Weinsalon Natürel 2016: Sie sind mitten unter uns

Titel

Es ist noch gar nicht lange her, da wurde man in deutschen Landen noch mit einem Bann belegt, wenn man behauptete, Wein ohne die Errungenschaften der modernen Önochemie herstellen zu wollen. Mittlerweile werden nicht nur die biologisch oder biodynamisch wirtschaftenden Betriebe immer zahlreicher. Es gibt sogar Wagemutige, die vergorenen Traubensaft in wahrhaft trübem und ungeschützem Zustand unter die Leute zu bringen versuchen. Die europaweite Speerspitze dieser immer offener agierenden “Naturweinszene” gab sich nun parallel zur ProWein ein Stelldichein in Köln. Und diese Winzer tummeln sich nicht etwa nur im mediterranen Süden – nein, sie sind bereits mitten unter uns. Zeit für einen investigativen Bericht vom Weinsalon Natürel.

Weingut Alexander Koppitsch, Burgenland

Das Weingut Koppitsch, und zwar Alexander Koppitsch (es gibt mehrere Güter mit demselben Nachnamen in der Gegend), befindet sich Neusiedl am See, gewissermaßen im Herzen des Burgenlands. Ich gebe zu, dass ich vorher weder vom Weingut noch von den Weinen je etwas gehört hatte.

Das ist aber (kleines Abschweifen) ein bisschen symptomatisch für die Naturweinszene, wie auch Stephan Bauer in seinem meiner bescheidenen Meinung nach ausgezeichneten Beitrag auf Christoph Raffelts „Originalverkorkt“-Blog geschrieben hatte. Es gibt Namen von Winzern, vor allem aus Frankreich, die in der Szene bekannt sind wie bunte Hunde, die in den renommierten Weinguides jedoch nie erwähnt werden. Umgekehrt ist es so, wenn ich bemerke, dass mich der eine oder andere Wein beispielsweise an Tissot, Ganevat, Joly oder Gauby erinnert, dann sagen meine Naturwein-Gesprächspartner gelegentlich, „hm, interessant, den Namen muss ich mir mal aufschreiben“. Ein bisschen scheint es also so zu sein, als hätten die beiden „Welten“ (wenn man es denn so ausdrücken möchte) ein bisschen Nachholbedarf darin zu erkennen, wie groß die Schnittmengen in Wirklichkeit doch sind.

KoppitschZurück also zum Weingut Koppitsch, denn auch hier gibt es zwei „Welten“ oder vielmehr zwei Linien, die ebenfalls nicht so weit voneinander entfernt sind. Insgesamt werden 5,5 ha nach biodynamischen Prinzipien bewirtschaftet (noch nicht zertifiziert), im Keller wird ausschließlich spontan vergoren, ohne Temperatursteuerung und ohne Schwefelzugabe während des Ausbaus. Die Weine der „Klassik“-Serie bekommen hingegen eine kleine Schwefelgabe zu Anfang, diejenigen der „Lagen“-Serie nicht. Vor allem an der Gestaltung der Etiketten kann man erkennen, dass mit diesen beiden Serien unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden sollen. Die Preise sind dabei noch nachgerade fürchterlich auf dem Teppich, etwa 6 € für die Klassiker und etwa 13 € für die Lagen, wenn ich mich recht erinnere.

Der spannendste Wein aus dem Sortiment war für mich der weiße Gemischte Satz aus einem im Jahr 1934 gepflanzten Weinberg (2015er Fassprobe). Etwa 20 Sorten stehen hier, einige sogar wurzelecht, was in Österreich eine absolute Seltenheit ist. 14 Tage wird der Saft auf der Maische gelassen, dann im gebrauchten Barrique ausgebaut. Was mich bei diesen Weißweinen aus sehr alten Reben oft verblüfft, ist ihre komplette Unaufgeregtheit, eine dezente, aber nachhaltige Souveränität, die meilenweit von parfümierten Primärfrucht-Vorpreschern entfernt ist. Alex Koppitsch meinte dazu, ein alter Mann habe ihm einmal gesagt, alles liefe über Informationen, und diese Informationen, die in den Reben steckten, würden direkt an die Trauben weitergegeben. Vielleicht haben sie im heißen Sommer 2015 gesagt, „man euch keinen Stress, so einen Sommer haben wir Wurzeln schon öfter erlebt, das wird schon, reift einfach langsam weiter.“

