Appetithäppchen

TitelIch weiß nicht, wie es Euch ging, aber früher, als ich jung war und man in vielen Haushalten noch täglich Zeitung gelesen hat, da hatte es mir die Seite mit dem Namen „Vermischtes“ immer besonders angetan. Auf dieser Seite waren in aller Regel nicht die weltbewegenden politischen Nachrichten zu lesen, sondern Unterhaltsames aus aller Welt, dargeboten in kleinen Häppchen. Als ich neulich darüber nachgedacht habe, welchen Artikel ich wohl als nächstes schreiben könnte, ist mir dieses Format wieder in den Sinn gekommen. Voilà!

Wein aus dem Plastikschlauch

Bag in Box IKennt Ihr Olivier Baussan? Das ist der Mann hinter „L’Occitane“, der alles, was er anfasst, zu Gold zu machen scheint. Neben der von ihm gegründeten Feinkostkette „Oliviers & Co.“ hat er auch vor einiger Zeit den Biokosmetik-Hersteller „Melvita“ unter seine Fittiche genommen. Für sein neuestes Projekt hat er vier seiner Freunde zum Mitmachen animiert, unter anderem den Filmproduzenten Michel Gillet und Bruno Quenioux, der als Weinchef den Galeries Lafayette eine relativ kurze, aber innovative Periode beschert hatte. Der Plan der Fünf: Wein im Karton verkaufen. Ihr kennt ja sicher die „Bag in Box“, diesen Beutel mit Zapfhahn, in dem sich die Getränke, einmal angebrochen, etwa drei Monate halten, weil sie kaum mit Luftsauerstoff in Berührung kommen.

Bag in Box IIDiese Kartons machen (Achtung, festhalten!) von der Menge her bereits genau ein Drittel der Weinverkäufe in den Hypermarchés aus. Hätte ich nie gedacht. Aber die Leute wollen offenbar junge „Partyweine“, von denen sie immer mal ein bisschen abzapfen können. Leider war die Qualität der Weine aus diesen „neuen Schläuchen“ meistens recht dürftig. Das wollen die Fünf jetzt ändern. Bruno Quenioux hat also mit einer Reihe von besseren Produzenten gesprochen, mit Jean-Paul Brun beispielsweise, dem bekannten Beaujolais-Winzer, oder auch mit Emmanuel Guillot, dem Biodynamiker aus dem Mâconnais. Und jetzt gibt es deren Weine in der Box – zu kaufen in den Franchise-Läden von BiBoViNo: dreimal in Paris, 14mal in französischen Großstädten, außerdem noch in Brüssel und in Tel Aviv. Riesig ist das Angebot noch nicht, aber mal schauen, wie sich das entwickelt…

Die Deutschen und der Fisch

Fisch INicht nur in Japan steht Fisch oft ganz oben auf dem Speiseplan. Auch bei meinem Besuch der Rue Daguerre in Paris wurde ich schmerzlich daran erinnert, welches vielleicht der gravierendste kulinarische Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist. Dass es so schlimm steht, hätte ich allerdings nicht gedacht. Was war geschehen? Nun, ich hatte vor ein paar Tagen in der 2016er Ausgabe des „Atlas Economique de la Mer“ herumgeblättert und dabei eine Eurostat-Statistik zum Fischkonsum in der EU gefunden. Genau genommen ging es um den Betrag pro Kopf (in €, einkommensgewichtet), den die EU-Bürger jährlich für Fisch und Meeresprodukte ausgeben. Ganz vorn, das mag nicht so sehr überraschen, steht Portugal, gefolgt von Spanien und Italien, aber auch Frankreich und fischaffine Länder wie Luxemburg, Schweden und Belgien befinden sich mit in der Spitze. Aber wo ist Deutschland bei diesem Ranking? Tja, auf dem vorletzten Platz. Sogar die Litauer geben über ein Drittel mehr aus, denn in Osteuropa wird auch vergleichsweise viel Fisch gegessen, denkt an den polnischen Karpfen.

