knappe Fahrtstunde weiter flussabwärts in den Coteaux du Layon. Verbindungen ins Bordelais pflegen sie natürlich immer noch, aber leben wollen sie dort nicht mehr. Philippe meinte dann, wir könnten ruhig bei Thierry vorbeifahren, es sei jetzt ohnehin meist auf dem Hof.

Gesagt, getan. Thierry war also trotz fehlender Anmeldung vor Ort darüber gar nicht ungehalten, denn es hatte sich noch ein wichtiger Kunde für später angekündigt. Jetzt konnte ich also den Rest der Geschichte erfahren. Thierry wollte schon immer näher an der Natur arbeiten, und seine Weine kamen ihm auch irgendwie zu klotzig vor. Die Brüder Foucault brachten ihn mit der biodynamischen Wirtschaftsweise in Berührung, und auch wenn er “das Spirituelle dabei nicht wirklich versteht”, schien es seinen Reben und seinem Wein gut zu tun. Vor allem der Rotwein wurde strukturierter, finessenreicher, trinkiger, und die französischen Weinjournalisten belohnten ihn seit dem Jahr 2006 mit immer höheren Punktebewertungen. Übertrieben natürlich, 19 Punkte für die 2009er Cuvée “Marginale” (100% Cabernet Franc) im Bettane & Desseauve, aber welcher Winzer beschwert sich schon groß darüber.

Vielleicht ist Thierry selbst auch nicht ganz unschuldig daran. Was er nämlich aus seinem früheren großbürgerlichen Leben mitgebracht hat, ist ein gewisser Stil. Das Hemd aufgeknöpft wie ein smarter Lebemann, darunter eine blitzende Kette, der Bart schick gestutzt, die Uhr sicher nicht vom Grabbeltisch, rhetorisch sehr gewandt. Thierry Germain wirkt wie ein Wiener Unternehmensberater, der mit Bestnote den Frauenversteher-Kurs abgeschlossen hat. Mit anderen Worten: Er hat’s einfach drauf. Trotzdem wirkt nichts dabei künstlich. Er weiß, was er tut und warum er es tut. Und dass er neben den Reben beiläufig noch mal seine kleine Oldtimer-Sammlung in der Scheune zeigt, gehört einfach dazu.

Jetzt aber zu den Weinen: Thierry bereitet nur einen einzigen Weißwein aus 100% Chenin blanc, den Saumur “L’Insolite”. Der hat es dafür gleich in sich: 75 Jahre alte Reben, dennoch frisch und knackig, bei aller Substanz. Vier Rotweine werden mittlerweile angeboten, der jüngste, “Franc de Pied” (= wurzelecht), war bei meinem Besuch allerdings noch nicht soweit. Die anderen sind die “Domaine” (mit 7 € ab Hof der günstigste), die “Terres Chaudes” und der Spitzenwein “La Marginale” (mit 19 € ab Hof der teuerste). Der Kleinste und der Größte haben mir dann auch am besten gefallen. Der kleine Domainenwein wird im Stahltank und im großen Holzfass ausgebaut, geht voll in Richtung frische, aber reife Frucht und ist jung schon sehr gut zu genießen. Bei “La Marginale” sehen die Eckdaten dagegen folgendermaßen aus: 25 hl/ha Ertrag (ja, liebe Turbowinzer), biodynamisch zertifizierter Anbau, 28 Tage Mazeration, schließlich für anderthalb bis zwei Jahre ins Barrique, wobei Thierry, wie er sagt, mittlerweile höllisch aufpasst, dass der mineralisch-frische Charakter nicht verlorengeht. Experiment gelungen, würde ich sagen, der Wein ist cremig, rund und voll im Angang, aber mit einem frischen und präzisen Finale à la Loire. Zusammen mit einem befreundeten Winzerkollegen bringt Thierry noch den Schaumwein “Bulles de Roche” heraus, der natürlich kein wirklicher Champagner sein will, aber komischerweise genau das fast erreicht: frisch, mineralisch, hefig und cremig mit gesunder Säure. Die Distribution ist übrigens auch ziemlich schlau. Thierry setzt auf viele Händler mit jeweils wenigen Flaschen statt auf (äh, ja) wenige Händler mit vielen. Deshalb sind seine Weine in kleinen Quantitäten relativ gut zu finden.

Mein Fazit: Thierry wirkt erst einmal nicht so wie der typische Loire-Winzer, der einen mit Kittel und schmutzigen Händen begrüßt. Aber er macht sehr viel richtig, und seine Weine sprechen für ihn. Eine gute Wahl. Vor allem für diejenigen zu empfehlen, denen Rotweine von der Loire bislang zu sauer und zu krautig waren. Wenn Ihr hinfahrt, ruft aber doch besser vorher an oder mailt ihm (Adresse auf der Website). Unnötig zu erwähnen, dass Thierry auch ausgezeichnet Englisch spricht.

P.S. Die Weine von Thierry Germain gibt es in Deutschland bei Bernd Kreis. Wenn das kein Grund ist, sich mal wieder ein feines Päckchen in Stuttgart schnüren zu lassen…

Dieser Beitrag wurde unter Unterwegs, Wein abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Der Winzer des Jahres 2011: Thierry Germain

  1. Christoph sagt:

    Kauft nur beim Bernd Kreis, aber bei mir gibt es die übrigens auch, falls er ausverkauft sein sollte ;-). Auf den l’Insolite schwöre ich seit Jahren. Terre Chaudes und Marginale gefallen mir ebenfalls sehr gut. Der Crémant ist mit seiner knackigen, durchaus säurebetonten Art vielleicht nicht jedermanns Sache aber für mich auf jeden Fall ein charaktervolles Highlight der dortigen Crémant-Szene.
    Zur Menge, die die Händler erhalten: Ich war letztes Jahr überrascht als ich in Brüssel durch einen Delhaize-Supermarkt schlenderte und dort drei Weine von ihm angeboten wurden…

    • chezmatze sagt:

      Oh Christoph,

      das tut mir wirklich leid, das hatte ich jetzt übersehen. Ich habe nämlich nur die Google-Suchfunktion eingestellt und einfach den ersten dort auftauchenden Weinhändler genannt. Das mit Delhaize hat mich auch gewundert, aber der führt ja schon seit langer Zeit die Weine von Fesles und seit neuestem die Weine von La Roulerie. Family Business, würde ich sagen 😉 Nein, ich kann mich daran erinnern, dass der Delhaize auch relativ lange die Biere von Cantillon im Angebot hatte (jetzt auf Lindemans Cuvée René umgeschwenkt), die wirklich nur minimale Mengen produzieren. Da scheint ein sehr aufmerksamer Einkäufer am Werk zu sein.

      Viele Grüße, Matze

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.