Weingut Rita und Rudolf Trossen, Mosel

Rudolf Trossen sei, so hatte mir vor einiger Zeit ein anderer Moselwinzer gesagt, ein „echtes altes Schlachtross“, und er habe viel zu erzählen. Nun, das ist sicher nicht ganz falsch. Zum einen könnte er wahrscheinlich ein gesamtes Hörbuch in einem einzigen Durchgang füllen mit seinen Erfahrungen und Erkenntnissen. Zum anderen sind aber auch ganz objektiv 39 Jahre biodynamisches Wirtschaften, immer ein bisschen oder auch ein bisschen mehr abseits des Mainstreams, wahrhaftig nicht von Pappe. Wiederum bezeichnend für mancherlei Enge in den Welten ist die Tatsache, dass das Weingut Rita und Rudolf Trossen aus Kinheim-Kindel an der Mosel zwar in den einschlägigen deutschsprachigen Weinguides keine Erwähnung findet, die Weine jedoch im (vermutlich nicht weiter erklärungsbedürftigen) Restaurant Noma in Kopenhagen auf der Karte stehen. Dort hatte Rudolf Trossen auch eines seiner nachhaltigsten Erklebnisse der letzten Zeit. Ich lasse ihn einfach mal selbst erzählen:

„Im Noma habe ich einen meiner Weine wiedergetrunken, also praktisch wiederentdeckt. Ich hatte unsere feinherbe Spätlese auf der Weinkarte gesehen, den Wein kannte ich natürlich in- und auswendig, aber ich wollte mal sehen, wie er sich zu dem Essen hier machte. Was dann kam, hat mir erst einmal komplett die Sprache verschlagen. Der Koch hatte den Wein so verstanden und so mit dem Essen in Szene gesetzt, wie ich mir das nie erträumt hätte. Und ich dachte, ich wusste schon alles über den Wein! Es gab glaube ich ein Möhrendessert, aber wie auch immer, das könnte ich ja eh nie nachkochen. So eine Ergänzung von Aromen, so eine Geschmacksexplosion, so eine Erweckung für mich! Ich habe danach tagelang von nichts anderem mehr gesprochen…“

TrossenIm Portfolio, das Rudolf Trossen hier nach Köln mitgebracht hatte, gefiel mir solo – so ganz ohne Redzepi-Möhrendessert – einer wesentlich besser als alle anderen: die Madonna aus der Purus-Reihe. Es handelte sich um eine 2015er Fassprobe, 12,5 vol%, 21 € ab Hof (aber es dürfte nicht sehr viele Flaschen davon geben). Die Madonna wirkt weniger apfelig als vielmehr aprikosig in der Aromatik, reif, weich, vollmundig und dicht, aber vollkommen entspannt. Ob es je gelingen kann, einen extrem mineralisch-stahligen und gleichzeitig aromatisch fokussierten Wein ohne Schwefelgabe herzustellen, weiß ich aus eigener Erfahrung noch nicht. Aber eine elegante trockene Spätlese, das funktioniert ganz offenbar – wenn man es denn kann…

Weingut Enderle und Moll, Baden

Sven Enderle (Enderle & Moll) aus Baden hatte tatsächlich etwas dabei, das meine vor ein paar Artikeln schon einmal formulierte Neugier zu stillen vermochte. Wie stark, so fragte ich mich, ist eigentlich der Einfluss der Schwefelgabe auf den späteren Geschmack des Weins? Und zwar sichtbar oder vielmehr schmeckbar gemacht an zwei Weinen, die ohnehin sorgfältig und schonend hergestellt worden sind und sich nur in diesem einzigen Merkmal voneinander unterscheiden. Jetzt war es also soweit: Sven hatte den 2013er Auxerrois und den 2013er Basis-Pinot Noir jeweils in diesen beiden unterschiedlichen Varianten am Start.