Fisch IINoch ein bisschen krasser als die lauen Deutschen fand ich allerdings den allerletzten Platz in dieser Liste – auch darauf wäre ich nie gekommen. Irland ist es, eine Insel, umgeben von fischreichen Gewässern. Nur essen die Iren nichts aus dem Meer oder jedenfalls deutlich weniger als die anderen. Ich habe mich wieder an meinen Monat an der englischen Küste erinnert oder später an meine Besuche von Supermärkten in Dublin oder London. Der Borough Market ist da ebenso kein Maßstab wie die typischen „Fish’n’Chips“-Buden. Wer auf den britischen Inseln im Hinterland einen Fischhändler sucht, wird genauso verzweifeln wie in Deutschland oder Österreich. Lieber essen wir nämlich Doppel Whopper, Hähnchenbrustfilet oder Gen-Tofu.

Monster auf dem Etikett

Bier IIWieder zurück nach Frankreich, wo ich mir neulich ein Buch namens „Le Guide des Brasseurs et Bières de France“ gekauft habe. Und wer hätte das gedacht: Im Land des Weins gibt es mittlerweile 590 Brauereien, die meisten davon klein, handwerklich und erst vor kurzer Zeit gegründet. Die „Craft Beer Revolution“ hat offenbar unser auch ansonsten revolutionserfahrenes Nachbarland voll erfasst. Weil in dem Buch sämtliche Flaschen abgebildet sind, hat sich mir beim Betrachten allerdings folgende Frage gestellt: Warum sind die (neuen) Bieretiketten eigentlich so hässlich? Und ja, mit „hässlich“ meine ich auch „hässlich“, das ist keine Frage des persönlichen Geschmacks. Ab und an eine Monsterfratze lasse ich ja noch durchgehen, aber was machen da bitteschön fünf verschiedene Schrifttypen in einem Farbenmeer, das an die geckhaftesten Torwarttrikots der 90er erinnert? Was machen da hässliche Comicfiguren mit Glupschaugen, Totenköpfe in Mengen, wahlweise auch Originelles wie lange Frauenbeine mit Strapsen? Gestaltet übrigens von dem Typen aus dem Nachbardorf, der nach drei erfolglosen Bewerbungen bei der Kunstakademie sein Geld ansonsten als Keyboarder einer Tanz- und Showband verdient.

Bier IDie Lösung des Rätsels führt möglicherweise in die Hotspots der Bierszene, in die USA und nach Belgien. Belgien ist bekanntermaßen nicht nur das Mutterland sehr unterschiedlicher Biersorten, sondern auch einer Comicszene, der beileibe nicht nur Genies entsprungen sind. Die Belgier wollten mit ihren handgezeichneten Etiketten auf das wirklich Handgemachte hinweisen, denn graphische Etiketten aus der Maschine bedeuteten Industriebiere, von denen es in Belgien (oder auch den USA) schlimmere gibt, als wir uns hierzulande vorstellen können. Weil Craft Beer zu Anfang aber auch eine Bewegung war, die Rock’n’Roll als Lebensstil ausdrückte und damit Außenseitertum und die Ablehnung sämtlicher Erscheinungsformen des Massenmarkts in sich vereinte, gehören Tattoos auf Brauerarmen genauso dazu wie antibürgerliche Fratzenetiketten. Jetzt noch den Typen aus dem Nachbardorf dazu, fertig ist die Chose.

Vin Naturel auf der Teststrecke

Vin Naturel IIWein hat im Allgemeinen ein wenig rockiges Image. Manche Weinkampagnen von Verbänden sind zwar auch an junge Leute gerichtet, aber irgendwie auf eine Art und Weise, als würde es die FDP noch geben. Kein Wunder, dass der „Vin Naturel“ in eine Lücke stoßen konnte, die größer ist, als man zu Anfang vermutet hätte. Hier haben wir auch wieder Etiketten und eine Attitude, die ihre Parallele im Craft Beer findet, hier haben wir alternative Trinkorte ohne Bon-Enfant-Atmosphäre, ungewohnte Geschmacksrichtungen, keine „Chemie“ im Produkt. Wie vielseitig die Ansätze aber sind, und wo die Ursprünge für eine möglichst non-interventionistische Weinbereitung liegen, darüber informiert der ausgezeichnete Beitrag von Stephan Bauer auf Christophs geschätztem Blog Originalverkorkt. Weil ich Euch dazu animieren möchte, den Artikel auch zu lesen, will ich hier gar nicht erst versuchen, den Inhalt zusammenzufassen.

