Unterwegs in den Welten: die Top 3 meines Jahres 2012

TitelPersönliche Jahresrückblicke sind eine gute Sache. In jedem Fall für den Ersteller, denn wann sonst nimmt man sich die Zeit, das ganze Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen? Da ich kein klassisches Tagebuch führe, habe ich mich für diesen Artikel erst einmal durch tausende von Fotos geklickt. Dass 2012 ein ganz und gar ungewöhnliches Jahr war, hatte ich irgendwie noch dunkel in Erinnerung. In der ersten Jahreshälfte kam es mir manchmal so vor, als könnte ich selbst mit dem Auslegerboot vom Titelfoto über die Ozeane driften. In der zweiten Hälfte folgte dann ein wenig die Rache mit viel blogfremder Arbeit, aber einem guten Ankommen in Nürnberg – meiner neuen Basisstation.

Was das Jahr 2012 für mich bereitgehalten hat, davon möchte ich Euch kund tun in dieser kleinen Nabelschau (das ist ein privater Blog aber eigentlich immer). Wie schon beim Rückblick auf 2010 und beim Rückblick auf 2011 werde ich das Ganze in vier Kategorien teilen: “Wein”, “Bier”, Essen” und “Momente”.

Wein

2012 wird als äußerst mittelprächtiges Weinjahr in meine persönliche Geschichte eingehen. Das lag vor allem daran, dass ich in meiner aufreibenden ersten Jahreshälfte kaum einen Wein getrunken habe. Und das als vermeintlicher Weinblogger. Meine Top 3 sind mir deshalb ziemlich leicht gefallen, eine sehr klassische Auswahl.

w1 - Breuer Nonnenberg 1993w2 - Mas Jullien 1998w3 - Pur Sang 2005Weingut Breuer – Rauenthaler Nonnenberg 1993 – Probiert aus der Magnumflasche auf dieser beeindruckenden Veranstaltung bei einem meiner Heimaturlaube. Dass trockener Riesling prinzipiell nicht nur reifen, sondern gar altern kann, weiß man ja. Die mineralisch straffen Breuer’schen Weine sind dabei ein überraschender Gegenentwurf zu den Botrytis-Wachauern und -Elsässern, die dank Süße, Stoff und Alkohol ebenso die Jahre und Jahrzehnte überdauern können. Der Nonnenberg ist für mich Energie, Zähigkeit und Gelassenheit in Weinform. Alles gleichzeitig.

Mas Jullien – Coteaux du Languedoc rouge 1998 – In den 1990er Jahren war der französische Süden die reinste Goldgräberregion. Parker schmiss auf einmal mit Punkten nur so um sich, vor allem für starke, unfiltrierte Aromabomben. Manche pflegen den dicken Stil noch heute (Négly, Clos des Fées), andere haben eine radikale Kehrtwende vollzogen (Gauby), aber Olivier Jullien ist sich irgendwie treu geblieben. Sein Rotwein ist immer mäßig teuer gewesen (so zwischen 20 und 25 € ab Hof), von mäßiger Schwere, aber immer mit der Kombination aus Intensität und Gleichmut wie die Natur der Haute Garrigue. Wer einen Mas Jullien zu früh aufmacht, wird sich ärgern. Wer den 1998er im vergangenen Jahr getrunken hat, dürfte sich hingegen gefreut haben.

Didier Dagueneau – Pur Sang 2005 – Didier Dagueneau ist schon seit einiger Zeit nicht mehr unter uns, aber diesen Wein hat er noch persönlich vom Weinberg in den Keller und in die Flasche begleitet. Als ich den Pur Sang vor knapp einem Monat getrunken habe, war ich fast erschrocken. 2005 gilt ja im Allgemeinen als etwas müder Jahrgang für Weiße. Dieser Wein hingegen ist frisch, gleißend, offensiv. Und obwohl ich von parfümierten Sauvignon-Blanc-Noten schon wegen dieser prima Nachäffer-Aromahefen nicht so viel halte – hier kommt ein ganz purer Sauvignon. Aus Stachelbeeren gepresst, aber dann ab Gaumenmitte ganz seidig werdend. Bisschen teuer natürlich, aber das war ja schon der Ravaillac.