Enderle & MollNun sollte ich natürlich als Disclaimer vorwegschicken, dass es hier um zwei exemplarische Vergleiche geht und nicht darum, dass das bei anderen Winzern zu anderen Zeiten und anderen Weinen auch so sein muss. Aber dennoch: Der Erkenntnisgewinn für mich war äußerst hoch. Erste Erkenntnis: Ja, die Schwefelgabe bewirkt tatsächlich ziemlich große Unterschiede beim Weingeschmack. Zweite Erkenntnis: Diese Unterschiede äußern sich bei derartig sorgfältigem Umgang seitens des Winzers offenbar nicht darin, dass der eine Wein „sauberer“ oder gar „besser“ wäre als der andere. Alle vier Versionen waren so eindeutig „schmackhafte Weine“, dass nur eine engstirnige Industrienase etwas daran auszusetzen gehabt hätte. Dritte Erkenntnis: Schwefel ist in der Tat primär ein Konservierungsmittel. Das zeigt sich daran, dass der weiße Auxerrois in der schwefelfreien Variante weitmaschiger, rauchiger, bereits offener wirkte, in der geschwefelten Variante eindeutig kühler, enger und vergleichsweise stärker auf die Frucht ausgelegt – und deshalb irgendwie zwei Jahre jünger.

Beim Pinot Noir fand ich zu meiner eigenen Überraschung die Unterschiede zwischen beiden Varianten noch stärker: Die geschwefelte Version war exakt das, was man aus deutschen Landen in diesem Segment kennt, ein klassisch leichter, duftiger und ein bisschen himbeerig-klebriger Roter. Ungeschwefelt wirkte der Wein gleichzeitig transparenter und robuster, was sich wie ein Widerspruch anhört, aber auch hier scheinen mir die weiten Maschen, die offenere Entwicklung entscheidend zu sein. Äußerst aufschlussreich jedenfalls und in diesem edukativen Ansatz allen, aber wirklich allen zu empfehlen, die sich ein bisschen für die Seele des Weins interessieren. Mir selbst haben die Schwefelfreien ganz subjektiv noch ein bisschen besser gefallen, aber das möge jeder für sich selbst entscheiden.

2Naturkinder, Franken

Von den 2Naturkindern war diesmal nur eines, nämlich Michael Völker, mit nach Köln gereist. Interessanterweise ist auf der Website nicht von einem Weingut, sondern von einem „wine making project“ die Rede, was für mich auch sehr nachvollziehbar ist: Hier geht es nicht um dieselbe Sache seit Jahrzehnten, sondern um ein exploratives Vorgehen, um Spaß am Ausprobieren und um das Teilen dieses Ansatzes mit anderen. Wie irgendwie bei allen anderen auf dieser Messe vertretenen deutschen Weingütern/Winzern/Projekten auch, gibt es im fränkischen Weinort Volkach zwar jede Menge Wein zu kaufen, aber nur wenig von den beiden Naturkindern. Besonders der rote Pet’Nat’-Sprudler aus Schwarzriesling wird ihnen förmlich aus der Hand gerissen, „ich könnte fünfmal mehr davon verkaufen“, meint Michael. Und das ist ehrlich gesagt ein sehr gutes Zeichen.

2NaturkinderWas ich auch sehr interessant fand, ist die andere und nur mittelbar mit den Weinen selbst in Zusammenhang stehende Sache, die mir Michael erzählte: „Wir brauchten jemanden, der auf dem Weingut noch mithilft und wollten das nicht so quervermittelt unter der Hand machen. Also haben wir eine echte Annonce geschaltet mit dem Angebot eines regulären Praktikantenplatzes. Von der Reaktion waren wir dann total überrascht, und zwar absolut positiv: So viele junge Leute, so viele wirklich motivierte Leute, die sich dafür interessieren, das hätten wir nie für möglich gehalten!“ Und auch das ist in vieler Hinsicht ein gutes Zeichen, vor allem dafür, dass Achtsamkeit und Nachhaltigkeit Themen sind, die künftig ganz oben auf der Agenda unserer Gesellschaft stehen werden.

Die Weine habe ich dann natürlich auch noch probiert, und wirklich gefallen hat mir dieser hier, die weiße Fledermaus (eine 2015er Fassprobe): 80% Müller-Thurgau, 20% Silvaner, ungeschwefelt, trüb, weich, reif, dicht und dennoch alles andere als breit, super Textur, nachhaltig – und das sind alles Begriffe, die mir spontan bei der Erwähnung der Rebsorte Müller-Thurgau nicht gleich in den Sinn kommen würden.