Vin Naturel IEine Sache fand ich dabei (unter vielen anderen) sehr interessant: Stephan bemängelt, dass etliche dieser Weißweine einen „goût naturel“ besäßen, der einheitlich ein bisschen matschig nach Apfelmost schmecken würde, ohne Rücksicht auf Rebsorte oder Herkunftsregion. In der Tat ist mir das, nun ja, ab und an bei derartigen Weinen auch schon untergekommen. Die Frage allerdings, die sich mir dabei stellt, ist nicht primär diejenige, ob so etwas jetzt als „fehlerhaft“ zu gelten hat oder nicht, sondern vielmehr, ob es ein Element bei der Weinbereitung gibt, das diesen Ton entweder ausschließlich oder doch zum großen Teil hervorruft. Ist es die (fehlende) Schwefelgabe, der Einfluss des Sauerstoffs, die Art der Vergärung, die Temperatur bei der Vergärung, ist es tatsächlich eine Frage der Sorgfalt und Sauberkeit oder doch eher des Transports und der Lagerung?

Ich fände es jedenfalls aus analytischer Sicht sehr spannend, wenn man mal einen guten (Bio)Winzer für ein selbstverständlich finanziell gefördertes Projekt gewinnen könnte, bei dem aus einer einzigen Parzelle Trauben verarbeitet werden, die man dann in verschiedenen „Merkmalskombinationen“ in einer ganzen Reihe von Partien ausbaut. Also als Beispiel für das Testen zweier Merkmale in unterschiedlichen Dosierungen etwa so:

GrafikDas Ganze müsste man dann vor Abfüllung, kurz nach der Abfüllung und ein Jahr nach Abfüllung sensorisch testen. Und fertig wäre der Beweis für – exakt diesen Einzelfall, ich weiß. Aber es würde uns beim Diskutieren trotzdem einen großen Schritt weiter bringen, da bin ich mir sicher. Es ist mir natürlich klar, dass wir bei 40 mg Schwefel und Reinzuchthefe nicht mehr wirklich von “vin naturel” sprechen; das soll auch nur als Beispiel dafür dienen, wo sich die geschmacklichen Stellschrauben verbergen könnten.

Vin Naturel IIIÜbrigens freue ich mich darauf, beim WeinSalon Natürel wieder Weine aus allen Ecken der Szene probieren zu können. Manches wird mich angenehm, anderes unangenehm überraschen, so war das letztes Mal schon, so dürfte es wieder sein. Aber es erweitert definitiv den Horizont und ist allein deshalb irgendwie ein Must für alle Menschen, die Wein als etwas Dynamisches begreifen. So etwas Ähnliches schreibt sogar Ursula Heinzelmann im neuen Slowfood-Magazin. A propos Rock’n’Roll.

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4 Antworten zu Appetithäppchen

  1. Ich kenne die „Bag in Box“, diesen Beutel mit Zapfhahn, weiß aber nicht, warum sich die Getränke, einmal angebrochen, etwa drei Monate halten sollten. Wer braucht denn so was? Börsianer, FDPler?

    • Matze sagt:

      Börsianer brauchen das nur in der Krise, denn Baussan & Freunde sagen, dass sie durch den Verzicht auf Glas den Wein 20% billiger anbieten können (von Recycling sprechen sie nicht). Aber mal ernsthaft: Wir haben ja, wie auf dem Foto zu sehen, unseren Apfelsaft in 5-Liter-Bags füllen lassen. Finde ich eigentlich ganz praktisch, weil ich die 5 Liter selten auf einen Zug wegbekomme 😉 . Mit Wein habe ich das noch nicht gemacht, aber wenn so viele Franzosen das kaufen, dann vielleicht für 12 Grillfeste an 12 Wochenenden… oder den Korkenzieher verbaselt.

      • Die Schläuche kommen doch wohl aus Australien, was drin ist ist egal, Hauptsache eiskalt (auch Rotwein) und es scheppert schön im Oberstübchen. Und dt.Bierexporte gehen ja auch in 500l Säcken raus….

        • Matze sagt:

          Naja, es geht ja hier eher um die Art der Verpackung. Schwer zu sagen, ob ein 5-Liter-Plastiksack für jung zu trinkenden Wein jetzt ressourcenschonender ist oder sechs Glasflaschen (aber da gibt es sicher Experten-Gesamtpunktrechnungen). Eiskalten australischen Rotwein haben die Franzosen allerdings noch nie getrunken 😉

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