Bier

Ich habe im Jahr 2012 mehr Bier als Wein getrunken. Das liegt diesmal nicht an meinem Tropenaufenthalt, denn die wenigen Biere, die ich dort zu Anfang genießen konnte, werdet Ihr hier vergeblich suchen. Nein, das liegt natürlich daran, dass ich nach Franken gezogen bin, die arguably beste Standardbierregion der Welt. Und meine belgischen Kontakte habe ich ebenfalls nicht aufgegeben.

b1 - Greif Annafestb2 - Audoramoise Rhubarbeb3 - Westvleteren 6Josef Greif – Anna-Festbier – So richtig leicht ist es mir nicht gefallen, aus der Vielfalt fränkischer Landbiere nun das eine herauszupicken, das unter die Tops des Jahres gereiht werden kann. Das Anna-Festbier der Forchheimer Brauerei Josef Greif ist jedenfalls ein sehr gutes Bier und steht deshalb ein bisschen stellvertretend für die Magers, Meisters und Schrolls der fränkischen Welt (und natürlich für alle Biere aus Bamberg, deren Teil 2 immer noch fehlt…). Wer solche Biere bei Bedarf täglich im nächsten Getränkemarkt kaufen kann, wird nie mehr im Leben ein Massenpilsener trinken wollen.

L’Audomaroise – Blonde à la Rhubarbe – Gar nichts hatte ich erwartet von diesem Bier. Mit Rhabarbersaft als Zutat vergoren, seit zwei Jahren abgelaufen und komplett unedel aufgemacht. Aber welch Überraschung: wunderbar frisch, feinfruchtig, animierende obergärige Weizennote, weder süßlich noch schwer. Dieses Bier kaufe ich definitiv nach, sollte ich mal wieder in der Gegend sein. In welcher Gegend? Na, im “Marais Audomarois”, dem von kleinen Kanälen durchzogenen Gemüseanbaugebiet um die Stadt Saint-Omer. Ganz in der Nähe des großen Kanals übrigens, und den muss ich ja immer mindestens einmal im Jahr sehen.

Westvleteren 6° – Natürlich wird in Bierfreakkreisen ein erhebliches Gekulte um die drei Biere der Abtei Westvleteren veranstaltet. Aber aus Gründen. Zum einen ist es im freien Verkauf kaum zu bekommen, dann wird es ständig irgendwo als “bestes Bier der Welt” abgefeiert – und schließlich ist es auch tatsächlich sehr gut. Das “kleine” Westvleteren habe ich im vergangenen Jahr zweimal getrunken, einmal als seit drei Jahren abgelaufenes, komplexes, gerbiges, aber hagebuttig-fruchtiges Bier, und dann noch einmal vor kurzem als ganz frisches Produkt. Schon jung hopfig-herb und ohne süßliche Kompromisse, aber mit einer erfrischenden Getreide-Zitrone-Ananas-Note.

Essen

Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich auch 2012 wieder nicht im “Noma” war, wieder nicht bei Tim Raue, noch nicht einmal im “Essigbrätlein”, obwohl das hier in Nürnberg wirklich nahe liegen würde? Auch da kann sich 2013 einiges tun, aber ich werde 2012 essenstechnisch immer sehr stark kontextgebunden im Gedächtnis behalten. Nicht nur das Essen an sich, sein Geruch, sein Geschmack, seine Textur, sondern vor allem die Orte mit all ihrer Atmosphäre, an denen ich das Essen zu mir genommen habe.

e1 - Sri Lankan breakfastSri Lankan Breakfast, Colombo – Wer morgens um halb acht bei 30 Grad Außentemperatur ein heißes (!) und scharfes (!) Frühstück zu sich nimmt, gilt definitiv als nicht wirklich zurechnungsfähig. Bei uns. Ganz anders ist das offenbar in Sri Lanka, denn die Tatsache, dass ich in Colombo vom ersten Tag an morgens immer das “Sri Lankan Breakfast” geordert habe, hat mir doch einige Sympathien bei den Hotelbediensteten eingebracht. Es ist aber auch tatsächlich kein Unfug, genau wie das “Full English Breakfast”: Wer vormittags gleich in Schwung sein will, hat dank der Chillies seinen Kreislauf schon mal auf Trab gebracht. Und wer lange durchhalten muss, der ist mit einem kräftigen Frühstück ohnehin gut bedient. Noch dazu schmeckt es ausgezeichnet. String Hoppers, Dhal Curry, Fish Curry, Pol Sambal – das sind die Zutaten. Dazu ein (natürlich) kochendheißer gesüßter Milchtee.