Weingut Stefan Vetter, Franken

Wenn es um die in aufgeschlossenen Weinfreundkreisen bekanntesten Weingüter der „anderen Art“ geht, dann zählt für mich neben dem Pfälzer Weingut Odinstal ganz eindeutig das ebenfalls nicht gerade gigantisch große Unternehmen von Stefan und Katja Vetter in Gambach am Untermain dazu. Aus der ebenso guten wie unbekannten Lage Gambacher Kalbenstein werden mittlerweile Silvaner geholt, die mit zu den besten gehören, die (tja, so muss ich das wohl formulieren) es für mich überhaupt von dieser Rebsorte gibt. Wer den Sylvaner GK 2012 oder sein Pendant aus dem Nachfolgejahrgang mal probiert hat, der wird mir möglicherweise zustimmen können. Natürlich sind das ganz andere Weine als die birnen-primärfruchtigen Brummer mit leichter Restsüße, die in Franken leider immer noch in der Mehrheit sind. Und es ist meiner weiterhin unmaßgeblichen Meinung nach auch so, dass man diesen Stil erst so richtig zum Klingen bringen kann, wenn eine genügende Extraktdichte vorhanden ist, der dann eine entsprechende Säure als Kontrapunkt entgegengesetzt werden kann. Geht also nicht bei jedem Wein gleich gut.

Stefan VetterDiesmal hat mich „der Neue“ ganz besonders beeindruckt, und zwar der 2014er Silvaner „Himmelslücke“, der aus einer Parzelle ganz oben am Berg stammt. Ich hatte das ja schon direkt nach meinem Messebesuch auf Facebook gepostet: Dies ist für mich von seiner ganzen Erscheinung her kein typisch deutscher Wein, sondern er erinnert mich in seiner gleichzeitig dichten, sehnigen und säuremäßig fordernden Art an die richtig guten, straffen Chenins von der Loire. Ich hatte Chidaine und Guiberteau ins Spiel gebracht, vielleicht auch Eric Nicolas (in einem kühlen Jahr). Ich bin mir nicht sicher, ob alle Menschen, die das Glück haben, diesen Wein zu trinken, ihn auch verstehen werden. Ich selbst jedenfalls würde mich sehr glücklich schätzen, hätte ich nach der Bezahlung der mehr als angemessenen 22 € (so ungefähr sei das geplant, sagte mir Katja) den Wein bei mir im Keller liegen.

EingangZum Abschluss möchte ich nur noch einmal darauf hinweisen (und das werden sicher alle, die dort waren, auch bestätigen können), dass Surk-ki und ihr Team schier Übermenschliches geleistet haben, um diese Messe auf die Beine zu stellen, um alles organisatorisch perfekt und in lebendiger und freundschaftlicher Stimmung über die Bühne zu bringen. Alle Winzerinnen und Winzer, mit denen ich gesprochen habe, möchten jedenfalls nächstes Jahr wiederkommen. Möge man also weiterhin intensiv über Wein und Geschmack diskutieren – aber ohne Wahrheitsansprüche.

Übrigens wird ja gern bei solchen Gelegenheiten der Spruch „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ angebracht, auf Lateinisch „de gustibus non est discutandum“. Nun waren es aber nicht die alten Römer, die diesen Spruch prägten, sondern die scholastischen Philosophen des Mittelalters. Beim ollen Caesar hörte sich das nämlich noch etwas anders an: Jener war einst mit Freunden zum Essen eingeladen, als der Gastgeber den Spargel in einer süßen Sauce servierte statt – wie mittlerweile angesagt – in Olivenöl. Das blieb bei den Freunden nicht unbemerkt, und kaum war der Gastgeber aus dem Raum, fingen sie an zu lästern und sich zu beklagen, „welch komische Kombi!“, „welch gestriger Geschmack!“ Caesar (so überliefert jedenfalls Plutarch) meinte daraufhin, zu der ganzen Sache fiele ihm nur Folgendes ein (frei übersetzt): „Wer sich über missratenen Geschmack beschwert, ist selbst missraten.“ So war er halt, unser geborener Diplomat.

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9 Antworten zu Weinsalon Natürel 2016: Sie sind mitten unter uns

  1. Fahr mal zur La Dive ( na ja, vor ein paar Jahren war man echt noch unter sich) da hauts Dich nieder. Raw und alles ist zwar gut, aber dad Original halt doch unschlagbar.

