Das Pub ist das Wohnzimmer des englischen Mannes. So heißt es, und so stimmt es im Allgemeinen immer noch. Gut, es gibt Ausnahmen: Männer, die nicht ins Pub gehen; Frauen, die ins Pub gehen; Pubs, die kein Wohnzimmer sind; Wohnzimmer, die besser nicht als Vorbild für irgendetwas herangezogen werden sollten. Wer solchen wirren Gedanken nachhängt, sollte am besten lieber noch ein Pint an der Theke bestellen. Oder das Pub wechseln. Drei “Real Ale”-Pubs, gelistet im Good Beer Guide, habe ich in diesem Sinne aufgesucht. Ein Testbericht.
Pub Nr. 1, das “Criterion” in Weston-super-Mare: Es ist 17 Uhr an einem Werktag, die Arbeit ist getan, das Pub voll. Etwa 15 Männer stehen an der Theke oder darum herum. Eine einzige Frau in Trainingshose ist auch darunter, etwas fülliger, ihr Begleiter tätschelt ihr ab und zu den Hintern. Die Männer reden alle durcheinander und miteinander, man kennt sich. Der schwere Somerset-Dialekt ist mir nicht immer ganz verständlich, aber die Stimmung scheint gut. Hinter der Theke agiert noch eine Frau, die, so die Stammgäste, das Zapferhandwerk exzellent beherrschen soll. Im Hintergrund läuft Musik von der CD, mittelgroße Hits der 80er Jahre, Heaven 17 und Sheena Easton, diese Sorte.
Wer in die Pub-Gemeinschaft aufgenommen werden will, muss nur eins tun: jeden Tag wiederkommen. Der Mann mit den Baustellenschuhen und der junge Typ in der neonfarbenen Sainsbury’s-Jacke, der immer die Einkaufswagen zusammenschiebt, entschließen sich zu gehen. Da man sich ja kennt, dauert die Verabschiedung mit ein paar Sätzen hier, ein paar Sätzen da ein bisschen länger. Kurz vor acht tröpfeln auch die anderen Gäste langsam heraus. Zwei oder drei Pints haben sie zu sich genommen, den Feierabend eingeläutet. Vom Fass gibt es übrigens drei Gastbiere von Kleinstbrauereien aus der Gegend, sehr löblich.
Szenenwechsel: Pub Nr. 2, das “Regency“, ebenfalls in Weston-super-Mare, ein paar Straßen weiter in Richtung High Street, eine Stunde später. Die Musik ist hier etwas gedämpfter, kommt allerdings nicht von der selbst gebrannten CD, sondern aus dem Radio. Viel mehr Platz ist in der Raummitte, die Theke glänzt vor Chrom, und der Barmann hat ein hellblaues Oberhemd an. An der Theke befinden sich ebenfalls nur Männer, auch sie kommen von der Arbeit, aber offenbar von einer anderen Art Arbeit. Man sieht die typischen Anzüge von Bankangestellten und Außendienstlern, die älteren Herrn tragen beige Bundfaltenhosen, ein weißes Hemd und darüber einen dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt. Im Gegensatz zum “Criterion” gibt es hier auch etwas zu essen, eine ältere Dame in Puschen bringt klassische Tellergerichte aus der Küche. An den Tischen und auf den mit blauem Velours überzogenen Bänken sitzen Paare, man unterhält sich gedämpft. Zum Lesen liegt nicht die “Sun” aus wie im “Criterion”, sondern je nach Vorliebe der “Guardian” und der “Daily Telegraph”. Hier werden die Klassiker der englischen Ales vom Fass gezapft, die meisten trinken Bass, weil sie das schon immer getan haben.
Szenenwechsel: Pub Nr. 3, das “Coeur de Lion” in Bath. Huch, ein französischsprachiges Pub in England? Natürlich nicht, aber ein historisch-verbindendes, schließlich war Richard Löwenherz Herrscher auf beiden Seiten des Kanals. Auch hier dominiert rote Farbe die Szenerie im sehr kleinen Gastraum mit seinen vier Tischen. Teppiche sind ohnehin Pflicht in englischen Pubs, aber auch die Hocker und Stühle besitzen gern mal einen teppichartigen Polsterüberzug. Mit seiner Theke aus altem Holz, dem Kamin und den vielen Bildern an der Wand ist dies hier definitiv das gemütlichste Pub. Auf den Bildern sind Rugby-Szenen zu sehen, und auch die Wappen an der Decke über der Bar weisen darauf hin, dass in Bath eines der besten Rugby-Teams der Welt zu Hause ist.
Das Publikum gibt sich dagegen weniger rau. Ein paar ältere Herren sitzen hier und lesen Zeitung, ihre Frauen scheinen “serious shopping” zu machen, denn das Pub liegt im Herz der Innenstadt. Auch Touristen schneien ab und zu herein, aber eine Gruppe von 13 Sprachstudenten ist nach einer lärmigen Umschau-Runde schnell wieder draußen. Viel Platz zum Sitzen gibt es nämlich nicht. Das eher städtisch-alternative Pubteam tischt dafür wirklich hervorragende Pubküche auf, und natürlich nehmen wir die Klassiker “Faggots with Peas and Mash” und “Sausages in Ale with Peas and Mash”. Faggots sind eine Art gebratene Leberknödel, die drei Sausages unterscheiden sich in Fleisch und Würzung tatsächlich alle voneinander. Vom Fass gibt es hier die Biere der Abbey Ales, der einzigen Brauerei in Bath. Favorit ist das Bellringer, aber ein Weihnachtsfestbier gibt es auch schon. Durch die undichte, wenngleich altehrwürdige Tür zieht es wie Sau, und deshalb wird auch dieses schöne Pub schließlich verlassen.
Mein kurzes Fazit: Gute Pubs sind in der Regel mit Teppich ausgekleidet, besitzen ein “real fire” und zapfen das Bier mit Handpumpen aus dem Fass. Wenn es etwas zu essen gibt, sollten das nicht nur Tacos aus der Fertigpackung oder Baguettes zum Aufbacken sein, sondern Pies, Puddings und Sausages. Steht Mash als Beilage auf der Karte, ist das ein gutes Zeichen. Ansonsten wird man nach einem anständigen Pub Crawl relativ schnell herausgefunden haben, welches Pub hinsichtlich Alter, Bildungsstand und Lebensphilosophie der Gäste den eigenen Ansprüchen am nächsten kommt. Da mögen die Engländer über das Pubsterben noch so jammern; das nächste öffentliche Wohnzimmer liegt meist nur um die Ecke.