e2 - Isarn-KücheIsan-Küche, Bangkok – In Bangkok hatte ich während meines Asienaufenthalts mein Standquartier aufgeschlagen. Fünfmal bin ich wieder zurückgekommen und mit der Flughafenbahn in die Stadt zu meiner kleinen Wohnung gefahren. Als ich beim zweiten Mal schon wusste, wo die Ticketautomaten stehen, hatte ich mich gleich (ein bisschen übermütig vielleicht) wie ein echter Bangkoker gefühlt. Essenstechnisch war Asien natürlich eine wirkliche Offenbarung. Ich konnte genau das tun, was mir hierzulande immer verwehrt wird: intuitiv zu jeder Tageszeit essen, und zwar kleine, aromatische Portionen in allen Farben, Formen, Gerüchen und Geschmäckern. Aus dieser Vielfalt habe ich das Isan-Restaurant “Isanromjen” nahe der BTS-Station “Victory Monument” als Highlight des Jahres herausgesucht. Was ich dort am liebsten gegessen habe? Frittierte Schwimmblase.

e3 - Hai in DubaiHai im Backofen, Dubai – Die Fischmarktbesuche gehörten definitiv zum meinen Höhepunkten des Jahres (mehr darüber weiter unten). In Dubai bin ich interessanterweise aber nicht als dokumentierender Tourist und Reiseschriftsteller auf den Markt gegangen, sondern als Koch. Als Koch in eigenem Auftrag allerdings, denn da ich in Dubai über eine vollständig ausgestattete Küche verfügte, konnte ich mir endlich genau das kaufen, auf das ich in Colombo noch hatte verzichten müssen: einen seltsamen Fisch. Meine Wahl fiel auf einen Hai, den ich mit Müh und Not und halb gerollt im Backofen unterbrachte. Ich wollte einfach einmal die Haihaut anfassen, die nachwachsenden Zahnreihen sehen und die Konsistenz einer Haifischflosse spüren. Dass der Fisch auch geschmeckt hat, war da nur noch ein Surplus.

Momente

Interessanterweise ist dies die Kategorie, die ich ohne zu zögern mit vielleicht 20 verschiedenen Situationen hätte füllen können. Gerade in den ersten Monaten ist alles so schnell und intensiv aufeinander gefolgt, dass ich mich manchmal beim Blick auf die Fotos gefragt habe: “Bin ich tatsächlich dort gewesen?”

m1 - Fischmarkt von ColomboAuf dem Fischmarkt von Colombo – Als ich auf den Fischmarkt von Colombo gefahren bin, hatte ich schon über einen Monat lang allein in Asien zugebracht. Ich hatte mich an die Hitze von Bangkok gewöhnt, Indo-Pop-CDs in Jakarta gekauft, sieben berufliche Termine in Colombo gehabt und am Morgen dieses Tages irgendwie das Gefühl, dass ich hier und heute sehr gut aufgehoben bin. Was dann passierte, ist als einzelnes Erlebnis wahrscheinlich mein Highlight des gesamten Jahres. Ich habe nämlich auf dem Fisch-Großmarkt von Periyagoda alle Fischhändler gefragt, wie die Fische heißen, die sie da verkaufen, und was man am besten mit ihnen macht. Herausgekommen ist das hier.

m2 - am Persischen GolfNachts am Persischen Golf – An diesem Tag in Dubai hatte ich gerade einen sehr anstrengenden “field trip” hinter mich gebracht. Der lange Fußmarsch hatte mich zu den Unterkünften der indischen Arbeiter geführt, die eigentlich dafür verantwortlich sind, dass diese glitzernde Stadt innerhalb von 15 Jahren aus dem Wüstensand gestampft werden konnte. Als ich am Ende meines Trips endlich am Meer angekommen war, war bereits die Nacht hereingebrochen. Sehen konnte ich das Wasser nicht mehr (nur noch meine Kamera schaffte das mit zweiminütiger Belichtungszeit), aber ich konnte es hören, wie es ganz leise plätscherte. Und durch diese Ahnung der großen Weite habe ich mich dann irgendwie ein bisschen wie ein Weltumsegler gefühlt. Allerdings nicht wie einer, der Länder im Auftrag seines Königs erobert, sondern einer, der Momente sammelt.