    • Matze sagt:

      Ja, da dürftest Du völlig recht haben. Ich überlege mir es irgendwie jedes Jahr, und bislang hab ich’s dann doch nie gemacht, weil es halt noch ziemlich unwirtlich ist zu der Zeit 😉 und außerdem immer jede Menge anderes zu tun. Aber lang halten die Ausreden nicht mehr 😉

  2. Karl Brunk sagt:

    Hallo Matthias,
    Du schaffst es regelmäßig so viele Andockpunkte in deinen Texten zu fixieren, dass ein umfassender Kommentar den Rahmen sprengen würde. Hier nur einige Bemerkungen

    Zu “Es gibt sogar Wagemutige, die vergorenen Traubensaft in wahrhaft trübem und ungeschützem Zustand unter die Leute zu bringen versuchen.”
    Das war ja offensichtlich zumindest bei den von Dir vorgestellten Weinen nicht der Fall. Klar – sauber gearbeitet, spontanvergoren, ungefiltert, z.T. ungeschwefelt, aber dein Zitat spielt ja eher auf die an, die zwar zu der Szene gezählt werden, aber eben den Wein unter die Leute bringen, die nicht solche Lobgesänge verursachen.
    Der ewige Versuche der sauberen Abgrenzung, was denn nun die Vin naturel Winzer von “nur” biologisch und/oder biodynamisch arbeitenden unterscheidet wird noch lange nicht geklärt sein. All die von Dir angeführten Merkmale werden auch von vielen der Demeter oder Nature&Progrès Winzern erfüllt. Auch wenn dort sowohl Hefen, als auch einige Zusatzprodukte in den Richtlinien erlaubt sind, wird in der Praxis genau so weit darauf verzichtet wie bei den VN-Winzern. Diese Merkmale reichen so nicht aus.

    Zu “europaweite Speerspitze”. Ist wohl etwas übertrieben – oder. Die hätte man an dem Samstag besser bei der Renaissance des Appellations in Düsseldorf angetroffen.

    Zu “Ein bisschen scheint es also so zu sein, als hätten die beiden „Welten“ (wenn man es denn so ausdrücken möchte) ein bisschen Nachholbedarf darin zu erkennen, wie groß die Schnittmengen in Wirklichkeit doch sind.” Volle Zustimmung. Ich war auch jahrelang nicht nur überrascht, das manche bunte Hunde in anderen Gruppen nicht bekannt waren, sondern, dass auch wenn es eine Gelegenheit gibt, eine Kontaktaufnahme und ein Gespäch nicht der allererste Gedanke war. Später – nach vielen vielen Salons und kleinen Ausflügen war die Überraschung doch groß wie groß die Szene tatsächlich ist. Jeden zu kennen – unmöglich.
    Da sind selbst Events wie die drei Salons offs in Montpellier oder eine Woche später an der Loirewo ca. jeweils 180 solcher Winzer stehen kein Garant, dass sich die Winzer sich untereinander kennen.

    Zu “Wie stark, so fragte ich mich, ist eigentlich der Einfluss der Schwefelgabe auf den späteren Geschmack des Weins? ” All deine Empfindungen kann ich für mich bestätigen.
    Geschwefelt kommen mir die Weine meist enger vor. Ungeschwefelt komplexer und gereifter. Würde ich aber nicht generell drauf wetten. Sobald ich dass nicht vorher weiß stehen die Chancen ja 50/50. Würde man da unter wissenschaftlichen Kriterien eruieren …? Ich hatte jedenfalls schon einige Sorten (meist rot) in bestimmten Jahren, da schien es mir keinen Unterschied zu geben.
    Insgesamt liebe ich aber eher auch die ungeschwefelten. Einfach weil sie mehr Spaß machen. Voraussetzung : unbedingtes sauberes Arbeiten auf allen Ebenen und! gute Jahrgänge.
    Und eins muss unbedingt geklärt werden – da schludern die Winzer oft in ihren Aussagen – absolut 0 Schwefel zu keinem Zeitpunkt, oder doch ein wenig im Fass, oder beim Abfüllen, oder …???

    Zu “alles Begriffe, die mir spontan bei der Erwähnung der Rebsorte Müller-Thurgau nicht gleich in den Sinn kommen würden.” Das freut mich richtig zu hören. Denn meine Beobachtungen einiger Winzer und einiger Sorten, deutet in eine ähnliche Richtung. Zunehmend scheinen gekonnte und erfahrene Arbeit aus einigen Sorten ungeahnte Seiten heraus zu arbeiten. Natürlich sind wir immer noch in einem falschen Dneken über Typizität von Rebsorten gefangen. Da hat die normierte Weinindustrie ganze Arbeit geleistet. Nur weil der Wein jahrzehntelang eine bestimmten Geschmackvarianz hatte, heißt das doch nicht, es liegt an der Rebsorte. Falsch – es lag an der “Be!”arbeitung. Nur unter der Bedingung konnte sich ja der Berufsstand Sommelier als Fachmann im Allgemeinverständnis profilieren. Das geht heute nicht mehr über ein Erkennen von Rebsorten, weil es einfach nicht mehr möglich ist.
    Für mich war der Grauburgunder auch eine von diesen “Halbgaren” Rebsorten. Bis ich den neuen Pinot griggio von Foradori probieren konnte. Das haut einen aus den Schuhen und niemals hätte ich das dem Pinot gris das zugetraut.

