Hódmezővásárhely. Diesen Namen kenne ich schon seit vielen Jahren. In der Grundschule habe ich nämlich im Atlas den längsten und merkwürdigsten Ortsnamen gesucht. Und da es sich nicht um einen besonders detaillierten Atlas handelte, gehörte jene ungarische Stadt zu meinen Gewinnern. Ein bisschen ähnlich geht es uns allen doch auch beim ungarischen Wein. Lange Namen, wenig Ahnung. Ich hatte jedenfalls vor der heutigen Weinprobe noch nie etwas von den in der Überschrift genannten Weinen gehört.
Die Probe fand übrigens im “Avant-Goût Côté Cellier” statt, einem Geschäft in der Pariser Rue Bobillot, bei dem entsprechend dem heutigen Motto die Anzahl der Quadratmeter diametral entgegengesetzt zur Länge des Namens ist.
Der erste Wein, ein Chardonnay 2009 aus Balatonboglár, also vom Plattensee, kostet hier 7,40 €. Er stammt von Daniel und János Konyári, dem ungeheuer sympathischen Vater-Sohn-Gespann, wie unser Gastgeber, der französische Importeur, zu berichten weiß. Der Wein selbst präsentiert sich sehr aromenstark, pfirsichlastig, reinzuchtig. Nicht mein Cup of Tea, aber für Fruchtfreunde sicher geeignet.
Der zweite Wein repräsentiert die ungarische Rebsorte schlechthin. Nein, nicht Kadarka, ich spreche von Furmint, der großen Tokajer-Traube. Leider weiß ich nicht genau, ob ich die Ausführungen richtig verstanden habe. Kann es sein, dass “Szentkereszt Dűlő” die Anbauzone oder Gemarkung ist und das Weingut Puklus heißt? Sollte dem so sein, baut jener Herr Puklus seinen Furmint in diesem Fall trocken aus, aber Aromen stecken noch genug darin. Wieder extrem viel Pfirsich und Nektarine, lecker saftig und mit wenig mineralischer Tiefe, 9,50 € kostet der (echte) Spaß aus dem Jahrgang 2009.
Der dritte Wein kommt wieder von den Konyáris und heißt “Loliense”. Es handelt sich um eine Cuvée aus Sauvignon blanc, Chardonnay und Olaszriesling, sprich Welschriesling. Aus dem Jahrgang 2009 stammend, kostet er 11,90 €. Auch hier, ich wiederhole mich ungern, aber es ist nun mal so, erscheinen alle Zeichen einer jungen und modernen Weinbereitung: viel Saft, viel Frucht, wenig Anspruch. Das sind für mich alles Weine im Neuwelt-Stil, der ja in vielen Ländern sehr beliebt ist. Ich hatte in England einen neuseeländischen Pinot Gris im Glas, der dort unheimlich hoch bewertet wurde und viele Publikumspreise abgesahnt hat. In genau dieser Liga spielen die vorgestellten ungarischen Weißweine. Nicht übel, nur halt überhaupt nicht mein Geschmack. Ich frage mich, wo denn die Charakterweine bleiben, wie ich sie aus dem slowenischen Karst zum Beispiel von Simcic oder Klinec schon getrunken habe. Okay, völlig andere Bedingungen, aber bei der Qualität der autochthonen ungarischen Rebsorten, den klimatischen Bedingungen und der alten Reputation – da müsste doch etwas mehr drin sein.
So ist es auch, und zwar beim vierten Wein, dem Szürkebarát von Bujdosó aus dem Jahrgang 2007. 100% Grauburgunder gibt es zum Preis von 13,30 €. In der Nase wirkt der Wein nicht nur fruchtig, sondern sogar ausgesprochen süß, man erwartet eine Graumönch-Spätlese wie zu Tante Ediths Zeiten. Am Gaumen kommen jedoch nach den ersten fruchtigen Anklängen (Melone) noch trocken-bittere Noten, die ziemlich schnell das Kommando übernehmen. Die Mineralität bleibt dezent im Hintergrund, ist aber trotzdem da. Keine Frage, der interessanteste Wein bislang, ich kaufe ihn. Der Importeur weist allerdings noch darauf hin, dass das der mit Abstand beste Jahrgang dieses Weins gewesen sei… Beim Abendessen wird er jedenfalls zum Comté-Käse gereicht und gibt dazu eine sehr gute Figur ab, genauso passend wie ein Traminer aus dem Jura, schön.
A propos Traminer, jenen gibt es als fünften Wein zum Abschluss, und zwar den “Aranyhíd” von Bujdosó, Jahrgang 2007, für 20,10 €. Es handelt sich um eine süße Spätlese mit 11%vol. In der Nase gebärdet sich der Traminer so, wie man es erwarten kann: bitterrosig und exotisch. Am Gaumen läuft das Zeug einfach so runter, ein absolut überwältigender Geschmack nach Quittenschnitten, keinerlei Säure spürbar. Ich weiß, dass es sich undankbar anhört, aber das ist ein Wein, der auch Nicht-Weintrinkern gefällt. Ein wirklich sehr junges Paar vor mir kaufte gleich zwei Flaschen, und das ist sehr viel für ein Lehrlingsgehalt. Okay, das geht auch nur in Frankreich. Ich wage zu behaupten, dass ein deutscher Lehrling sein Geld nur sehr selten für zwei hochwertige Flaschen Wein ausgeben würde.
Mein Fazit dieser Weinprobe: Ich glaube, das geht ein bisschen in die falsche Richtung. Ungarn ist wahrscheinlich auf Dauer kein Land mit niedrigen Löhnen und Massenproduktion, da sind fruchtige und herkunftsmäßig ziemlich austauschbare Weine nichts, worauf sich aufbauen ließe. Wie schon gesagt, ein stärkeres Vertrauen in Charakter und (vielleicht ein wenig verschüttete) Traditionen, dann würden mir nicht nur die Weine besser gefallen, sondern dann könnte Ungarn auch abseits des Tokajers einen eigenständigen Platz auf der Landkarte der großen Weinbaunationen einnehmen.