m3 - über die Insel HvarÜber die Insel Hvar – Für viele Menschen in Europa ist der Mai der Lieblingsmonat. Das war vermutlich schon immer so, denn der Mai verspricht Blütenpracht, erwachende Natur, Licht und Wärme. So sehr viel falsch machen kann man im Mai also nicht, egal wohin man fährt. In Split habe ich in der Nähe des Fischmarktes gewohnt und mich daher meinem neuen Hobby voll widmen können. Für zwei Tage bin ich jedoch mit der Fähre zur Insel Hvar gefahren. Irgendwie kam ich nicht umhin, eine meiner (vor allem bei mir selbst) berüchtigten Wandertouren zu machen. Es erschien mir einfach zu verlockend. Und es war dann ja auch großartig, ich ganz allein auf den Berg, über die Insel, all das Licht, das ungeheuer blaue Meer dort unten, die um meinen Kopf tanzenden Schmetterlinge. Aber natürlich gab es wieder mal Dinge wie Sonnenbrand, großen Durst und Blasen an den Füßen – eigentlich genau wie hier oder hier.

m4 - im Seeoner SeeSchwimmen im Seeoner See – Der Hochsommer 2012 hatte diesen Namen nur selten verdient. Eigentlich nie, ist man geneigt zu sagen, aber mein digitales Fotoalbum hat mich da doch eines Besseren belehrt. Am heißesten Wochenende des Jahres waren wir nämlich ins bayerische Voralpenland gefahren, genau gesagt: nach Seeon. Natürlich möchte man der bajuwarischen Selbstzufriedenheit nicht unbedingt Vorschub leisten, aber es ist nun einmal wunderschön am Alpenrand. Und den Seeoner See ziehe ich aus vielen Gründen solchen Tummelplätzen wie Chiemsee oder Starnberger See eindeutig vor. Ganz weich ist das Wasser, der Holzsteg von Schilf umgeben, kein Motorboot und keine Segelyacht auf dem See. Da fühlt man sich doch gleich wie ein Kind in der Sommerfrische, als man noch diese orangefarbene Limo getrunken hat und am Kiosk um ein Softeis angestanden ist.

Zum Schluss möchte ich Euch nicht mehr mit vielen Worten behelligen. Ich werde Euch einfach die beiden Dinge visuell vorführen, denen ich mich in diesem ehrlich gesagt ziemlich guten Jahr 2012 neu und stärker als zuvor gewidmet habe. Eins davon könnt Ihr sicher erraten, es sind Meeresfische. Über das andere habe ich hier auf dem Blog nur ein einziges Mal berichtet. Ich habe nämlich wieder angefangen, an Sommerabenden aufs Land zu fahren und Schmetterlinge zu fotografieren. Dazu angeregt worden bin ich durch dieses Buch, wobei ich ähnlich wie der Autor bereits als leicht verschrobenes Kind (also eigentlich genau wie heute) dem Flug der Schmetterlinge über die Wiesen gefolgt bin.

Bevor hier also die Farben der Fische und die Farben der Schmetterlinge folgen, möchte ich meinen persönlichen Jahresrückblick schließen.

Wie sieht es bei Euch aus? Was war beispielsweise Euer Wein des Jahres? Und was war der großartigste Ort, an dem Ihr im Jahr 2012 sein konntet?

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10 Antworten zu Unterwegs in den Welten: die Top 3 meines Jahres 2012

  1. Charlie sagt:

    Jedenfalls hatte ich in 2012 viel Freude an diesem Blog

    • chezmatze sagt:

      Na das hört man doch gern 🙂

      Darf ich’s gleich mal wieder zurückgeben, das Kompliment? Mir macht es vor allem deshalb Spaß, diesen Blog zu schreiben, weil ich weiß, dass es Menschen wie Euch gibt, die so etwas auch gern lesen. Wobei ich zugeben muss, dass ich wahrscheinlich kein echter Blogger (und erst recht kein Twitterer) bin, sondern eher so eine Art verhinderter “features writer”.

      Dem nächsten Event, das bei mir vor der Tür steht, sehe ich jedenfalls schon mit Spannung entgegen. “Wurzelechte Gemischte Sätze” am Samstag in Bonn, mal schauen, wie vielfältig das in geschmacklicher Hinsicht wird.

  2. cedric fischer sagt:

    Ja, ich habe Deine Notizen auch sehr genossen, vor allem die über die Reise nach Asien.

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