    Zu “Alle Winzerinnen und Winzer, mit denen ich gesprochen habe, möchten jedenfalls nächstes Jahr wiederkommen.” Das würde mich freuen, weil ich da aus den Vorjahren andere Erfahrungen gemacht habe.

    Zu “Über Geschmack lässt sich nicht streiten”. Achtung ! Das stimmt ja nur, weil man da nicht über das Objekt redet, sondern über den individuellen Geschmack. Das ist eine der Aussagen, die mich in den Weinproben grob werden läßt. Wer Objekt nicht vom Subjekt unterscheiden kann, sollte sich eher gar nicht äußeren. Wenn mir ein Wein schmeckt oder auch nicht, sagt das etwas über meinen Geschmack und zuerst einmal gar nichts über den Wein aus.
    Der Wein ist gut -> der Wein schmeckt gut -> der Wein schmeckt mir -> mir schmeckt der Wein -> ich finde den Wein gut ->
    Also ich finde, dass man da streiten muss. Nur dann kommt man einer Art Objektivität näher.
    viel Grüße

    • Matze sagt:

      Na, für einen “nicht umfassenden” Kommentar nach Deiner Definition ist das immer noch ganz schön viel 😉 . Herzlichen Dank dafür!

      Ich mache das jetzt mal so wie Du mir den Zitaten:

      Zu “Es gibt sogar Wagemutige, die vergorenen Traubensaft in wahrhaft trübem und ungeschützem Zustand unter die Leute zu bringen versuchen.”
      Das war ja offensichtlich zumindest bei den von Dir vorgestellten Weinen nicht der Fall.

      Stimmt zum großen Teil. Ich habe hier in erster Linie Weine vorgestellt, die sich “zwischen den Welten” bewegen, weil das meinem ganz subjektiven Geschmacksempfinden momentan am meisten entgegenkommt – und vielleicht auch meinem Ansatz generell.

      Der ewige Versuche der sauberen Abgrenzung, was denn nun die Vin naturel Winzer von “nur” biologisch und/oder biodynamisch arbeitenden unterscheidet wird noch lange nicht geklärt sein.
      Ich weiß auch gar nicht mehr, ob das überhaupt sein muss. Ich war da mal anderer Meinung, weil klare Kriterien einfach die Orientierung verbessern, aber mittlerweile denke ich mir, wenn von den klaren Kriterien her sagen wir mal Biodyvin- oder verschärfte Ecovin-Bestimmungen als Basis genommen werden (oder Demeter-Positivliste) und die Winzer dann frei entscheiden, ob sie null oder ein bisschen filtrieren, null oder ein bisschen Schwefel hinzugeben (ich spreche hier von 25 mg o.ä.), dann soll das für mich vom philosophischen Ansatz her dasselbe sein. Sie sollten es halt aufs Etikett schreiben. Es geht eh viel mehr um die innere Einstellung zu dem, wie wir mit den Mitmenschen und Mitpflanzen auf der Erde und in unserer unmittelbaren Nachbarschaft so umgehen, und da zählen für mich Begriffe wie Umsicht, Respekt, auch freundliche Neugier, also gleichzeitig bewusste und explorative Ansätze. Alles, was da noch weiter eingrenzt, geht für mich wieder zu stark in Richtung einer Ideologie mit Wahrheitsanspruch.

      Zu “europaweite Speerspitze”. Ist wohl etwas übertrieben – oder. Die hätte man an dem Samstag besser bei der Renaissance des Appellations in Düsseldorf angetroffen.
      Das ist in der Tat minimal übertrieben 😉 . So sehr ich allerdings der Meinung bin, dass bei der “Renaissance des Appellations” ganz tolle und der absoluten Qualität verpflichtete Winzer engagiert sind, wage ich doch mit dem Blick auf die deutschen Weingüter dort zu behaupten, dass diese nicht gerade die “Speerspitze der Bewegung” darstellen, sondern dass es sich einfach um zweifellos hervorragende, aber mittlerweile total arrivierte Biowinzer handelt (Wittmann, Christmann, Busch, Rebholz, Battenfeld-Spanier…). Das ist beim Weinsalon Natürel halt anders.

      Zu “Über Geschmack lässt sich nicht streiten”. Achtung ! Das stimmt ja nur, weil man da nicht über das Objekt redet, sondern über den individuellen Geschmack. Das ist eine der Aussagen, die mich in den Weinproben grob werden läßt.
      Na logisch, aber ich glaube, die Aussage verstehen die allermeisten Leute auch so, dass es nicht um halbwegs zu objektivierende Beschreibungskriterien geht, sondern um das, was einem ganz persönlich daran gefällt oder nicht. Ich sage ja immer: Beethoven – objektiv fantastisches Werk, lässt mich subjektiv aber weitgehend kalt. Drum & Bass – stumpfes Gehoppel, fand ich seinerzeit großartig. Kein Grund also grob zu werden 😉 “Streiten” heißt für mich in dieser Hinsicht auch eher diskutieren, Argumente austauschen, und ich denke, da sind wir nicht wirklich weit auseinander…

  3. Thomas Riedl sagt:

    Hallo Matthias,

    vielen Dank für Deinen Bericht! Ich hatte an dem Wochenende leider wieder mal Dienst. Sch….! Sonst wäre ich auch gekommen. Wann ist der Termin im kommenden Jahr?

    Ich nehme an, Du gehst davon aus, dass ich Deine Beiträge alle lese? Du hast Recht 😉
    Andernfalls müsste ich es Dir ja persönlich übel nehmen, dass Du mich nicht unmittelbar in Kenntnis gesetzt hast von der Existenz des weißen Gemischten Satzes von Koppitsch. Aus einem im Jahr 1934 gepflanzten, z.T. noch wurzelechten Weinberg? In Österreich??? Da muss ich wohl mal wieder Wein bestellen 😉

    Der rote Faden bei Deinen Beschreibungen der Weine ist für mich, dass es bei Vins Naturels nicht mehr um “Rebsortentypizität” geht, sondern um innere Balance, Dichte, Struktur, Tiefe.
    Und da gibt es eine Schnittmenge zu meinem Faible, den Gemischten Sätzen und den historischen Rebsorten. Auch hier kann das Ziel nicht sein, mit “sterilen”, glatten Weinen den Marktpräferenzen hinterher zu hecheln und Primärfrucht abzufüllen, sondern wie Karl Brunk in seiner Anmerkung richtig schreibt, “durch gekonnte und erfahrene Arbeit” aus den Reben “ungeahnte Seiten” heraus zu arbeiten. Ja, Erzeuger und Konsumenten sind immer noch in einem falschen – na, sagen wir einengenden – Denken über die Typizität von Rebsorten gefangen.

    Also, mir hast Du mal wieder den Blick geweitet. Schöne Ostern wünsche ich Dir uns allen Mitlesenden!

    • Matze sagt:

      Ich denke, nächstes Jahr dürfte es wieder so sein wie dieses, also SA & SO vor bzw. zur ProWein. Ich selbst bin ja nur an einem Tag dort gewesen, und ich denke, zwei Tage hintereinander plus die Nacht dazwischen hast Du sicher keine Dauerschicht 😉 Sollte doch funktionieren.

      Das mit dem Gemischten Satz ist glaube ich eine gemischte Sache 😉 . Also wenn ich das richtig verstanden habe, sind AUCH wurzelechte Reben darunter, aber eben nicht ausschließlich. Kannst aber gern bei Alex Koppitsch noch einmal nachfragen, die freuen sich sicher zurecht über das Interesse an ihrem Wein.

  4. Thomas Riedl sagt:

    Kleiner Nachtrag noch zu meinem letzten Kommentar: Das mit der gekonnten und vor allem erfahrenen Arbeit stellt aber das Hauptproblem dar. Viele Winzer tüfteln eben noch, weil die Rückbesinnung auf alte Rebsorten, Rebbestände und alte Methoden ja noch nicht so lange währt. Außerdem ist die Kooperation und der Erfahrungsaustausch der Besitzer wurzelechter Bestände in Deutschland meines Erachtens noch ausbaufähig.

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